Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Matthias Willenbacher, Geschäftsführer der Plattform für nachhaltiges Investieren Wiwin.
Klimareporter°: Herr Willenbacher, diese Woche ließ die Staatsanwaltschaft Räume in der Zentrale der Deutschen Bank und ihrer Fondstochter DWS durchsuchen. Grund sind Vorwürfe des Etikettenschwindels bei den Angaben zu Nachhaltigkeitsaspekten von Geldanlagen. Ein Einzelfall oder gibt es generell viel Greenwashing bei grünen Geldanlagen?
Matthias Willenbacher: Dass die Deutsche Bank, die schon mit Atomwaffen, Rüstungsgütern und fossilen Energien Geschäfte gemacht hat beziehungsweise macht, mit Vorwürfen des Greenwashings konfrontiert wird, ist für die meisten keine Überraschung.
Solange es keine Standards für "grüne" Geldanlagen gibt, die von unabhängigen Institutionen überprüft werden können, ist dem Greenwashing Tür und Tor geöffnet. Anlageprodukte, die es wirklich ernst meinen, haben es dann schwer, sich zu behaupten.
Aus den Erfahrungen mit unserem eigenen Aktienfonds weiß ich, wie aufwändig die Recherchen und ein eigenes Bewertungssystem sind. Die braucht man aber, um die Nachhaltigkeit von Unternehmen real bewerten zu können.
Für Verbraucher:innen ist deshalb nur schwer zu durchschauen, welche Finanzprodukte wirklich nachhaltig sind oder vielleicht nur etwas besser als die ganz schlimmen Klimasünder.
Nur mit strengen Vorgaben und einer unabhängigen Kontrolle erleichtern grüne Anlagen nicht allein das schlechte Gewissen der Anleger:innen, sondern können ihren echten Impact entfalten, nämlich einen wirklichen Wandel in unser Wirtschaftssystem bringen.
Gute Nachrichten kommen aus Australien. Vor einer Woche wurde dort eine kohlefreundliche Regierung abgewählt – jetzt kapituliert der größte Energiekonzern AGL vor einem Klimainvestor. Weil ein Milliardär sein Herz für den Klimaschutz entdeckt, soll in Australien das Kohlezeitalter zu Ende gehen. Ist das nicht vorschnell geurteilt?
Es ist auf jeden Fall ein spannender Vorgang. Bei AGL handelt es sich immerhin um den größten Stromproduzenten und Treibhausgasemittenten Australiens. Wenn der sich von den fossilen zu den erneuerbaren Energien umorientiert, ist das ein deutliches Zeichen für die gesamte Energiewirtschaft.
Ein kleines Gedankenspiel: Man stelle sich vor, Eon und RWE hätten im Jahr 2000 angekündigt, die Energieerzeugung mittelfristig auf Erneuerbare umzustellen. Deutschlands Energieversorgung sähe heute schon grundlegend anders aus und viele aktuelle Diskussionen würden wir gar nicht mehr führen.
Für die neue australische Regierung erleichtert die Neuausrichtung von AGL die Arbeit enorm. Das Unternehmen wird keinen Widerstand gegen eine ehrgeizige Klimaschutzpolitik leisten, sondern diese unterstützen und sogar ambitionierte Forderungen an die Regierung stellen.
Seit Mitte der Woche gelten in Deutschland der Tankrabatt und das Neun-Euro-Ticket, etwas später wird noch die Energiepreispauschale bei der Steuer berücksichtigt. Mit immerhin 16,5 Milliarden Euro entlastet die Ampel-Regierung die Bürger:innen bei den Energiekosten. Angenommen, Sie könnten dieses Geld unter die Leute bringen, was würden Sie damit machen?
Vorweg: Der Tankrabatt ist Unsinn, und das Neun-Euro-Ticket ist als Appetizer für den öffentlichen Verkehr ganz nett, ersetzt aber keine langfristig bessere Finanzierung für Busse und Bahnen.
Wenn ich das Geld verteilen dürfte, würde ich mich an dem orientieren, was die Wissenschaft sagt, beispielsweise die Klimainstitute PIK oder MCC: Jeder in Deutschland – also auch Kinder – erhält pro Kopf den gleichen Betrag. Das wären in diesem Fall gut 200 Euro pro Person, also 800 Euro bei einer vierköpfigen Familie.
Das würde Menschen mit geringerem Einkommen, die in den meisten Fällen auch geringere Energieverbräuche haben, stärker entlasten als Leute mit hohem Einkommen. Die Entscheidung, wie das Geld ausgegeben wird, läge in der Verantwortung der Menschen selbst. Um die aktuell sehr hohe Inflation auszugleichen, benötigen Haushalte mit einem niedrigen Einkommen aber höhere Unterstützungsbeträge.
Wir brauchen sowieso einen CO2-Preis-Rückverteilungsmechanismus, weil der CO2-Preis in den nächsten Jahren steigen wird und muss – sonst bekommen wir nicht die marktwirtschaftlichen Anreize für den sozial-ökologischen Umbau unserer Wirtschaftsstruktur.
Schon vor dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine galt Wasserstoff als eine Art Heilsbringer der Energiewende. Seit Kriegsbeginn ist Europa, auch um russische Gasimporte zu ersetzen, noch stärker auf Wasserstoff eingeschwenkt. Verglichen mit den ohnehin beträchtlichen Ausbauzielen in ihrem "Fit for 55"-Paket will die EU jetzt 2030 fast viermal so viel Wasserstoff zur Verfügung haben wie ursprünglich geplant. Was halten Sie von dem Wasserstoff-Hype?
Auf absehbare Zeit wird Wasserstoff ein rares und teures Gut bleiben. Deshalb tut die Politik gut daran, konservativ zu planen und auch einen Plan B zu haben, wenn die Verfügbarkeit von Wasserstoff nicht so groß ist wie angenommen.
Konkret heißt das, zum Beispiel im Gebäudesektor eine ambitionierte Sanierungsstrategie und eine weitgehende Elektrifizierung anzustreben, um den Restbedarf an Wasserstoff möglichst klein zu halten.
Auch aus Gründen des Ressourcenschutzes ist ein sparsamer Umgang mit Wasserstoff notwendig. Für die Wasserstoff-Herstellung sind große Mengen an erneuerbaren Energien notwendig. Und auch Ressourcen für die Herstellungsanlagen sind begrenzt, wenn künftig alle Menschen und Unternehmen auf der Erde auf Basis erneuerbarer Energien versorgt werden müssen.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Am meisten hat mich überrascht, wie vehement die Regierungspartei FDP, die sich immer für marktwirtschaftliche Mechanismen starkmacht, sich für einen Tankrabatt einsetzt. Der Rabatt greift massiv in marktwirtschaftliche Preissetzungsprozesse ein. Alle Expert:innen sagen zudem, dass der Tankrabatt den klimapolitischen Zielen entgegenläuft und vor allem wohlhabende Menschen davon profitieren.
Mich beruhigt, dass die Wähler:innen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen diesen Vorschlag nicht honoriert haben. Und ich hoffe, dass die FDP erkennt, dass diese Art der populistisch angehauchten Politikführung den wirklichen Problemen unserer Zeit nicht angemessen ist.
Fragen: Jörg Staude