Mann im Anzug sitzt in der Bahn und schaut auf sein Smartphone, man sieht nur Hände und Oberkörper.
Holt Ridepooling die Leute aus dem ÖPNV ins Auto? Nein, sagen die WZB-Forscher, das gilt nur für die Jüngeren. (Foto: Martin Vorel/​Libreshot)

Ewig wird es beim deutlichen Rückgang des Verkehrs als Folge der Corona-Pandemie nicht bleiben. Wenn die Einschränkungen langsam wieder gelockert werden, dürfte auch der Verkehr wieder zunehmen.

Aber wird alles so wieder so früher werden? Oder könnte man die Erfahrungen der Krisenzeiten dazu nutzen, die Klimaziele endlich auch im Verkehrssektor zu erreichen?

Eine Schlüsselrolle kommt dabei dem öffentlichen Nahverkehr zu. Busse und Bahnen allein werden aber als Alternative zum eigenen Pkw nicht ausreichen. Digitale Pooling-Dienste wie Uber, Clevershuttle, Berlkönig oder Moia können dabei helfen, dem öffentlichen Verkehr dauerhaft neue Kunden zu erschließen.

In den großen Städten ist die Diskussion über Sinn und Unsinn neuer Verkehrsangebote auf digitalen Plattformen voll entbrannt. Helfen sie, die Zahl der Fahrzeuge und die damit gefahrenen Kilometer zu reduzieren? Wie unterscheiden sich diese Dienste von Taxis und Mietwagen und welche regulatorischen Auflagen müssen getroffen werden?

Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) konnte erstmals als öffentliche Forschungseinrichtung dazu die Daten des Ridepooling-Dienstes Clevershuttle in vier deutschen Städten für ein ganzes Jahr analysieren. Darüber hinaus wurden 3.542 Nutzerinnen und Nutzer des Angebots befragt.

Komfortable Tür-zu-Tür-Option

Die Kernaussage der WZB-Studie: Solche Angebote sind eine sinnvolle Ergänzung zu Bussen und Bahnen. Sie werden vor allem in den Abend- und Nachtstunden genutzt und bieten eine komfortable Zusatzoption "von Tür zu Tür", die insgesamt die Mobilität ohne eigenes Auto attraktiver machen kann.

Andreas Knie
Foto: Sebastian Knoth

Andreas Knie

ist Professor für Soziologie an der TU Berlin und Politik­wissen­schaftler am Wissen­schafts­zentrum Berlin für Sozial­forschung (WZB). Seine Forschungs­felder sind Wissenschafts-, Technik- und Mobilitäts­forschung. Knie leitete die hier beschriebene Studie. Er ist zudem Heraus­geber­rats­mitglied von Klimareporter°.

Clevershuttle beförderte 2019 in Berlin, München, Leipzig und Dresden mehr als 1,8 Millionen Menschen. Anders als beim Taxi oder bei dem kalifornischen Unternehmen Uber werden bei Clevershuttle auf einem großen Teil der Fahrten weitere Fahrgäste hinzugebucht. In Berlin, München und Leipzig ist dies bei rund 50 Prozent der Fahrten der Fall, in Dresden, wo der Dienst erst im Dezember 2018 startete, bei rund 40 Prozent.

Damit teilen sich mehrere Menschen ein Auto. In den Nachtstunden steigt der durchschnittliche Pooling-Anteil auf bis zu 65 Prozent. Rund die Hälfe der Nutzenden ist 20 bis 34 Jahre alt und fährt mit Clevershuttle mehrmals im Monat. Mehr als 35 Prozent haben sonst keinen Zugriff auf ein Fahrzeug.

Mit rund 60 Prozent Anteil dient die Mehrzahl aller Fahrten Freizeitzwecken. Arbeits- und Geschäftszwecke kommen auf rund 25 Prozent. Genutzt wird Clevershuttle, weil es günstig und durch den Tür-zu-Tür-Service sehr bequem ist, gaben knapp 50 Prozent der Befragten an.

Die Hälfte hätte sonst Bus oder Bahn genutzt

Dass die Fahrt meistens mit anderen Menschen geteilt werden muss – der Kerngedanke des Poolings – finden knapp 60 Prozent der Befragten "positiv" oder sogar "sehr positiv". Insgesamt handelt es sich bei den Nutzenden in den vier Städten dabei mehrheitlich um jüngere Menschen, die eine sehr multimodale Verkehrspraxis ausüben.

Porträtaufnahme von Lisa Ruhrort.
Foto: Michel Buchmann

Lisa Ruhrort

forscht am Wissenschafts­zentrum Berlin für Sozial­forschung (WZB) zu Wandlungs­prozessen im Bereich der Mobilität, unter anderem zur Nutzer-Akzeptanz von E-Mobilität und Carsharing sowie zu den disruptiven Potenzialen digitaler Innovationen. Sie ist Co-Autorin der Ridepooling-Studie.

Daher überrascht es nicht, dass auf die Frage, was anstelle von Clevershuttle genutzt worden wäre, in über 50 Prozent der Antworten Busse und Bahnen genannt werden.

Rund zehn Prozent hätten statt Clevershuttle den privaten Pkw eingesetzt. In einem beachtlichen Umfang werden also durch Clevershuttle bereits Autofahrten ersetzt, obwohl die Zahl der Pooling-Fahrzeuge durch behördliche Auflagen eng begrenzt ist.

Der Nutzen der Ridepooling-Dienste für eine Verkehrswende liegt insbesondere darin, dass sie den öffentlichen Verkehr durch einen Tür-zu-Tür-Baustein ergänzen. Aus Sicht der Kunden steigt damit die Wahlfreiheit, und es wird insgesamt attraktiver, in der Stadt ohne eigenen Pkw zu leben und mobil zu sein.

Perspektivisch können sich rund 45 Prozent der Befragten, die auch über einen Pkw im Haushalt verfügen, vorstellen, dass Clevershuttle diesen ersetzen könnte.

Auch spätabends ohne eigenes Auto mobil

Busse und Bahnen, so das Resümee der Studie, werden attraktiver, wenn sich Kunden darauf verlassen können, dass alle Verkehrsbedürfnisse in einer Stadt auch ohne eigenes Auto abgedeckt werden können. Wenn es also gelingt, dass auch an Tagesrandzeiten Angebote verfügbar sind, die sogar eine Tür-Tür-Beförderung erlauben, geht der Anreiz für einen eigenen Pkw zurück.

Die Menschen nutzen das Angebot von Clevershuttle darüber hinaus auch dazu, in Gegenden zu fahren, die mit Bussen und Bahnen schlecht zu erreichen sind. Mehr als 30 Prozent der befragten Kunden von Clevershuttle besitzen keinen Führerschein. Zum Vergleich: In der gesamten Bundesrepublik verfügen rund 90 Prozent im fahrfähigen Alter über eine Fahrerlaubnis.

Publikation

Die Studie "Ride-Pooling-Dienste und ihre Bedeutung für den Verkehr. Nachfragemuster und Nutzungsmotive am Beispiel von 'Clevershuttle'" von Andreas Knie und Lisa Ruhrort ist als WZB Discussion Paper erschienen.

Wenn solche Pooling-Dienste ausgebaut und als etablierte Angebote fest in der Stadtlandschaft verankert sind, könnte man daher auf Unterstützung für eine Verkehrswende hoffen. Die Kombination von leistungsfähigen "Großgefäßen" wie S- und U-Bahnen, Tram und Schnellbussen sowie flexiblen Ridepooling-Angeboten, ergänzt durch Taxen, schafft in der Großstadt die Voraussetzung für ein Leben auch ohne privates Auto.