Der Ende Februar begonnene russische Krieg gegen die Ukraine hat auch für Klima und Umwelt weitreichende Folgen. Die militärischen Handlungen verursachen vor Ort Umweltschäden, die unter anderem Boden, Wasser, Ökosysteme und die Fauna betreffen.
Treffer von Raketen und Artilleriegranaten sowie Kampfhandlungen in der Nähe von Kernkraftwerken können zu Katastrophen führen. Die Zerstörung von Industrieanlagen und städtischer Infrastruktur zieht chemische Verschmutzungen nach sich.
Indirekt wirkt sich der Krieg auch auf die Energie- und Ernährungssicherheit aus: Die Preise für Energie und Lebensmittel steigen. Versorgungsketten für viele Ressourcen und Rohstoffe werden zerstört.
Die militärischen Handlungen in den ukrainischen Agrarregionen, die Hafenblockaden und Ausfuhrbeschränkungen haben zur Folge, dass die Welt vor einer globalen Nahrungsmittelkrise steht. Vor dem Beginn des Konflikts gehörten Russland und die Ukraine zu den weltweit größten Lieferanten von Weizen und anderen Getreidesorten, von Sonnenblumenprodukten sowie Düngemitteln.
Vor dem Hintergrund der Sanktionen und des Embargos gegen fossile Brennstoffe aus Russland haben einige Länder den Kauf von Kohle, Öl und Gas aus Russland eingestellt. Im Gegenzug gehen andere Länder, besonders China und Indien, dazu über, mehr Öl aus Russland zu beziehen.
Frühere Importeure russischer Bodenschätze bemühen sich um eine Diversifizierung ihrer Lieferanten. Viele Länder investieren in die Infrastruktur für Flüssigerdgas (LNG), andere denken über einen verstärkten Einsatz von Kohle oder den Ausbau der Kernenergie nach.
Gleichzeitig gewinnen aber auch die Diskussionen über einen beschleunigten "grünen Übergang" und die weitere Förderung der erneuerbaren Energien, auch in lokalen und dezentralen Formen, an Bedeutung.
Ein weltweiter Ausbau der erneuerbaren Energien ist wichtig, um die Abhängigkeit des globalen Energiemarkts von einer kleinen Zahl von Brennstofflieferanten, den politischen Regimes in den jeweiligen Ländern und den Folgen der von ihnen getroffenen Entscheidungen zu verringern.
Der russische Einmarsch in die Ukraine macht die globale Energiewende zu einer immer dringlicheren Aufgabe.
Umweltpolitik in Russland hat globale Auswirkungen
Die militärischen Handlungen wirken sich aber auch auf Russland selbst aus, unter anderem auf die politischen Schwerpunkte und Maßnahmen in den Bereichen Ökologie und Klima.
Russland ist nach wie vor der fünftgrößte Treibhausgasemittent der Welt nach China, den USA, der Europäischen Union und Indien.
Was immer in Russland in der Wald-, Wasser- und Energiepolitik passiert, ist von globaler Bedeutung. Dazu gehören schmelzende Permafrostböden, schrumpfendes arktisches Eis, neue Risiken für fragile Ökosysteme, einschließlich derjenigen in der Arktis, sowie eine bedrohte biologische Vielfalt. Die Gesamtheit dieser Prozesse und Veränderungen ist für die "Gesundheit" des Planeten wichtig.
Offiziell bekennt sich die russische Regierung weiterhin zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens und zu einem Kurs in Richtung Dekarbonisierung, zur Emissionsreduzierung und Ökologisierung der eigenen Wirtschaft sowie zu weiteren Reformen im Naturschutzrecht.
Was aber passiert tatsächlich? Inwieweit stimmen reale Handlungen und politische Erklärungen überein? Welche Entwicklungen in den Bereichen Umwelt und Klima sind in Russland in den nächsten Jahren zu erwarten?
Im Rahmen des Projekts "Sustainable Russia" haben wir ein Dossier zusammengestellt, das die Veränderungen in der russischen Klima- und Umweltagenda analysiert.
Dazu haben wir elf Journalist:innen und Expert:innen aus Russland eingeladen, Aufsätze zu verschiedenen Aspekten der Umweltpolitik des Landes zu verfassen. Auf Wunsch der Autor:innen werden einige dieser Beiträge aus Sicherheitserwägungen unter Pseudonym veröffentlicht.
Angesichts einer Verschärfung der Gesetzgebung zu politischen Protesten und bei regierungskritischen Äußerungen in den Medien sowie im öffentlichen Raum wird es für die Menschen in Russland zunehmend schwieriger, sich zivilgesellschaftlich zu engagieren – auch ökologisch und in Bezug auf die Klimakrise.
Was wird aus den Ansätzen für "grünes" Wirtschaften?
Gleichzeitig versucht der russische Staat, zahlreiche Gesetzesnormen und Standards in der Naturschutzpolitik "zurückzudrehen". Ein Beitrag des Dossiers analysiert dazu die aktuellen Gesetzesreformen in Russland. Offiziell sollen sie der Anpassung der Wirtschaft an die Folgen der Sanktionen dienen. Nichtsdestoweniger schwächen viele dieser Maßnahmen auch die Umweltgesetzgebung und verschlechtern so die ökologische Situation im Land.
Ein Beispiel ist die Verschiebung der Reform der Emissionsgrenzwerte für Kraftwerke und Industrie. Dadurch werden in den Unternehmen geplante automatische Schadstoffkontrollsysteme nun gar nicht erst aufgebaut. Gelockert wurden auch Vorschriften für Bauvorhaben in besonders geschützten Naturgebieten. Die Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen wurde erschwert.
Stanislaw Kuwaldin analysiert in seinem Aufsatz die Veränderungen in der russischen Waldpolitik, die seit dem Einmarsch in die Ukraine zu beobachten sind.
Tatjana Lanschina beschreibt in ihrem Beitrag die wichtigsten Entwicklungen auf dem russischen Markt für erneuerbare Energien, zu denen auch die Abwanderung internationaler Großinvestoren aus Russland zählt.
Anna Kirejewa schreibt über die Unterbrechung der internationalen Zusammenarbeit zwischen Russland und anderen Ländern bei der Atomsicherheit und beim Strahlenschutz sowie die damit verbundenen Gefahren.
Jekaterina Jegorowa versucht in ihrem Aufsatz den Mythos zu entkräften, es sei möglich, sowohl eine zyklisch wachsende als auch eine "grüne" Wirtschaft in nur einem Land aufzubauen, namentlich in Russland, dessen Wirtschaft sich zunehmend von der Welt isoliert.
Jewgeni Aniskow untersucht die Strategien und konkreten Handlungen der russischen Wirtschaft im Bereich der nachhaltigen Entwicklung. Waren in den letzten Jahren ausländische, vor allem westliche Abnehmer und Investoren eine der wichtigsten Triebfedern für den Wandel russischer Unternehmen in diese Richtung, so stellt sich nun die Frage, was bei den immer schlechter werdenden Wirtschaftsbeziehungen zum Westen zu erwarten ist.
Auch Natalia Sarachanowa befasst sich in ihrem Beitrag damit, wie sich die Strategien zur Dekarbonisierung der russischen Wirtschaft unter den Bedingungen der russischen militärischen Handlungen in der Ukraine verändern.
Feedback erwünscht
Jekaterina Mereminskaja untersucht, wie sich die Einstellung zum Klimawandel in Russland unter den Bedingungen des Ukraine-Krieges verändert hat, wozu auch die Abwanderung vieler Fachleute aus Russland sowie die Versuche von Wirtschaftslobbyisten gehören, die Klimagesetzgebung im Land zu lockern.
Anastasia Trojanowa unternimmt in ihrem Beitrag den Versuch, die Aussichten für ein Dekarbonisierungs-Experiment in einer der östlichsten Regionen des Landes zu ergründen. Es geht um das Vorhaben, die größte russische Insel Sachalin bis 2025 CO2-neutral zu machen. Schon in diesem Jahr sollte dort ein System der CO2-Regulierung an den Start gehen, das strenger als die nationalen Vorschriften ist.
In einem weiteren Text untersucht Trojanowa die Zukunft von Projekten zur Treibhausgasminderung in Russland sowie deren internationale Perspektiven im Kontext des militärischen Konflikts.
Juri Melnikow analysiert die Aussichten für die Produktion und den Export von Wasserstoff aus Russland, einschließlich der neuen politischen und wirtschaftlichen Bedingungen.
Schließlich beschreibt Nika Gurewitsch in einem Beitrag, wie der Öl- und Gassektor die Prioritäten der russischen Außenpolitik in den letzten Jahrzehnten beeinflusst hat, und versucht die künftigen Entwicklungen zu prognostizieren, auch unter den Bedingungen der Wirtschaftssanktionen und des Embargos gegen russische Energielieferungen.
Wir hoffen, dass diese Veröffentlichungen für Sie als interessierte Leser:innen hilfreich sind.
Wir selbst werden die Veränderungen der russischen Klima- und Umweltpolitik weiterhin beobachten und analysieren, ebenso die Strategien, Entwicklungen und Handlungen auf Regierungsebene, in der Wirtschaft, der Fachwelt und der Zivilgesellschaft.
Wir freuen uns auf Ihr Feedback.
Den Beitrag in russischer Sprache finden Sie hier.
Wie diese Artikelserie entstand
Im August 2021 begannen unabhängige Journalist:innen und Expert:innen sich in einem Projekt der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO) mit der Frage zu befassen, wie Russland das Pariser Klimaabkommen einhalten und zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise finden kann. Das Land ist weltweit einer der größten Emittenten von Treibhausgasen, seine Ökonomie ist eng mit der Nutzung fossiler Brennstoffe verbunden. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine löste zudem eine scharfe Debatte aus, welche Rolle das Land in der internationalen Klima-Gemeinschaft noch einnehmen kann.
Klimareporter° möchte zu dieser Debatte beitragen und veröffentlicht im Rahmen des DGO-Projekts entstandene Texte in einer Beitragsserie.
Aufgrund der Repressalien, denen Journalist:innen und Expert:innen seitens der russischen Regierung ausgesetzt sind, werden einige Texte unter Pseudonym veröffentlicht.
Klimareporter° arbeitet dabei neben der DGO mit weiteren Organisationen zusammen, darunter Stiftungen wie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Aufgrund der schwierigen Situation für demokratisch orientierte Organisationen in Russland können nicht alle Unterstützer:innen öffentlich genannt werden. Beteiligt sind auch weitere Medien wie DW Russland und das Journalistennetzwerk N-Ost.