Einige Menschen sitzen auf der Straße, hinter ihnen ein Tanklastzug, vor ihnen ein Transpatent:
Erdöl soll im Boden bleiben: Auch die Zufahrten zu mehreren Shell-Raffinerien im Rheinland waren blockiert. (Foto: No (S)hell On Earth)

Die Klimagerechtigkeitsbewegung hat am Wochenende mit mehr als einem Dutzend Aktionen industrielle Infrastruktur besetzt oder blockiert, unter anderem zwei Steinkohlekraftwerke.

In Berlin besetzten am Samstagmorgen etwa 20 Personen Anlagen des Heizkraftwerks Moabit in der Innenstadt. Mit der Aktion forderte die Gruppe "Direkte Aktion Berlin" nach eigenen Angaben "ein Ende des fossilen Kapitalismus". Ein Teil der Aktivisten verließ das Steinkohlekraftwerk schon am Abend, vier von ihnen blieben auch am Sonntag auf dem Gelände.

Die Polizei war mit bis zu 40 Einsatzkräften vor Ort, hielt sich aber zurück. Der Betreiber Vattenfall bestand nicht auf einer Räumung, weil das Kraftwerk derzeit wegen Wartungsarbeiten stillsteht – so die Begründung. Nach dem Ende der Aktion kamen die Beteiligten jedoch in Polizeigewahrsam. Am Sonntagabend waren nach den vorliegenden Informationen noch vier von ihnen in Gewahrsam. Wo genau sie in Berlin festgehalten werden, war am Abend nicht bekannt.

Ebenfalls am Samstagmorgen erkletterten Umweltschützer laut verschiedenen Medienberichten das Dach einer Kohleförderanlage des Großkraftwerks Mannheim. Es gelang ihnen, das Förderband für mehrere Stunden zu stoppen. Die Polizei beendet die Aktion gegen 10 Uhr, etwas später ging die Förderanlage wieder in Betrieb. Laut einem Gerichtsbeschluss sollen die Protestierenden zunächst bis heute um Mitternacht in Polizeigewahrsam bleiben. Für eine Verlängerung wäre ein weiterer Gerichtsbeschluss nötig.

Am Sonntagabend wurde auch ein dreitägiger Protest gegen die sogenannte Südspange der Autobahn A 21 bei Kiel beendet.

Zu dieser sowie einem guten Dutzend weiterer Aktionen, darunter vor einer Raffinerie, einem Zementwerk und einer Autofabrik sowie in dem Mannheimer Kraftwerk, hatte die Initiative "Zucker im Tank" unter dem Motto "Aufstand mit Abstand" aufgerufen. Wie die Gruppe erklärte, wollte sie mit dem Aktionswochenende vor allem darauf aufmerksam machen, dass konkrete und dringend nötige politische Handlungen fehlen, "damit es den Menschen besser geht und die Klimakatastrophe gestoppt wird".

Man wolle "kein Zurück zum Status quo vor Corona", erklärte die Gruppe. Die vergangenen Monate hätten gezeigt, dass es möglich sei, schnelle Veränderungen im Verhalten der Menschen, im Wirtschaften und in der Politik zu erreichen. Deswegen müsse die Klimakrise jetzt endlich auch wie eine Krise behandelt und der dringend benötigte Wandel von unten herbeigeführt werden.

"Große Konzerne wie Shell, Vattenfall oder Mercedes müssen zur Verantwortung gezogen werden. Die Aktionstage gehen zu Ende, aber der Kampf für Klimagerechtigkeit geht weiter", erklärte Mitorganisatorin Mara Güthen.

Neue Partei will radikalen Klimaschutz

In Berlin hat sich am Sonntagnachmittag die Partei "Radikal Klima" gegründet. Auf dem Gründungstreffen wurde ein Vorstand mit sechs Mitgliedern gewählt und ein Grundsatzprogramm beschlossen. Radikal Klima will bei den Berliner Abgeordnetenhauswahlen im Sommer 2021 antreten.

Im Programm spricht sich die neue Partei dafür aus, Berlin zu "einer klimagerechten, das heißt sozial gerechten und klimapositiven Stadt" zu machen. Es gehe darum, wissenschaftliche Erkenntnisse "über die Folgen unseres Handelns für Menschen, Ökosysteme und Klima" zu beachten und sofort zu handeln, um die drohende Klimakatastrophe zu verhindern.

Berlin solle seine Bevölkerung und seine Kieze darin bestärken, eine solche "radikal-fortschrittliche Transformation" gemeinsam zu gestalten. Unter anderem will sich Radikal Klima dafür einsetzen, Formen alternativen und solidarischen Wirtschaftens wie Genossenschaften oder Commons zu fördern. Die Stadt soll "radikal-fortschrittliche Wohlstandsindikatoren" entwickeln, die das Bruttoinlandsprodukt ablösen sollen.

Der Berliner Energiebedarf soll künftig zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien gedeckt werden. Diese Energie soll "größtenteils regional in der Metropolregion Berlin-Brandenburg gewonnen und gespeichert" werden, vor allem mit Photovoltaik-Anlagen auf städtischen Dächern und Windparks im ländlichen Raum.

Die Energieversorgung soll "weitgehend in Bürger:innenhand" sein. Alle bestehenden Gebäude in Berlin sollen warmmietenneutral und ohne Verdrängung nach höchsten Standards energetisch saniert werden.

"Kieze der kurzen Wege" sollen die Notwendigkeit individueller Mobilität reduzieren. Berlin soll seine Verkehrsplanung vorrangig auf den Rad- und Fußverkehr ausrichten und einen wachsenden Anteil der Innenstadt autofrei gestalten. Der gesamte städtische Verkehr soll CO2-frei werden.

Auf konkrete Instrumente, wie diese Ziele erreicht werden sollen, geht das Programm nicht weiter ein, Angaben zu steuerlichen oder ordnungsrechtlichen Maßnahmen finden sich darin nicht.

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