Ein selbstfahrender Auflieger transportiert ein schräg nach oben weisendes Windrad-Rotorblatt über die Landstraße von Heinzenberg nach Weilmünster.
Windausbau in Hessen, Sommer 2020: Selbstfahrer mit Rotorblatt. (Foto: Mark Mühlhaus/​Attenzione Photographers/​Windwärts)

Ein Goldgräberjahr für einen Teil der Windstrombranche war 2017. Denn in dem Jahr war es möglich, sich an den Ausschreibungen mit Windkraftprojekten zu beteiligen, ohne die sonst notwendige immissionschutzrechtliche Genehmigung vorlegen zu müssen.

Vordergründig sollte diese Ausnahmeregelung dazu dienen, auch kleineren Bürgerenergiegesellschaften eine Chance auf neue Windkraftprojekte zu geben – tatsächlich genutzt wurde sie damals nur von einigen wenigen großen Projektierern (Klimareporter° berichtete).

Diese riefen, formal gesetzeskonform, eine Reihe von Pseudo-Bürgergesellschaften ins Leben, die dank der Ausnahmeregelung den Löwenanteil der Zuschläge auf sich vereinten. Selbst die Bundesnetzagentur räumte 2017 ein, der "überwiegende Teil der Bürgerenergiezuschläge" gehe an Gesellschaften, aus deren Geboten ersichtlich sei, dass sie "zumindest organisatorisch einem einzelnen Projektierer zuzuordnen sind".

Schon damals machten Vermutungen die Runde, dass eine Vielzahl der buchstäblich an Land gezogenen Projekte gar nicht realisiert werden sollte, sondern dazu diente, die raren für Windkraft geeigneten Flächen vor der Konkurrenz zu sichern – und später dann unter der Hand möglicherweise meistbietend zu verkaufen. Das knappe Angebot an Windflächen ließe sich so zu Geld machen, ohne eine einzige Kilowattstunde Strom erzeugt zu haben.

Eine heute von der Fachagentur Windenergie an Land (FA Wind) vorgelegte Analyse zur gegenwärtigen Ausbausituation der Branche untermauert zumindest die Vermutung, dass es den "Bürgerenergiegesellschaften" wenig darum ging, die Projekte auch zu realisieren.

"Sehr hohe Ausfallrate" für 2017er Projekte erwartet

2017 seien durch die Bundesnetzagentur 2.820 Megawatt Windkraft bezuschlagt worden, bilanziert die Fachagentur, davon 2.688 Megawatt – also mehr als 90 Prozent – ohne die Genehmigung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz. Bis Ende Oktober 2020 seien von den 2017er Projekten "lediglich acht Prozent (232 Megawatt) realisiert", rechnet die FA Wind vor.

Aus ihrer Sicht gibt es einen krassen Unterschied zum Jahr 2018. Da hatte die Bundespolitik den Genehmigungsvorteil für die Bürgerenergie wieder außer Kraft gesetzt. Obwohl die 2018er Projekte – zusammen knapp 2.000 Megawatt – ein Jahr später ihre Zuschläge erhielten, sind bereits zwei Drittel dieser Vorhaben realisiert.

Auch wenn die Zuschläge für die 2017er Projekte rechtlich erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 verfallen, ist für die Fachagentur schon jetzt eine "sehr hohe Ausfallrate" bei der Realisierung der Projekte absehbar.

Einen Grund dafür sehen die Windexperten in der seitdem deutlich gestiegenen Windkraft-Förderung. Gab es 2017 für die Gewinner der Ausschreibungen eine – aus dem EEG-Topf bezahlte – Förderung von nur rund vier Cent für die eingespeiste Kilowattstunde, stieg diese Förderung inzwischen um zwei auf durchschnittlich sechs Cent.

Die deutliche Preisdifferenz lasse vermuten, dass kaum noch eine 2017er Anlage in Betrieb gehen werde, heißt es in der Analyse weiter. Wörtlich: "Nachdem von 730 Anlagen, die 2017 bezuschlagt wurden, bis dato 649 Anlagen noch ohne immissionsschutzrechtliche Genehmigung sind, dürfte dieses Ausschreibungsjahr für den Zubau weitgehend verloren sein." Umgerechnet dürften der Windbranche so etwa 2.500 Megawatt verloren gehen – also praktisch ein ganzes gutes Ausbaujahr.

Als weitere Ursache für den geringen Zubau nennt die Analyse die zahlreichen Klagen gegen genehmigte Projekte. Laut einer Branchenumfrage der Fachagentur von Mitte 2019 waren zu dem Zeitpunkt mindestens 325 Anlagen mit mehr als 1.000 Megawatt bundesweit beklagt worden. Hiervon konnten bis Ende Oktober 2020 erst 115 Megawatt in Betrieb gehen.

Windausbau zieht an, aber nicht genug

Trotz dieser – teilweise hausgemachten – Probleme klettert die Windbranche langsam aus dem tiefen Tal heraus. So legte nach Einschätzung der Fachagentur die neu genehmigte Windkapazität in den ersten neun Monaten dieses Jahres erheblich zu: Rund 480 Windturbinen mit etwas mehr als 2.000 Megawatt seien bundesweit genehmigt worden – mehr als im ganzen Jahr 2019.

Real ans Netz gingen von Januar bis Ende Oktober 2020 allerdings nur knapp 270 Anlagen mit zusammen rund 880 Megawatt – gegenüber 2019 ein Zubau-Plus von 70 Prozent, aber immer noch ein Minus von ebenfalls 70 Prozent zum Schnitt der vergangenen fünf Jahre. Zieht man noch die 2020 bisher stillgelegten Anlagen mit insgesamt 141 Megawatt ab, erreichte der sogenannte Nettozubau Ende Oktober gerade einmal 737 Megawatt.

Das ganze Jahr 2020, schätzt die Fachagentur, könnte am Ende noch auf einen Zubau von rund
1.500 Megawatt kommen – damit Deutschland sein Klimaziel für 2030 erreicht, ist allerdings nach vielfacher Expertenschätzung ein jährliches Plus von mindestens 4.000 Megawatt nötig.

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