Claudia Kemfert vor verschwommener Bücherwand
Claudia Kemfert. (Foto: Oliver Betke)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Claudia Kemfert, Professorin für Energiewirtschaft und Chefin des Energie- und Umweltbereichs am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW.

Klimareporter°: Frau Kemfert, wir stehen am Anfang eines sogenannten Superwahljahrs: Mehrere Landtage und der Bundestag werden neu gewählt. Welche Chancen räumen Sie den Themen Energiewende und Klimaschutz dabei ein?

Claudia Kemfert: 2021 kann das entscheidende Klima-Superwahljahr werden. Trotz Pandemie war selbst in den USA Klimaschutz ein Top-Wahlkampfthema. Wir brauchen ja auch in der Tat einen Turbo, um unsere Klimaziele zu erreichen. Trotz vielfältiger Bemühungen haben wir noch immer eine Ambitions- und Umsetzungslücke.

Die Parteien sollten in einen Wettbewerb um die besten Ideen und Lösungen treten, damit die Bürgerinnen und Bürger die Wahl haben. In einigen Landesteilen entstehen ja schon neue Klimaparteien, die mehr Ehrgeiz beim Klimaschutz durchsetzen wollen.

Wir sind an einem Wendepunkt. Die Chance für einen echten Wandel ist da. Und die Bundesparteien haben es selbst in der Hand, dies klug und aktiv mitzugestalten.

Deutschland hat sein Klimaziel für 2020 erreicht, wenn auch vor allem durch die Corona-Pandemie. Endlich mal eine gute Nachricht?

Ja, Deutschland hat praktisch auf den letzten Metern noch schnell das Klimaziel erfüllt, 40 Prozent der Emissionen gegenüber 1990 einzusparen. Aber das lag eben in erster Linie an der Pandemie, nicht an Klimaschutzmaßnahmen.

Zwar wird nun nachgesteuert, aber auch da hinkt man schon wieder hinterher. Schließlich hat die Europäische Union ihr Klimaziel verschärft. Jetzt muss auch Deutschland noch mal nachlegen.

Die jüngste EEG-Reform hat zwar kurz vor knapp das Schlimmste abgewendet. Trotz einiger Verbesserungen wurden aber auch neue Stolpersteine geschaffen, zum Beispiel die reduzierte Ausbaumenge für Windenergie an Land, wenn es nicht genügend Gebote in den Ausschreibungen gibt.

So droht eine Abwärtsspirale in Gang zu kommen. Dabei müsste der Ausbau schneller vonstattengehen. Sonst laufen wir sehenden Auges in eine Ökostromlücke und die Energiewende wird unnötig behindert. Derartige Barrieren sollten so schnell wie möglich abgeschafft werden.

Zudem muss in puncto Klimaschutz nachjustiert werden, damit wir den Neustart nach der Pandemie für effektiven Klimaschutz nutzen. Wir können gleich drei Krisen mit einer Klappe schlagen: die Wirtschafts-, die Energie- und die Klimakrise. Klimaschutz schafft enorme wirtschaftliche Chancen.

Seit Jahresanfang läuft der deutsche CO2-Emissionshandel für die Bereiche der Wirtschaft, die der europäische Emissionshandel nicht abdeckt. Trotzdem sind die Preise für Kraftstoffe und Heizöl weiter niedrig, liegen teilweise unter denen vor Jahresfrist. Muss nachgesteuert werden?

Unbedingt! Eine ökologische Steuerreform, die umweltschädliche Subventionen abschafft und fossile Energien stärker besteuert, ist insgesamt überfällig. Leider hat man sich dazu bisher nicht durchgerungen. Und statt einer Steuer hat man die Einführung eines komplizierten und teuren nationalen Emissionsrechtehandels gewählt.

Der festgesetzte Zertifikatepreis ist mit 25 Euro und einem Anstieg auf 55 Euro pro Tonne CO2 im Jahr 2025 viel zu niedrig, um in ausreichendem Maße die wahren Klima- und Umweltschäden zu begleichen. Die liegen derzeit bei 195 Euro pro Tonne CO2, wie das Umweltbundesamt gerade berechnet hat. So kann nicht einmal ein Drittel der notwendigen Emissionsminderungen erreicht werden.

Außerdem sind die sozialen Ausgleichsmaßnahmen teilweise fragwürdig. Der Strompreis wird sinken, was auch die einkommensschwachen Haushalte entlastet. Doch dann gibt es noch die Erhöhung der Pendlerpauschale. Man baut dabei eine umweltschädliche Subvention aus – die auch noch einkommensstarke Haushalte überproportional bevorteilt.

Wichtig sind nun weitere Maßnahmen wie die Förderung des Schienenverkehrs, des ÖPNV, der energetischen Gebäudesanierung und der Ausbau der Ladeinfrastruktur. Und ein deutlich schnellerer Ausbau der erneuerbaren Energien.

Die Einführung eines CO2-Preises ist ein Schritt in die richtige Richtung, wenn auch ein zu zaghafter und teilweise ungerechter. Wir brauchen Kostenwahrheit und soziale Gerechtigkeit. Kluger Klimaschutz schafft beides.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Absolut überraschend ist, dass die Landesregierung im sonst so besonnenen und auf echten Klimaschutz ausgerichteten Mecklenburg-Vorpommern eine Schein-Umweltstiftung ins Leben ruft, die angeblich "Projekte zum Klimaschutz und zum Naturschutz in Mecklenburg-Vorpommern und vor den Küsten des Landes durchführen" will.

Diese "Stiftung Klimaschutz MV" soll nach den Worten der Landesregierung "ein Dach schaffen, unter dem viele gute Klimaschutz- und Umweltprojekte auf den Weg gebracht werden". Es geht jedoch in erster Linie um die Fertigstellung der Erdgaspipeline Nord Stream 2 aus Russland mithilfe dieser Stiftung.

Diese Pipeline als "Klimaschutzprojekt" zu verkaufen ist verblüffend, da der Import von fossilem Erdgas aus Russland den Energiewende- und Klimaschutzzielen zuwiderläuft. Der Umstieg auf erneuerbare Energien wird behindert. Wenn die Pariser Klimabeschlüsse umgesetzt werden sollen, muss der Anteil fossilen Erdgases sinken.

Statt Fake-Umweltstiftungen zu gründen, die dem Klimaschutz schaden, sollte man in MV weiter auf die bisherige Politik des konsequenten Ausbaus der erneuerbaren Energien setzen. Die beste Antwort auf fossile Energiekriege ist die Energiewende mit dezentralen erneuerbaren Energien in Deutschland. Auch und gerade in Mecklenburg-Vorpommern.

Fragen: Jörg Staude

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