Das neue Jahr war keine Woche alt, da kam der Thinktank Agora Energiewende mit der deutschen CO2-Bilanz von 2022 um die Ecke. Für den Bereich Energie hatte der Branchenverband BDEW sogar schon vor Weihnachten die Emissionsdaten verkündet, bei denen die letzten Tage des Jahres hochgerechnet wurden.
Mitte März will das Umweltbundesamt (UBA) nun die vorläufige offizielle CO2-Bilanz für 2022 vorlegen. Dies wird – wie inzwischen gewohnt – ebenso hektische wie weitgehend ergebnislose Aktivitäten in den Ministerien auslösen, die ihre vom Klimaschutzgesetz vorgegebenen CO2-Budgets überzogen haben.
Allerdings wird die Bilanz unvollständig bleiben. Fehlen werden die 2022er Emissionen aus dem Bereich "Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft", englisch kurz LULUCF. Hier geht es um Agrarflächen, Feuchtgebiete oder Wälder.
Die aktuellste Zahl dazu ist eine Schätzung des UBA für 2021. Danach entlastete die Landnutzung, vor allem der deutsche Wald, die Emissionsbilanz in dem Jahr um 11,5 Millionen Tonnen CO2. Diese Angabe sei aber "sehr unsicher", räumt die Behörde auf ihrer Website ein. Verlässliche Emissionsangaben für LULUCF gibt es derzeit nur bis 2020.
Es ist nicht so, dass bei den deutschen Klimazielen die Landnutzung keine Rolle spielt. Ihr Beitrag zur CO2-Minderung soll laut Klimagesetz bis 2030 auf 25 Millionen Tonnen im Jahr steigen, sich also mehr als verdoppeln.
Einen Großteil der Verdopplung soll die Wiedervernässung ehemaliger Moorböden bringen. Aus diesen gasen derzeit noch jährlich mehr als 50 Millionen Tonnen CO2 aus. Die Menge soll 2030 um fünf Millionen Tonnen niedriger liegen und so die LULUCF-Bilanz deutlich verbessern.
Bis 2030 sind noch acht Jahre Zeit. Rein rechnerisch müssten die Emissionen aus Mooren also jedes Jahr um mehr als 600.000 Tonnen sinken. Das ist der Maßstab.
Moore werden nicht extra ausgewiesen
Was dazu letztes Jahr schon erreicht wurde oder wie zumindest der bundesweite Trend bei vernässten Mooren aussieht, kann bis dato niemand sagen. So lassen sich Anfragen an diverse Behörden zusammenfassen.
Das für die deutsche CO2-Bilanzierung zuständige Umweltbundesamt befasst sich gar nicht speziell mit den Mooren, teilt die Behörde mit. Das UBA lässt die LULUCF-Bilanz, vereinfacht gesagt, so bestimmen: Über die Landfläche Deutschlands wird ein Stichproben-Netz mit rund 36 Millionen Punkten gelegt, die die verschiedenen Landnutzungen erfassen sollen und jeweils mit Emissionsfaktoren versehen werden.
Im Rahmen der UN-Klimaberichterstattung könnten kurzfristig wiedervernässte Flächen "nicht isoliert betrachtet werden", erklärt das UBA weiter. Das führt zur Frage: Wer betrachtet dann die Moore "isoliert"?
Möglicherweise sind es die für den Moorschutz Zuständigen, die Bundesländer. Entscheidend für die deutsche Moorbilanz sind dabei die Länder mit den höchsten Anteilen an ehemaligen Moorböden: Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg im Norden, Bayern und Baden-Württemberg im Süden.
Auf die Nachfrage, wie viele Hektar Moorfläche 2022 vernässt wurden und wie viel CO2 damit potenziell eingespart wurde, antworteten die zuständigen Ministerien Niedersachsens und Bayerns gar nicht.
Aus Baden-Württemberg kam die barsche Auskunft, man solle sich an die vier Regierungspräsidien im Bundesland wenden.
Brandenburg versprach wenigstens, die Daten selbst aus "nachgeordneten Behörden" einzusammeln. Einen Monat später lassen die Angaben aber weiter auf sich warten.
Aus Grünland wird "nasses" Grünland, kein Moor
Dagegen lohnte sich bei Mecklenburg-Vorpommern das Warten. Das Umweltministerium teilt allerdings mit, die nach einem Monat übermittelten Daten seien nicht vollständig, weil das Landesumweltamt zwar teilweise die "Bewilligungsbehörde", aber keine "Genehmigungsbehörde" für Wiedervernässungsprojekte von Landkreisen, Stiftungen oder Unternehmen sei.
Anders gesagt: Was in Mecklenburg-Vorpommern mit ehemaligen Mooren passiert, kann die Landesregierung erfahren, muss sie aber nicht.
Unter dem Vorbehalt teilt das Ministerium in Schwerin mit: 2022 seien sechs abgeschlossene Moor-Projekte mit einer Gesamtfläche von 186 Hektar bekannt. Davon seien 112 Hektar intensiv bewirtschaftetes Grünland gewesen, die nun künftig "nasses" Grünland würden.
Letzteres ist keine echte Wiederherstellung eines Moores. Steht beim "nassen" Grünland das Wasser den größten Teil des Jahres in der Flur, liegen die Emissionen klimaschädlicher Gase bei plus/minus null, wie das Ministerium erläutert. Es bildet sich aber kein neuer Torf. Zu einer CO2-Senke und damit zu einem richtigen Klimaschützer entwickelt sich das Moor also nicht.
Wie viel CO2 durch die Vernässungen eingespart wurde, kann das Schweriner Umweltministerium nicht beziffern. Die Messung der Treibhausgas-Emissionen werde in Zukunft aber Teil der Förderinstrumente sein, lässt es wissen.
Länder bauen Informationssysteme auf
Nur ein einziges der großen Moorländer weiß offenbar genauer, was 2022 mit den Mooren im Lande passierte: Schleswig-Holstein.
Für den Großteil der Wiedervernässung im Land zeichne die Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein verantwortlich, erläutert das Umweltministerium in Kiel. Lediglich die Aktivitäten kleinerer Vereine und Initiativen für den Moorschutz würden nicht zentral erfasst.
Nach den Angaben wurde in Schleswig-Holstein auf 330 Hektar mit der Wiedervernässung begonnen. Das werde mittelfristig rund 3.600 Tonnen CO2 pro Jahr vermeiden, rechnet das Ministerium sogar vor.
Möglicherweise wird es künftig leichter, sich durch den Daten-Sumpf bei den Mooren zu kämpfen. Die Länder seien dabei, Moor-Informationssysteme aufzubauen, ist von der Bundesebene zu hören. Die sollen künftig einen Überblick über durchgeführte und geplante Maßnahmen im Moorschutz erlauben – und auch über erzielte Treibhausgaseinsparungen.
Große Eile scheinen die Länder aber nicht an den Tag zu legen. Wer steht schon gern mit verpassten Klimazielen in der Öffentlichkeit, wie in den letzten Jahren die Bundesministerien für Verkehr oder Bau mit ihren überzogenen CO2-Budgets? Zumal Klimaschützer die fünf Millionen Tonnen Moor-Einsparung für ein viel zu schwaches Ziel halten, wenn Deutschland bis 2045 klimaneutral werden will.
Da ist es doch besser, kritische Fragen im Daten-Sumpf versacken zu lassen.