Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Claudia Kemfert, Professorin für Energiewirtschaft und Chefin des Energie- und Umweltbereichs am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW.
Klimareporter°: Frau Kemfert, gestern Nachmittag legten CDU, CSU und SPD die Ergebnisse ihrer Sondierungsverhandlungen vor. Wie finden Sie den ersten groben Fahrplan der neuen Regierung bei Energie und Klima?
Claudia Kemfert: Das Sondierungspapier ist aus Klimasicht eine Enttäuschung. Klimaschutz spielt so gut wie gar keine Rolle. Insbesondere die vorgesehene Erhöhung der Pendlerpauschale ist eine umweltschädliche Subvention, die Fehlanreize gibt.
Der Bau von 20.000 Megawatt neuer Gaskraftwerke bis 2030 erscheint überdimensioniert. Der Markt sollte entscheiden, wie viel Kraftwerkskapazitäten tatsächlich benötigt werden. Das Ziel, in Deutschland den ersten Kernfusionsreaktor bauen zu wollen, ist herausgeschmissenes Geld. Die Technologie wird erst in vielen Jahrzehnten zur Verfügung stehen, in der Zeit muss die Energiewende abgeschlossen sein.
Stattdessen sollte der Fokus auf dem schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien liegen und es sollten entsprechende Rahmenbedingungen für mehr Flexibilität und Speicher geschaffen werden.
Grundsätzlich begrüßenswert ist, dass es ein Sondervermögen gerade auch für Energie- und Wissenschaftsinfrastruktur im Bund sowie in den Ländern und Kommunen geben soll. Der Fokus sollte hier vor allen Dingen auf eine bessere Digitalisierung, den Ausbau der Bahninfrastruktur und die Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs gelegt werden.
Beim Schaffen wettbewerbsfähiger Energiekosten muss verhindert werden, dass Geld mit der Gießkanne nicht bedarfs- und zielgerichtet an Unternehmen, die es nicht benötigen, verteilt wird. Das kann ineffizient und teuer sein. Es sollten nur solche energieintensiven Unternehmen finanziell unterstützt werden, die nachweislich einen Wettbewerbsnachteil haben.
Das geplante 500-Milliarden-Sondervermögen für Infrastruktur muss für echte Zukunftsinvestitionen ausgegeben werden, fordern Klima- und Umweltschützer schon seit Tagen. Eine erneuerbare Energie- und Rohstoffbasis und klimaangepasste Städte und Landschaften dienen ebenso der Sicherheit Deutschlands, wird argumentiert.
Ich sehe es genauso. Eine Energiewende basierend auf heimischen erneuerbaren Energien und Energiesparen erhöht die Versorgungssicherheit und die Resilienz des Landes insgesamt, weil auf Importe fossiler Energien aus geostrategischen Hochrisikogebieten verzichtet werden kann.
So kann die Sicherheit Deutschlands gestärkt werden. Auch die Klimaanpassung der Städte, Gebäude und Infrastrukturen sorgt für mehr Sicherheit.
Deutschland schiebt seit Jahrzehnten einen Investitionsstau vor sich her. Dringend nötig sind eben Investitionen in die Modernisierung der Industrie, in dezentrale Verteilnetze und Speichertechnologien. Es gibt großen Bedarf bei der Bahn, der Digitalisierung, dem ÖPNV und der energetischen Sanierung von Gebäuden.
Derartige Investitionen schaffen Wertschöpfung und zukunftsfähige Jobs und können gleichzeitig einen Konjunkturimpuls entfachen.
Ein umfangreicher Ariadne-Report zur Energiewende zeigt, wie Klimaneutralität bis 2045 in Deutschland kosteneffizient erreicht werden kann. Bei Studien dieser Art wird meist gegengerechnet, wie viele Milliarden sich beim Umstieg auf erneuerbare Energien durch den Wegfall fossiler Importe sparen lassen. Geht diese Annahme ökonomisch gesehen wirklich so einfach auf?
Die Ariadne-Szenarien zur Energiewende basieren auf fundierten, umfangreichen und umfassenden wissenschaftlichen Studien. Ein Netzwerkverbund zahlreicher renommierter Forschungsinstitute hat errechnet, dass die Klimaneutralität mit vertretbarem zusätzlichem Aufwand erreichbar ist und hohe Kosten durch den Import von fossilen Energien vermieden werden können.
Gleichzeitig bedeuten Investitionen in die zukunftsweisende Energiewende, dass Wertschöpfung und Innovationen generiert werden können, die unsere Volkswirtschaft wettbewerbsfähiger machen. Gerade in Zeiten hoher geopolitischer Risiken ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass der Wegfall von Importen fossiler Energien nicht nur Kosten und Risiken senkt, sondern auch die Versorgungssicherheit stärken kann.
Das Ariadne-Projekt zeigt eindrucksvoll, dass sich die Forschung einig ist: Strom wird zum wichtigsten Energieträger, so können Energiesystemkosten optimiert werden.
Die EU-Kommission hat einen Clean Industrial Deal vorgestellt. Umweltfachleute erkennen darin problematische Vorschläge, die zum Beispiel bei der Nutzung von Flüssigerdgas fossile Geschäftsmodelle verlängern und neue energiepolitische Abhängigkeiten festschreiben könnten. Zudem will die EU die CO2-Flottengrenzwerte für Autos lockern. Erleben wir auf europäischer Ebene gerade einen Abschied vom Klimaschutz?
Vom kompletten Abschied würde ich nicht sprechen, da das Ziel der Klimaneutralität nicht aufgegeben wird. Aber es gibt erhebliche Abschwächungen bei der Klimapolitik, die hochproblematisch sind – etwa das Aufweichen der CO2-Flottengrenzwerte für Autos, aber auch das Ermöglichen von fossilem Wasserstoff oder die völlig unnötige Bevorteilung von fossilem Gas.
Gerade das Erdgas macht den Weg zur Klimaneutralität unnötig teuer, verlängert fossile Geschäftsmodelle und erhöht die Risiken, abhängig von fossilen Energieimporten zu bleiben.
Angesichts der geopolitischen Risiken sollte der Fokus vor allem darauf liegen, sich so schnell wie möglich von der fossilen Energie zu verabschieden, auf den schnelleren Ausbau von erneuerbaren Energien zu setzen und auch die Energieeffizienz-Verbesserung in den Vordergrund zu rücken. Das konsequente Einsparen von fossiler Energie ist enorm wichtig.
Immerhin gibt es den Green Deal noch, auch wenn der Fokus auf Industrie und Wettbewerbsfähigkeit gesetzt wird. Es können dennoch wichtige Signale für Dekarbonisierung und mehr Wettbewerbsfähigkeit gegeben werden. Das ist grundsätzlich nicht falsch.
Aufgrund der weltweit besorgniserregenden geostrategischen Entwicklungen darf der Klimaschutz-Aspekt aber nicht noch weiter in den Hintergrund gerückt werden. Im Gegenteil, Klimaschutz senkt Risiken und stärkt Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Wo anfangen? Es gibt ja nur noch Überraschungen, oder besser Schockwellen. Wir leben in unglaublich unruhigen und hochriskanten Zeiten, die Weltordnungen verschieben sich. Demokratien werden aufgerüttelt.
Erstaunlich ist dennoch: In Deutschland wird es auf einmal möglich, ein umfassendes Investitionsprogramm unter einer neuen, vermutlich CDU-geführten Regierung auf den Weg zu bringen. Vor allem, weil die Union in der Vergangenheit gegen den Bundeshaushalt klagte, sich nicht weiter verschulden wollte und Investitionsprogramme stets ablehnte.
Generell ist zu begrüßen, dass nun endlich in die Modernisierung der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität – so ist zu hoffen – investiert wird. Der Investitionsstau ist wie gesagt riesig.
Auch eine finanzielle Unterstützung von Industrie und Verbrauchern kann richtig sein, wenn es zielgenau geschieht. So ist es sinnvoll, energieintensive Unternehmen über einen Zuschuss zu den Netzentgelten zu unterstützen. Haushalte könnten Entlastung über vergünstigte Stromtarife für Wärmepumpen oder ein Social Leasing von Elektroautos erhalten. Auch ein Klimageld ist nötig, um die Menschen von den Kosten des CO2-Handels zu entlasten.
Die beste Überraschung wäre doch, wenn all das Wirklichkeit werden würde.
Fragen: Jörg Staude