Marika Lewandowski ist froh, "Strom vom Druiberg" zu bekommen. Die Elektrizität ist CO2-frei, regional – und auch noch preiswert.

Die Einzelhandelskauffrau aus Dardesheim in Sachsen-Anhalt und ihr Ehemann Sascha waren erleichtert, als sie während der jüngsten Energiekrise die Chance bekamen, als Bürger der Stadt Osterwieck, zu der Dardesheim zählt, Strom direkt vom örtlichen Energieunternehmen, dem Windpark Druiberg, zu beziehen. "Das war eine große Hilfe", sagt die 41-Jährige.

 

Nur 28 Cent kostete die Kilowattstunde Strom aus der Steckdose hier, während bei anderen Anbietern die Preise förmlich explodiert waren. Die Dardesheimer "Strompreisbremse" war damit noch deutlich zupackender als die, mit der die Bundesregierung die Bürger zu schützen versuchte, hier wurde der Preis erst bei 40 Cent gedeckelt.

Und auch heute, da sich die Lage am Strommarkt beruhigt hat, kommen die Kunden mit diesem weiterhin gültigen Preis noch gut weg, zumal Nutzer von Wärmepumpen und E-Autos wie die Lewandowkis dafür sogar nur 22 Cent zahlen müssen.

Kein Wunder: Mehr als zwei Drittel der Stromkunden vor Ort sind inzwischen zum lokalen Anbieter gewechselt, darunter auch das größte Unternehmen, eine Spedition mit hohem Kühl- und damit Strombedarf. Sie alle sparen Geld.

Investoren ohne regionale Bindung bleiben draußen

Doch das ist nicht die einzige Besonderheit, die Dardesheim mit seinen Nachbarorten Badersleben und Rohrsheim sowie deren Windpark auszeichnet. Die Ortschaften liegen in dem leicht hügeligen Gelände am Fuße des Harzes, das für die Nutzung der erneuerbaren Ressource sehr geeignet ist.

In einigen Kommunen dieser strukturschwachen Region drehen sich hier Windräder. Doch in Osterwieck haben die Initiatoren des Windparks von Anfang an darauf geachtet, dass alle Menschen vor Ort davon auch profitieren: die einzelnen Bürger, Vereine, die ganze Kommune.

Höher als die Kirche? Hier in Dardesheim diskutiert man über andere Dinge. (Bild: Tewebs/​Wikimedia Commons)

Ein ganz anderes Modell als sonst meistens üblich. Fremde Investoren, die Windräder vor allem bauen, um Profit zu machen, und den Großteil des erwirtschafteten Geldes aus der Region abziehen, kamen hier nicht zum Zuge. Die Folge: Die Windenergie hat hier auch bei den direkten Anwohnern ein überaus positives Image.

Die Idee, die Windkraft zu nutzen, gab es in Dardesheim schon lange. Bereits Ende der 1980er Jahre, kurz vor der Wende, wollte ein Bürger, Karl Radach, dort eine kleine Anlage errichten. Sein Antrag wurde abschlägig entschieden. Private Energiegewinnung passte den DDR-Verantwortlichen nicht ins Konzept.

Doch Radach ließ nicht locker. Nach der Einheit beantragte er erneut eine Genehmigung, und 1994 ging eine Zweiflügel-Anlage der Firma Lagerwey mit 40 Metern Masthöhe in der Nähe von Radachs Wohnhaus auf dem Dardesheimer Butterberg in Betrieb.

Bereits ein Jahr später folgten drei weitere Rotoren, in der gleichen Gemarkung, aber schon deutlich leistungsstärker. Damit erzeugte das damals noch selbstständige Städtchen rechnerisch schon mehr Strom, als in der Kommune verbraucht wurde.

Windparkbetreiber zahlt freiwillig mehr

Heute stehen auf dem besonders windhöffigen Druiberg, der genau zwischen Dardesheim und den beiden anderen Ortschaften liegt, 43 große Windkraftanlagen. 37 davon werden von der Windpark Druiberg GmbH & Co KG betrieben, deren technischer Leiter Thomas Radach ist, der Sohn des Erneuerbaren-Pioniers Karl Radach. Sie zahlt nicht nur die übliche Gewerbesteuer in die Stadtkasse, sondern freiwillig weitere Anteile am Gewinn.

Schätzungsweise 600.000 bis 800.000 Euro fließen insgesamt an Osterwieck. Der Bürgermeister der Stadt, Dirk Heinemann (SPD), weiß das zu schätzen: "Wir sind eine der wenigen Kommunen im Landkreis mit ausgeglichenem Haushalt", sagt er.

Weiteres Geld, rund 100.000 Euro pro Jahr, wird an die Vereine in den drei Windpark-Orten ausgeschüttet. Es fließt dort jeweils an einen Förderverein, in dem über die Verwendung alljährlich vor der Auszahlung intensiv beraten und demokratisch abgestimmt wird.

Einigkeit (v.r.): Ortsbürgermeister Olaf Beder (Badersleben), Ralf Voigt (Dardesheim), Hans-Jörg Gifhorn (Rohrsheim) und Fördervereinschefs Heimo Kirste (Dardesheim), Wolfgang Bock (Rohrsheim), Bernd Knoop (Badersleben). (Bild: Windblatt)

Die Bürgerinnen und Bürger profitieren nicht nur abstrakt durch den ausgeglichenen städtischen Haushalt, sie haben auch ganz konkret etwas von den "Windfall-Profits". In Badersleben und Rohrsheim erhalten zum Beispiel die dort vorhandenen Schwimmbäder Zahlungen des Windpark-Unternehmens, in Badersleben wurde eine historische Windmühle gekauft und zu einem Begegnungszentrum ausgebaut, Geld fließt auch an die Feuerwehr, die städtischen Kitas oder in den Straßenbau.

Stadtbürgermeister Heinemann sagt: "Wer auf den Windpark guckt, soll auch was davon sehen." Und das scheint auch gut zu funktionieren. Gegner der Windenergie gibt es in Osterwieck kaum, anders als in anderen Orten der Region, wo etwa die "Bürgerinitiative Gegenwind Nordharz" mächtig Stimmung gegen den Bau von Anlagen macht.

Als unlängst die Pläne ausgelegt wurden, auf dem Druiberg 30 alte Windräder abzubauen und 13 neue, allerdings deutlich größere aufzubauen, um die Stromausbeute zu erhöhen, gab es keine einzige Einwendung. "Wir sind ein wenig wie das gallische Dorf", meint dazu augenzwinkernd Heimo Kirste, Vorstand des Dardesheimer Fördervereins. Bekanntermaßen ziehen dort, in der Comicserie, auch alle an einem Strang.

"Nur so kommen die Erneuerbaren schnell genug voran"

In Osterwieck ist inzwischen festgeschrieben, dass Erneuerbaren-Projekte der Region zu dienen haben. Die vom Stadtrat 2023 einstimmig beschlossene Leitlinie für Windkraft- und Solarprojekte legt fest, dass dabei alle Interessengruppen der Kommune beteiligt und Mehrheitsbeteiligungen externer Investoren verhindert werden sollen.

Ausdrücklich heißt es darin, Ziel sei eine "faire Teilhabe aller Betroffenen und Anwohner, besonders auch der nicht unmittelbar profitierenden Grundstückseigentümer".

Osterwieck

Die sachsen-anhaltische Einheitsgemeinde Stadt Osterwieck hat 20 Ortsteile und Ortschaften, zwei davon grenzen direkt an den Druiberg-Windpark an. Eine weitere vom Windpark tangierte Ortschaft, Badersleben, gehört zur Nachbargemeinde Huy. Osterwieck liegt im nördlichen Harzvorland und ist 213 Quadratkilometer groß, was knapp einem Viertel der Fläche Berlins entspricht. Die Einwohnerzahl liegt bei knapp 11.000, im Jahr 2000 waren es in den damals noch selbstständigen Gemeinden noch insgesamt 16.000. Der Ortsteil Dardesheim hat rund 800 Einwohner.

Beim Druiberg-Windpark war das auf jeden Fall so, und es wird auch künftig so sein, wie einer der ursprünglichen Initiatoren, Heinrich Bartelt, versichert. "Die Wertschöpfung soll vor Ort bleiben", sagt der Geschäftsführer der Windpark-GmbH, die inzwischen auch Solaranlagen betreibt.

Bartelt empfiehlt das Osterwiecker Modell bundesweit. "Nur dadurch, dass die Vorteile bei den Bürgerinnen und Bürgern spürbar ankommen, kann man die Energiewende ausreichend beschleunigen."

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz sieht zwar inzwischen vor, dass betroffene Kommunen mit gewissen Anteilen am Umsatz beteiligt werden sollen. Doch diese Regelung reiche nicht aus, sagt Bartelt. Ein Modell wie das aus Osterwieck zeige: "Da ist mehr drin."

Bartelt, so darf man annehmen, kennt sich aus. Er ist einer der Windpioniere hierzulande, war 1996 einer der Mitbegründer des Windenergieverbandes BWE und zeitweise sein Hauptgeschäftsführer.

"Energiewende kann Spaß machen"

Das Modell findet übrigens viel Interesse, national und international. "Dardesheim ist mit seinen Erfahrungen auch für die Landespolitik wichtig", betont Marko Mühlstein, Geschäftsführer der Landesenergieagentur Sachsen-Anhalt (Lena). Die Kommune sei mit ihrem Energiekonzept ein "Motor im Land". Man sehe hier, dass "die Energiewende Spaß machen kann".

Tatsächlich sprechen nicht nur die finanziellen Vorteile für das Druiberg-Konzept. Eine ehemalige sowjetische Radarstation auf dem Windparkgelände wird an vielen Wochenenden im Jahr für Veranstaltungen genutzt, die teils auch überregional anziehen. 2009 fand hier das "erste Ökostromfestival Deutschlands statt", heute gibt es regelmäßig Events mit bis zu 5.000 Teilnehmern, etwa das "Funkloch-Festival", den "Rock im Mai" und das "Fabel-Festival".

Inzwischen haben zahlreiche Delegationen aus 55 Ländern Dardesheim besucht, das sich seit 2006 "Stadt der Erneuerbaren Energien" nennt. Auch aus China, Indien und Südkorea waren schon Gruppen hier, um die Energiewende made in Osterwieck zu studieren.

Die Lewandoswkis wohnen übrigens rund einen Kilometer vom Windpark entfernt. Wenn der Wind aus dieser Richtung kommt, hören sie schon Geräusche, die von den Rotoren stammen. "Aber es stört nicht wirklich", sagt Marika Lewandowski, "und wir schlafen bei offenem Fenster". Und sie kenne auch sonst niemand, der sagen würde, "der Windpark ist doof".