Schaut man aufs energiepolitische Chaos in Berlin, reibt man sich verwundert die Augen. Im Frühjahr schon hatte die Energiebranche darauf aufmerksam gemacht, dass die deutlich gestiegenen Preise an den Energiemärkten zum Jahreswechsel 2022/2023 bei den Verbraucher:innen ankommen werden.
Da wäre Zeit genug, um eine politische Lösung zu entwickeln. Sollte man zumindest denken.
Tatsächlich aber wurden erst in den letzten Wochen mit der Strom- und Gaspreisbremse konkrete Vorschläge erarbeitet, um die Bürger:innen und Unternehmen zu entlasten.
Ende November hat das Bundeskabinett die Gesetzentwürfe verabschiedet. Bis Mitte Dezember sollen sie durch Bundestag und Bundesrat gepeitscht werden.
Mit heißer Nadel wurden hochkomplexe Lösungen gestrickt, die nicht nur in der Umsetzung kompliziert, sondern in Teilen auch verfassungswidrig sind. Ob der Zeitplan einzuhalten ist, ist fraglich.
So kündigte CDU-Chef Friedrich Merz an, die Unionsfraktion werde die Gesetzentwürfe genau prüfen. Merz stellt auch die Verfassungskonformität der Ampel-Vorschläge infrage. Zu Recht.
Umstritten ist vor allem die Finanzierung der Strompreisbremse. Die Bundesregierung will die von der EU beschlossene Erlösabschöpfung im Strommarkt in einer deutlich verschärften Form umsetzen. So liegen die von der Bundesregierung vorgesehen Erlösobergrenzen je nach Technologie deutlich unter den von Brüssel angedachten 180 Euro pro Megawattstunde – was 18 Cent pro Kilowattstunde entspricht.
Das Erlösmodell ist kompliziert. Für EEG-geförderte Wind- oder Solarprojekte wird der sogenannte anzulegende Wert als Referenzpreis angenommen. Der liegt aktuell bei neuen Windparks an Land und Solarparks zwischen 50 und 60 Euro pro Megawattstunde.
Nicht geförderte Anlagen werden bei 100 Euro gedeckelt. Zusätzlich ist für Wind- und Solarprojekte ein "Sicherheitszuschlag" von 30 Euro sowie wie ein Aufschlag von vier Prozent des aktuellen Marktpreises vorgesehen. Für Biogasanlagen liegen die Werte deutlich höher.
Fossile dürfen ihre Kosten geltend machen, Erneuerbare nicht
Besonders ins Auge fällt in den Gesetzentwürfen der Bundesregierung die Ungleichbehandlung erneuerbarer und fossiler Energien. Denn parallel zur Erlösabschöpfung bei Wind, Solar und Biomasse plant die Regierung eine 33-Prozent-Steuer auf Übergewinne von Öl-, Gas- und Kohlekonzernen.
Die Folge: Bei den Fossilen wird "nach Kosten" abgeschöpft, diese dürfen alle Kosten "einpreisen", bevor der übrigbleibende Gewinn zu einem Drittel besteuert wird – aber nur der Teil des Gewinns, der deutlich über dem des Vorjahres liegt.
Bei erneuerbarem Strom sollen dagegen "vor Kosten" direkt die Erlöse abgeschöpft werden. Warum wird hier ein Unterschied gemacht?
Während eine Steuer auf Übergewinne rechtssicher ist, ist es die Erlösabschöpfung nicht. Ein von Lichtblick in Auftrag gegebenes Gutachten der renommierten Kanzlei Raue kommt denn auch zum Ergebnis, dass es sich bei der geplanten Erlösabschöpfung um eine verfassungswidrige Sonderabgabe handelt.
Die Kanzlei kritisiert weiter: "Der geplante Abschöpfungsmechanismus führt zu tiefgreifenden Verzerrungen auf dem deutschen Strommarkt. Folge dieser Entwicklungen sind steigende Strompreise für Letztverbraucher:innen, eine Behinderung des weiteren Ausbaus von Erneuerbare-Energien-Anlagen sowie im Einzelfall die Zahlungsunfähigkeit der Anlagenbetreiber."
Das Bundeswirtschaftsministerium scheint aus vergangenen regulatorischen Desastern auch nichts gelernt zu haben. Zuletzt war Ende September die geplante Gasbeschaffungsumlage kassiert worden – nicht zuletzt aus ähnlichen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Knappe Herkunftsnachweise verteuern Ökostrom
Anstoß nimmt das Raue-Gutachten auch an der Abschöpfung "fiktiver Erlöse" bei sogenannten Power Purchase Agreements (PPA). Das sind Verträge, bei denen Strom direkt zu fest vereinbarten Preisen geliefert wird.
Die EU-Notfallverordnung lässt dagegen nur die Abschöpfung "realisierter" Erlöse zu, um ein Einbrechen des wichtigen PPA-Marktes zu verhindern.
Ein derartiges Szenario droht aber durch den Vorschlag der Bundesregierung: Angenommen, der Betreiber eines bestehenden Windparks will über einen längeren Zeitraum ein PPA zu einem festen Preis von 120 Euro pro Megawattstunde abschließen.
Die Regierung will nicht den vereinbarten Preis, sondern den kurzfristigen Spotmarkt-Börsenpreis für die Abschöpfung heranziehen. Eine mögliche Folge: Liegt der Spotpreis bei 300 Euro, würden davon nach dem im Gesetz vorgesehenen Mechanismus rund 164 Euro abgeschöpft. Dass der Windpark-Betreiber nur 120 Euro einnimmt, bliebe unberücksichtigt. Diese Regelung soll für alle PPA gelten, die ab dem 1. November 2022 abgeschlossen werden.
Die Konsequenz: Betreiber von Erneuerbaren-Anlagen ziehen sich aus dem langfristig orientierten PPA-Markt zurück und weichen auf den Spotmarkt aus.
Ralph Kampwirth
leitet beim Ökostromanbieter Lichtblick die Öffentlichkeitsarbeit. Er war zuvor Pressesprecher der Naturschutzstiftung WWF.
Mit dem damit verbundenen Wechsel der Vermarktungsform entfallen auch die Ökostrom-Herkunftsnachweise. Ohne die Möglichkeit, Herkunftsnachweise zu generieren, stünde aber allen Versorgern am Ende weniger Ökostrom für ihre Kundi:nnen zur Verfügung.
Zum Hintergrund: Herkunftsnachweise lässt der Gesetzgeber nur zu, wenn der grüne Strom frei im Markt gehandelt wird. Im Gegensatz dazu erhält EEG-geförderter Strom keine Herkunftsnachweise und kann deshalb auch nicht als Ökostrom an Endverbraucher:innen vermarktet werden.
Der Rückzug von Wind- und Solarerzeugern aus dem PPA-Markt und die Verknappung von Herkunftsnachweisen treiben die Strompreise für Endkund:innen mittelfristig in die Höhe.
Der PPA-Markt ist bereits in den letzten Wochen zum Erliegen gekommen. Anlagenbetreiber und Stromhändler sind aufgrund der vorgesehenen Markteingriffe zutiefst verunsichert.
Frei finanzierte Solarprojekte werden unwirtschaftlich
Eine ebenfalls im Auftrag von Lichtblick erstellte Analyse des Beratungsunternehmens Enervis zeigt darüber hinaus, dass die Erlösabschöpfung auch Solarprojekte gefährdet, die sich bereits über PPA finanzieren.
Viele Betreiber beteiligen sich mit ihrer Photovoltaik-Anlage zwar an einer EEG-Ausschreibung, die dort vergebene EEG-Vergütung ist aber aufgrund steigender Kosten oft nicht mehr auskömmlich. Diese Vergütung ist für viele Anlagen deswegen nur eine Art Rückfall-Option, die eine Basisfinanzierung sichert.
Um die gesamte Finanzierung sicherzustellen, greifen die Betreiber eben auf PPA zurück. Werden die PPA-Einnahmen aber mit der Strompreisbremse abgeschöpft, können die Betreiber laufende Kredite nicht mehr bedienen. "Der Projektgesellschaft eines Photovoltaik-Parks droht damit innerhalb der bereits geschlossenen Verträge kurzfristig nach Greifen der Erlösabschöpfung eine Zahlungsunfähigkeit", so das Gutachten von Enervis.
Laut Lichtblick dürfte von diesen Effekten ein relevanter Teil jener Solarprojekte betroffen sein, die in den letzten ein bis zwei Jahren einen EEG-Zuschlag erhalten haben. Seit 2021 kann das Anlagen mit einer Nennleistung von insgesamt 3.500 Megawatt betreffen.
Ein weiteres Ergebnis der Enervis-Analyse: Der Bau typischer kleinerer Flächensolaranlagen an sonnenärmeren Standorten, etwa in Norddeutschland, rechnet sich für die Zeit der Erlösabschöpfung kaum noch. Bei einem Zwei-Megawatt-Park – der ist so groß wie etwa drei Fußballfelder – kann die erwartete Verzinsung des Eigenkapitals auf nur noch 1,5 Prozent sinken, wenn die Erlösabschöpfung bis Ende 2023 läuft.
Sollte diese noch verlängert werden, läuft die Rendite sogar gegen null. Folge: Der Bau zahlreicher Solarparks wird voraussichtlich auf die Zeit nach Ende der Erlösabschöpfung geschoben oder mit Blick auf die mögliche Verlängerung der Abschöpfung bis 2024 ganz aufgegeben.
Die tatsächlichen Gewinne besteuern
Schon jetzt reagieren die Banken auf die angekündigte Abschöpfung. Sie stellen Kreditzusagen infrage und erhöhen die Zinsen. Das treibt die Kosten der Energiewende.
Der zügige Ausbau der erneuerbaren Energien ist der Schlüssel, um die durch den russischen Angriffskrieg verschärfte Krise der fossilen Energien zu beenden, Deutschlands Abhängigkeit von Gas und Öl zu verringern und die Energiepreise wieder auf volkswirtschaftlich erträgliches Maß zu senken.
Die geplante Erlösabschöpfung erreicht das Gegenteil – sie verlangsamt die Energiewende und verteuert die Strompreise, vor allem die für Ökostrom, weil eine Verknappung der Herkunftsnachweise droht.
Rechtlich setzt sich die Bundesregierung der Gefahr einer Klagewelle aus. Statt riskante Eingriffe in die Wertschöpfungskette der Erneuerbaren vorzunehmen, sollte der Staat die tatsächlichen, durch die Krise gestiegenen Gewinne der Anlagenbetreiber zusätzlich besteuern. So, wie es auch bei der fossilen Industrie geplant ist.
Eine Steuerfinanzierung der Strompreisbremse wäre solidarisch, rechtssicher und würde auch die Energiewende nicht in Mitleidenschaft ziehen.