Climeworks Hellisheiði (Island)
Technische CO2-Rückholung mit Anlagen wie dieser auf Island soll mit der Kohlenstoff-Zentralbank zu einem neuen Geschäftsfeld werden. (Bild: Zev Starr-Tambor/​Climeworks)

Das 1,5-Grad-Limit der Erderwärmung ist kaum noch zu halten. Deswegen ist jetzt schon klar: In der Zukunft müssen große Mengen CO2 aus der Atmosphäre entnommen werden, um die 1,5 Grad nach einem zeitweisen "Überschießen" der Temperatur wieder zu erreichen und den Wert möglicherweise sogar weiter abzusenken.

Dazu braucht es neben Maßnahmen wie Aufforstung und Wiederherstellung von Mooren sowie technischen Anlagen auch einen steuernden Rahmen. In einer neuen Studie hat eine Gruppe des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und des Berliner Klima-Thinktanks MCC dafür ein ökonomisches Konzept vorgestellt – mit Blick auf die EU. Eine Schlüsselrolle spielt dabei eine zu errichtende europäische CO2-Zentralbank.

Noch steigt der globale Ausstoß von Treibhausgasen Jahr für Jahr an, nur die Corona-Pandemie brachte zuletzt kurzzeitig einen Rückgang. Derzeit liegen die Emissionen des wichtigsten Klimagases CO2 durch das Verbrennen von Kohle, Öl und Gas bei 37 Milliarden Tonnen jährlich.

Davon werden der Atmosphäre nur rund zwei Milliarden wieder entzogen, vor allem durch Aufforstung, wie sie unter anderem China, Kenia oder die baltischen Staaten durchführen. Technische Methoden machen an diesen "negativen Emissionen" sogar nur ein Tausendstel aus.

Das reicht bei Weitem nicht für eine Stabilisierung des Klimas. Der Weltklimarat IPCC geht in seinen Szenarien davon aus, dass in diesem Jahrhundert insgesamt bis zu 1.000 Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre entnommen werden müssen.

"Negative Emissionen" stehen erst am Anfang

Große Potenziale, CO2 auf natürlichem Weg zu binden, hat eine veränderte Landnutzung. Stichworte: Aufforstung, Wiedervernässung von Mooren, mehr Humusbildung in Agrarböden, Nutzung von "Pflanzenkohle", hergestellt zum Beispiel aus Grünabfällen, in der Landwirtschaft.

Doch es gibt auch eine Reihe technischer Ansätze. In Island zum Beispiel betreibt das Schweizer Unternehmen Climeworks die Anlage "Orca", die jährlich 4.000 Tonnen CO2 aus der Luft filtert und dann tief im vulkanischen Boden versteinern lässt.

Eine britische Firma holt das Treibhausgas in Marokko mithilfe von speziellen Algen aus der Atmosphäre. Geplant ist auch, CO2 etwa aus der Zementherstellung aufzufangen und in leergeförderten Erdgasfeldern einzulagern.

Geforscht wird aber noch an weiteren Lösungen, etwa, CO2 durch "beschleunigte Verwitterung" zu binden, indem auf Äckern Basaltmehl ausgebracht wird.

Eine "globale Bestandsaufnahme" zur CO2-Entnahme, vor gut einem Jahr vorgelegt von einem britisch-deutsch-amerikanischen Forschungsteam, zeigte den großen Nachholbedarf. Ein Blick auf die Klimaziele der Länder weltweit belege, dass die anvisierten Mengen dazu meist "nur geringfügig größer sind als die heutigen Mengen", sagte Jan Minx vom MCC, der an der Studie beteiligt war.

Neuartige Methoden spielten zudem fast keine Rolle. Dabei müsse dies ab sofort ambitioniert ausgebaut werden, damit sich der Klimaschutz vor allem in der zweiten Jahrhunderthälfte auf negative Emissionen konzentrieren könne.

"Das wird uns viel Geld kosten"

Die EU will hier Vorreiter sein. Bei dem kürzlich von der Europäischen Kommission vorgelegten CO2-Ziel für 2040 liegt der Schwerpunkt zwar nach wie vor auf der Senkung von Emissionen, nämlich um 90 Prozent gegenüber dem Stand von 1990.

Ein wichtiger Aspekt ist aber auch, dass 75 Millionen Tonnen CO2 durch "industrielle Kohlenstoffbindung" wieder aus der Atmosphäre entnommen werden sollen.

PIK-Kodirektor Ottmar Edenhofer, Mitautor der aktuellen Studie, betont, dass die CO2-Entnahme "als zweite Säule des Klimaschutzes uns in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts viel Geld kosten wird". Die Schätzungen reichten von 0,3 bis drei Prozent der globalen Wirtschaftsleistung.

Nötig sei dafür aber ein konkretes Konzept, "wie diese Herkulesaufgabe bewältigt werden kann". Dieses liefere die neue Untersuchung für den Bereich der EU. Veröffentlicht ist sie in der Fachzeitschrift Finanzarchiv. Die Forscher argumentieren: Während der Staat den CO2-Ausstoß verteuert, um dessen Negativfolgen zu begrenzen, sollte er umgekehrt die CO2-Entnahme subventionieren.

Nach dem Konzept würde dabei für jede entnommene und dauerhaft gespeicherte Tonne CO2 der gleiche Preis angesetzt werden wie für den Ausstoß einer Tonne CO2 in die Atmosphäre. Im EU-Emissionshandel lag der CO2-Maximalpreis bisher bei 100 Euro pro Tonne.

Haftungsregeln sind mitentscheidend

Ein Problem muss dabei laut dem Forschungsteam gelöst werden: Vergleichsweise kostengünstige Optionen wie die Aufforstung oder das Anreichern von Kohlenstoff auf Äckern würden im Vergleich etwa zu Luftfilter-Anlagen mit dauerhafter unterirdischer Speicherung an Attraktivität verlieren.

Bei ersteren muss die Speicherung nach gewisser Zeit nämlich "wiederholt" werden, zum Beispiel, wenn Bäume absterben und das in ihnen gespeicherte CO2 wieder frei wird. "Deshalb erscheint es sinnvoll, die EU-Subventionen zunächst an die Dauerhaftigkeit der CO2-Entnahme zu koppeln", so die Autoren.

 

Die Forscher haben "vier entscheidende Stellschrauben" bei dem Projekt CO2-Entnahme identifiziert: die Mengensteuerung der Netto-Emissionen, Regelungen für die Haftung bei nicht dauerhafter Entnahme, die finanzielle Förderung für technische Innovationen und für den Ausbau sowie die Zertifizierung der Anbieter.

Für die ersten beiden Aufgaben schlägt die Studie eine "Europäische Kohlenstoff-Zentralbank" vor, außerdem soll es zwei Behörden für Finanzierung und Qualitätssicherung geben. Insgesamt also ein durchaus anspruchsvolles Unterfangen, das aber, so meinen die Studienautoren, "im Rahmen der derzeitigen politischen Architektur der EU gut durchführbar" wäre.