Claudia Kemfert. (Foto: Stanislav Jenis)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Kuratoriums erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Claudia Kemfert, Professorin für Energiewirtschaft und Chefin des Energie- und Umweltbereichs am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW.

Klimareporter°: Frau Kemfert, am Freitag hat die Groko ihr Klimapaket im Bundestag beschließen lassen. Es soll die Bundesrepublik beim CO2-Sparen wieder in die Spur bringen. Gelingt das?

Claudia Kemfert: Um die verfehlten Klimaziele wieder einzuholen, muss noch viel geschehen. Die für 2030 geplante Senkung des CO2-Ausstoßes um 55 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 ist mit den beschlossenen Maßnahmen kaum zu erreichen. Wird nicht nachgesteuert, wird man sie deutlich verfehlen. Besonders beim Verkehr hapert es.

Positiv ist, dass es konkrete Sektorziele etwa für Verkehr und Landwirtschaft gibt, die regelmäßig überprüft werden. Gut ist, dass Ausbau-Deckel für Solarenergie – hoffentlich – ersatzlos gestrichen wird.

Gut ist auch, dass ab 2026 keine Ölheizungen mehr neu installiert werden dürfen, auch wenn das bedeutet, dass es noch bis 2055 Ölheizungen in Deutschland geben wird. Ebenfalls gut ist, dass die energetische Gebäudesanierung, die E-Ladeinfrastruktur und der ÖPNV finanziell stärker unterstützt werden.

Ihr Institut hat kritisiert, dass die Beschlüsse ärmere Bürger belasten und gut situierte besserstellen. Woran liegt das?

Um die Akzeptanz für den neuen CO2-Preis im Verkehrssektor zu steigern, wird die Pendlerpauschale erhöht. Davon profitieren vor allem Fernpendler mit höherem Einkommen. Die steuermindernde Mobilitätspauschale nützt Geringverdienern nichts, wenn sie nicht genug Geld verdienen, um Steuern sparen zu können. Das ist sozial ungerecht.

Sozial gerecht wäre ein pauschales Mobilitätsgeld pro Kopf, das unabhängig vom Einkommen ausgezahlt wird. Das würde Niedrigeinkommensbezieher spürbar entlasten und allen Menschen Anreiz geben, vom Auto auf Alternativen umzusteigen.

Wirkungsvoll und sozial gerecht wäre zudem eine viel deutlichere Stärkung des Schienenverkehrs und des ÖPNV. Davon profitieren alle, die Menschen und das Klima.

Grüne und Linke wollen über den Bundesrat noch Verbesserungen erreichen. Welche Chancen hat das? Was wäre am wichtigsten?

Es geht um einen höheren CO2-Preis und eine geringere Entlastung der Reichen. Ob das gelingt, ist fraglich. Wichtig wäre vor allem, dass sich der Bundesrat für den Ausbau der erneuerbaren Energien einsetzt.

Nach langer Verzögerung liegt nun auch der Entwurf für das Kohleausstiegsgesetz vor. Wie bewerten Sie das Papier?

Es ist enttäuschend. Es ist eher ein Gesetz für den Windenergie- als für den Kohle-Ausstieg: Die Fläche für Windräder wird massiv vermindert. Die 1.000-Meter-Abstandsregelung zur Wohnbebauung bedeutet, dass nahezu keine Windanlage mehr gebaut werden kann. Diese Regelung sollte ersatzlos gestrichen werden.

Was den Kohleausstieg angeht, setzt man komplett auf Freiwilligkeit – ohne jede Regelung, was passiert, wenn sich keine Freiwilligen melden. Viele sehr vernünftige und mühsam ausgehandelte Empfehlungen der Kohlekommission wurden nicht umgesetzt, etwa frei werdende CO2-Zertifikate stillzulegen oder neue Kohlekraftwerke wie Datteln 4 nicht ans Netz zu nehmen. Auch will man 2032 nicht mehr prüfen, ob der Kohleausstieg nicht schon 2035 möglich wäre. Der Gesetzentwurf bleibt also weit hinter den Möglichkeiten zurück.

Die Umweltverbände, die am Kohlekompromiss beteiligt waren, sind zu Recht empört. Vor allem das Abwürgen des Erneuerbaren-Ausbaus ist nicht mit den Klimazielen vereinbar. Übrigens sind nicht nur Umweltverbände empört, sondern auch zahlreiche Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften.

Die Windkraftindustrie ist in der Krise, der Hersteller Enercon hat 3.000 Entlassungen angekündigt. Droht ihr dasselbe Schicksal wie der Solarindustrie, die in Deutschland auch fast verschwunden ist?

Leider. Wir brauchen dringend das Gegenteil: Die Rahmenbedingungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien müssen massiv verbessert werden. Alles andere widerspricht jeglichen Klimaschutz-Bestrebungen.

Was müsste denn geschehen, um den Ökostrom-Anteil bis 2030 von derzeit 43 auf 65 Prozent zu bringen, wie es die Bundesregierung ja beschlossen hat?

Zuallererst braucht es einfachere und effizientere Förder- und Genehmigungssysteme und -prozesse. Nötig ist eine Verdopplung des Zubaus der erneuerbaren Energien.

Deswegen sollten mehr Vorrangflächen ausgewiesen werden, die ohnehin nah an existierende Infrastrukturen liegen und nicht in Konflikt mit Natur- und Umweltschutz sowie Bürgerinteressen liegen. So ließen sich viele Klagen und Verzögerungen vermeiden.

Außerdem wäre es gut, Kommunen und Bürger stärker finanziell zu beteiligen. Dafür muss eine bundeseinheitliche Regelung geschaffen werden, damit die erfolgreiche Initiative aus Mecklenburg-Vorpommern auch in anderen Bundesländern umgesetzt werden kann.

Die Fridays-for-Future-Bewegung wird nicht überflüssig?

Keinesfalls. Es ist noch ein langer Weg.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Die Entscheidung der Europäischen Investitionsbank EIB, ab 2021 keine fossilen Energieprojekte mehr zu finanzieren, kommt nach dem langen Hin und Her dann doch überraschend, ist aber absolut richtig und bahnbrechend. Es wird die Finanzmärkte nachhaltig verändern.

Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, ist es notwendig, dass jegliche Investitionen ab sofort nicht mehr in fossile, sondern nur noch in nachhaltige und erneuerbare Energien fließen. Deshalb ist die Entscheidung der EIB ein "Game Changer".

Europa will im Jahr 2050 treibhausgasneutral sein. Das kann mit dieser Entscheidung tatsächlich gelingen. Auch wenn noch immer eine Hintertür für fossiles Gas vorhanden ist, ist es dennoch ein wichtiger und notwendiger Schritt in die richtige Richtung.

Fragen:  Joachim Wille

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