Matthias Willenbacher
Matthias Willenbacher. (Foto: Wiwin)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Matthias Willenbacher, Geschäftsführer der Plattform für nachhaltiges Investieren Wiwin.

Klimareporter°: Herr Willenbacher, Norwegen plant, seinen CO2-Preis bis 2030 auf knapp 200 Euro je Tonne zu erhöhen und damit etwa zu verdreifachen. Deutschland begnügt sich derzeit mit 25 Euro und will 2025 über 50 Euro kommen. Sollte Deutschland beim CO2-Preis nicht besser nachlegen? 

Matthias Willenbacher: Absolut, Deutschland muss dringend nachlegen. 25 Euro und auch 50 Euro sind nicht Fisch und nicht Fleisch. Ein angemessen hoher CO2-Preis ist aus drei Gründen wichtig.

Erstens setzt er Investitionssignale, sodass Investoren einen Anreiz haben, in CO2-freundliche Technologien oder Angebote zu investieren. Zweitens lenkt er die Entscheidungen von Verbraucher:innen so, dass sie klimafreundliche Angebote gegenüber klimaschädlichen bevorzugen. 

Und drittens stellt er Gerechtigkeit her, weil es schlichtweg nicht okay ist, Kollektivgüter – und ein intaktes Klimasystem ist so ziemlich das "kollektivste" aller Kollektivgüter – zu zerstören. Wer es trotzdem tut, muss – mindestens! – die Kosten tragen, die ein solches Verhalten verursacht.

Ich glaube, es gibt unter Expert:innen keinen Zweifel, dass weder 25 noch 50 Euro ausreichen, um diese drei Funktionen zu erfüllen. 

Am einfachsten ist es wohl, die angemessene Höhe anhand des dritten Punktes zu bestimmen. Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes müsste der CO2-Preis dann zurzeit bei rund 190 Euro pro Tonne liegen. Man kann mit gutem Grund annehmen, dass ein Preis in dieser Größenordnung auch starke Investitionssignale aussenden und eine sehr wirksame Lenkung ausüben würde. 

Klar ist natürlich, dass man ergänzende Maßnahmen treffen müsste, um soziale Problem zu vermeiden. Hier gibt es viele Vorschläge, zum Beispiel die Rückzahlung eines pauschalen Betrags pro Kopf, wie die Schweiz das getan hat.

Leider hat die Bundesregierung das alles in den Wind geschlagen. Sie ist nun dringend aufgefordert, beim CO2-Preis nachzubessern.

Doch was tut sie stattdessen? Bei der Verordnung zur Verhinderung von CO2-Leakage kann es dem Wirtschaftsministerium mit der Industriefreundlichkeit mal wieder nicht weit genug gehen.

Wenn das Umweltministerium hier nachgibt, wird wieder einmal Klimapolitik als Argument für Industriesubventionen missbraucht – zulasten des Klimaschutzes und der deutschen Verbraucher:innen.

Vor einem Jahr kündigte der US-Investor Blackrock an, Nachhaltigkeit zum Fokus seines Geschäftsmodells machen zu wollen. Eine Analyse zeigt nun, dass dieses Versprechen das Geschäft des weltgrößten Vermögensverwalters kaum beeinflusst hat. Blackrock hält weiterhin Anteile an Kohlefirmen im Wert von mindestens 85 Milliarden US-Dollar. War das Versprechen nur PR? 

Ich habe die Ankündigungen von Blackrock-Chef Larry Fink immer nur als Reaktion auf veränderte politische Rahmenbedingungen verstanden. Und trotzdem ist die Ankündigung Greenwashing geblieben, reine PR.

Denn der Anteil von nachhaltigen Investments – kurz ESG – an dem gesamten Investitionsvolumen ist verschwindend gering. Laut einer Studie des Milken-Instituts erreicht er bei Blackrock gerade mal 0,27 Prozent. Dass andere Investmenthäuser wie Vanguard, UBS oder auch die Allianz noch weniger auf ESG-Investments setzen, macht die Sache sicherlich nicht besser. 

Larry Fink hat mit seinem Greenwashing auch auf politische Absichtsbekundungen reagiert, endlich einen angemessenen CO2-Preis einzuführen. Doch es ist halt häufig bei rein symbolischen Handlungen geblieben – siehe oben.

Wir müssen erkennen: Green Finance ist keine Wohltätigkeitsveranstaltung von Investmentgesellschaften, sondern nur ein Nachgeben gegen politischen und gesellschaftlichen Druck.

Deswegen müssen zum einen jetzt die EU-Kommission und die Bundesregierung, aber auch EZB und Bundesbank rasch nachlegen. Deswegen ist zweitens die Arbeit der NGOs, die diese Studien ermöglicht haben, so bedeutend. Und deswegen ist es wichtig, dass jede Privatperson, die Geld anlegen möchte, versteht, dass sie als Kleinstanlegerin etwas bewirken kann und muss!

Ich kann nur an alle, die Geld anlegen möchten, appellieren, dass sie genau hinschauen, wem sie ihr Geld anvertrauen. Es fängt an beim echt grünen Girokonto wie bei GLS, Triodos oder Tomorrow und geht weiter bei grünen Crowdinvesting-Plattformen wie Bettervest oder Wiwin.

Die zweite Welle der Pandemie verstärkt den verkehrspolitischen Trend der ersten. Fuß- und Radverkehr gewinnen, das Auto dominiert und der ÖPNV verliert. Der öffentliche Verkehr muss nach Ansicht des Mobilitätsexperten Andreas Knie nach dem Vorbild des digitalen Mobilfunks umgestaltet werden: ein Verkehrsnetz, öffentlich kontrolliert, aber unternehmerisch betrieben. Was halten Sie davon?

Ich finde, der Punkt bei Andreas Knie – ohne Zweifel ein brillanter Vordenker, wenn es um die Zukunft des Personenverkehrs geht – ist ein anderer: Die strategische Schwäche der Öffentlichen ist die mangelnde Flexibilität.

Der ÖPNV ist an feste Fahrpläne gebunden, die meist ein halbes Jahr oder länger gelten, und an eine feste Streckenführung. Bei schienengeführten Verkehrsmitteln ist diese Abhängigkeit noch viel größer als bei Bussen. Die Schienen prägen das Angebot über Jahrzehnte und haben auch gravierende Auswirkungen auf die Entwicklung der Städte und des ländlichen Raums. 

Das alles ist nicht mehr zeitgemäß, und Knie hat vollkommen recht: Einfach nur das nicht zeitgemäße Angebot auszubauen macht das Angebot sicherlich nicht besser.

Der Politik fehlt es hier an Ehrlichkeit. Auch exakt 120 Jahre nach Inbetriebnahme der ersten elektrischen Straßenbahn in Berlin kann der ÖPNV nur in Ausnahmefällen einen Service anbieten, der eine wirklich attraktive Alternative zum Auto darstellt.

Viel von dem, was Andreas Knie sagt, sind Elemente eines radikal neu zu denkenden ÖPNV, der digital, vernetzt und intelligent werden muss und vor allem hochflexibel.

Trotzdem glaube ich, dass es falsch wäre, wenn man die Zukunft des Personennahverkehrs einfach Uber überlässt. Es braucht mehr als eine öffentliche Kontrolle. Gerade um das Gefälle zwischen Stadt und Land nicht zu vergrößern, muss die gute Erreichbarkeit auch von peripheren Regionen eine öffentliche Aufgabe sein.

Nur muss sie anders und besser gelöst werden als im letzten Jahrhundert. Und hier wird die Digitalisierung den entscheidenden Unterschied ausmachen.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Das war der unvergleichlich skandalöse Vorgang, mit dem die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern die Fertigstellung der Ostseepipeline Nord Stream 2 vor den Sanktionen der Amerikaner zu schützen versucht.

Nord Stream 2 ist ein einziges Fiasko – energiewirtschaftlich, weil die Pipeline unnötig ist, klimapolitisch, weil es saubere und bessere Alternativen als russisches Erdgas gibt, und außenpolitisch, weil Deutschland mit dem Durchpeitschen des Projekts nicht nur die US-Administration (was angesichts des inakzeptablen Verhaltens ihrer Spitze vertretbar wäre), sondern auch viele unserer ost- und nordeuropäischen Nachbarn vor den Kopf stößt.

Die Art und Weise, wie Deutschland seine Energiepolitik gestaltet, wird für die Menschen in unseren europäischen Nachbarländern immer weniger nachvollziehbar. Das ist der Hintergrund der jüngsten Volte der Landesregierung in Schwerin: Die Stiftung, die das Land Mecklenburg-Vorpommern gegründet hat, soll die fehlenden Beschaffungen für Nord Stream 2 an den amerikanischen Sanktionen vorbei organisieren – denn die gelten nicht für öffentlich-rechtliche Körperschaften.

Das Skandalöse dabei: Hinter der Tarnstiftung steckt in Wahrheit Gazprom und damit russisches Geld. Gleichzeitig trägt sie den Namen "Stiftung Klima- und Umweltschutz MV". Ein frecheres und dreisteres Greenwashing hat wohl noch keine Landesspitze betrieben.

Dass dieser Vorgang, der jedem Tatort-Drehbuchautor zu unglaublich erscheinen würde, ganz offiziell von einer deutschen Landesregierung vollzogen wurde – das schlägt so ziemlich jedem Fass den Boden aus. 

Redaktioneller Hinweis: Andreas Knie gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.

Fragen: Jörg Staude

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