Trotz zahlreicher eigener Förderprogramme und politischer Weichenstellungen für den Import von Wasserstoff wird Deutschland seine Wasserstoffhochlauf- und Importziele aller Wahrscheinlichkeit nach verfehlen. Dafür gibt es jede Menge Anzeichen.
In ihrem Mitte November veröffentlichten Wasserstoffbericht sagt die Europäische Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden ACER voraus, dass die EU ihre Ziele für die Produktion und den Einsatz von grünem Wasserstoff bis 2030 nicht erreichen wird.
Der aktuelle Wasserstoffbericht der Internationalen Energieagentur IEA bestätigt den stockenden Hochlauf des Wasserstoffmarktes. Weltweit haben bisher nur vier Prozent der avisierten Wasserstoffprojekte eine finale Investitionsentscheidung oder befinden sich im Bau.
Die Pipeline, die sogenannten blauen Wasserstoff von Norwegen nach Deutschland transportieren sollte und auf die Deutschland große Hoffnungen gesetzt hatte, wurde vor ein paar Wochen endgültig abgesagt. Aber wenn es nicht einmal einen "Business Case" für blauen Wasserstoff aus Norwegen gibt, wofür dann?
Die Absage ist eine weitere Hiobsbotschaft für den Markthochlauf der Wasserstoffbranche. Aus Politik und Industrie werden nun Stimmen laut, die eine Abschwächung von bestehenden Umweltstandards für die Wasserstofferzeugung fordern oder weitere Vorgaben ablehnen, um den Aufbau der H2-Produktion zu beschleunigen.
Standards abzusenken ist keine zukunftsgerichtete Wirtschaftspolitik
Ein Abbau von Standards wäre aber völlig falsch und könnte sogar dazu führen, dass Wasserstoff, anstatt zur Energiewende beizutragen, die Klimakrise noch anfeuert. Wasserstoff unter Standards zu produzieren, die keinen Beitrag zum Klimaschutz gewährleisten, führt die ganze Idee ad absurdum.
Blauer Wasserstoff, hergestellt aus fossilem Erdgas, kann laut unabhängigen Studien sogar eine schlechtere Klimabilanz haben, als wenn dieses Gas direkt eingesetzt und verbrannt würde. Er trägt daher nicht zur Energiewende bei.
Und selbst grüner Wasserstoff ist nicht vollständig klimaneutral. Entweicht Wasserstoff unverbrannt durch Leckagen bei der Produktion, beim Transport oder bei der Speicherung in die Atmosphäre, hat auch er eine negative Klimawirkung.
Machen wir einen Schritt zurück: Warum brauchen wir Wasserstoff überhaupt? Es geht bei seinem künftigen Einsatz nicht darum, einen neuen Wirtschaftszweig aus dem Boden zu stampfen.
Vielmehr ist das Ziel, die CO2-Emissionen in einigen klar umrissenen Anwendungsbereichen wie der Stahlproduktion und der Schifffahrt herunterzufahren. Wasserstoff als Energieträger ist kein Selbstzweck, sondern soll fossile Energien dort ersetzen, wo Elektrifizierung keine Option ist.
Sascha Müller-Kraenner
ist seit 2015 Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Der studierte Biologe ist seit über 30 Jahren umweltpolitisch aktiv und war zuvor für den Deutschen Naturschutzring, die Heinrich-Böll-Stiftung und die US-Naturschutzorganisation The Nature Conservancy in leitenden Positionen tätig.
Die Gründe dafür, dass sich der Wasserstoffmarkt nicht so schnell entwickelt wie erhofft, sind zum einen die Unsicherheit, ob er zu einem Preis abgenommen wird, mit dem die hohen Investitionskosten gedeckt werden, und zum anderen das notwendige hohe Tempo beim Ausbau erneuerbarer Kapazitäten.
Dabei wäre es sogar grundlegend falsch und schädlich, jetzt die Bedingungen für grünen Wasserstoff abzuschwächen, wie Bundeswirtschaftsminister Habeck in einem Brief an die Europäische Kommission gefordert hat. Vertrauen in die Regulierung und Planungssicherheit sind für den Aufbau eines neuen Marktes essenziell.
Eine Politik, die Wasserstoff um jeden Preis fördert, ist nicht mit den Klimazielen vereinbar und damit auch keine zukunftsgerichtete Wirtschafts- und Industriepolitik. Grüner Wasserstoff wird ein knappes und teures Gut sein.
Eine Förderung, die auch blauen oder andere nicht-grüne Arten von Wasserstoff unterstützt, ist nicht tragbar. Sie ist nicht zielgerichtet, wird Unmengen an Geld verschlingen und es den nicht elektrifizierbaren Sektoren letztlich erschweren, den Wasserstoff zu beziehen, den sie zur Dekarbonisierung dringend brauchen.
Umwelt- und Entwicklungsinteressen der Exportländer achten
Beim Aufbau der Wasserstoffimportrouten ist es wichtig, neben den deutschen und europäischen Interessen an der Dekarbonisierung auch die Umwelt- und Entwicklungsinteressen der Exportländer in den Blick zu nehmen. Dafür notwendig sind zum Beispiel Umwelt- und Sozialstandards, die sicherstellen, dass die Wasserstoffproduktion nicht die lokale Wasserversorgung oder Umwelt bedroht.
Neben erneuerbarem Strom benötigt die Elektrolyse viel Wasser, und zwar Reinstwasser. Dennoch sind laut dem IEA-Bericht 40 Prozent der Elektrolyse-Projekte in trockenen Gegenden geplant. Das stellt die Projektierer und die beteiligten Länder vor technische Herausforderungen und erfordert eine besondere Sorgfalt bei der Prüfung von Umwelt- und Menschenrechtsaspekten.
Die Produktion von Wasserstoff und seinen Derivaten bietet enorme Entwicklungschancen, gerade in wenig industrialisierten Ländern mit hoher Erneuerbaren-Kapazität. Partnerschaften auf Augenhöhe bedeuten auch Wertschöpfung in den Partnerländern und Schaffung lokaler Arbeitsplätze. Deutschland sollte seiner internationalen Verantwortung bei der Förderung von Wasserstoffvorhaben gerecht werden, Menschenrechte und Umweltstandards einhalten und betroffene Bevölkerungsgruppen bei Projekten einbeziehen.
Vor dem Hintergrund der beschränkten Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff und seiner hohen Kosten gilt: Weniger ist mehr.
Wasserstoff wird relativ zu den Preisen erneuerbaren Stroms ein teures Gut bleiben und sollte deshalb nur dort eingesetzt werden, wo nicht elektrifiziert werden kann. Um dies sicherzustellen, müssen diese Sektoren gezielt gefördert werden.
Langfristig wird Deutschlands Strategie für eine klimaneutrale (globale) Wirtschaft beinhalten, manche energieintensiven Prozesse der Industrie dorthin auszulagern, wo mehr erneuerbare Kapazitäten vorhanden sind. Neben dem Import teuren grünen Wasserstoffs wird in Zukunft der Import grüner Vorprodukte eine größere Rolle in der industriellen Produktion in Europa spielen.
Wir benötigen eine langfristig belastbare Regulierung und eine gezielte Förderung für den Hochlauf von grünem Wasserstoff zur Dekarbonisierung der deutschen und europäischen Industrie.