Kraftwerk Heilbronn mit zwei rauchenden Schornsteinen und dampfendem Kühlturm vor einem Sonnenuntergang.
Bis 2026 soll das Kraftwerk Heilbronn aus der Steinkohle aussteigen. (Foto: Monikap/Pixabay)

Die Anti-Atomkraft-Bewegung schlägt Alarm. Es sei bezeichnend, dass ausgerechnet die Blockierer der Energiewende nun die Laufzeit für Kohle- und Gaskraftwerke verlängern wollten, findet Matthias Weyland von der bundesweiten Anti-Atom-Organisation Ausgestrahlt.

"Ein energiepolitischer Rollback zu Kohle und Atom würde die Abhängigkeiten von autoritären Regimes wie dem des russischen Präsidenten Putin nur vergrößern und verlängern", warnt Weyland. Doch um genau einen solchen "Rollback" dreht sich gerade die Debatte.

"Mit großem Bedauern" erklärte Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Donnerstag auf einer Pressekonferenz: "Deutschland ist von russischen Energieimporten abhängig." Die Bundesrepublik importiere 55 Prozent des Erdgases, 50 Prozent der Steinkohle und 35 Prozent des Erdöls aus Russland.

Trotz des Krieges in der Ukraine und internationaler Sanktionen werden die fossilen Energieträger weiterhin nach Deutschland geliefert. "Es kommt Kohle und auch Gas und auch Öl aus Russland", bestätigte Habeck. Nur wie lange noch?

Putins Einmarsch in das Nachbarland unterstreicht einmal mehr die Notwendigkeit, dass Deutschland bei der Energieversorgung unabhängiger werden muss. Das sieht auch Habeck so: "Es geht nicht mehr um die Frage von erneuerbaren Energien versus CO2. Es geht darum, wie wir uns energiesicherheitspolitisch aufstellen."

Man sei dabei, die Energieimporte zu diversifizieren, also auf unterschiedliche Partner und unterschiedliche Energiequellen zu setzen. "Aber 'dabei' heißt eben, dass es noch nicht gelungen ist", so Habeck. Es sei nun wichtig, sich von den Importen von russischen Energien zu befreien.

Ein Embargo gegen Russland hält der Wirtschaftsminister dabei für den falschen Weg. Ein Verbot russischer Energieimporte gefährde den sozialen Frieden in Deutschland.

Deutschland auch von russischer Steinkohle abhängig

Könnte es vor diesem Hintergrund notwendig werden, Kohle- oder Atomkraftwerke länger laufen zu lassen? Zumindest bei Kohle zieht Habeck diesen Schritt ernsthaft in Erwägung.

In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte er am Mittwoch, es könne eventuell notwendig sein, länger auf Kohleverstromung zu setzen: "Kurzfristig kann es sein, dass wir vorsichtshalber, um vorbereitet zu sein für das Schlimmste, Kohlekraftwerke in der Reserve halten müssen, vielleicht sogar laufen lassen müssen."

Im Zweifel sei Energiesicherheit wichtiger als Klimaschutz, erklärte Habeck. Auch am Donnerstag wiederholte der Minister, dass Kohlekraftwerke, soweit möglich, in Reserve gehalten werden sollen, um sie gegebenenfalls einsetzen zu können. Allerdings sei Deutschland zum Teil auch hier von russischen Lieferungen abhängig. Habeck: "Die Zufuhr von Steinkohle ist genau das Problem."

Doch auch Atomkraft steht zur Debatte. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte sich angesichts des russischen Einmarschs für Atom- statt Kohlekraft ausgesprochen. Für Habeck derzeit keine Lösung, wie er auf der Pressekonferenz mitteilte: "Die längere Laufzeit von Atomkraftwerken hilft uns in dieser Situation nicht weiter."

Ein möglicher Engpass entstehe für den kommenden Winter, und "nach allem, was ich weiß" helfe Atomkraft an der Stelle nicht. Dennoch schließt der Minister die Option nicht grundsätzlich aus: "Wenn es helfen könnte, muss man sich damit auseinandersetzen."

Aus Sicht von Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung gehen beide Ansätze in die falsche Richtung. "Jegliche Gespensterdebatten um vergangene Energietechnologien wie Kohle und Atom halten uns wieder einmal nur auf", erklärt sie gegenüber Klimareporter°. Der Kohleausstieg könne wie geplant weitergehen.

Konsequenter Umstieg auf erneuerbare Energien

In Bezug auf Atomkraft erläutert Kemfert das, was Habeck nur andeutete: Die noch verbliebenen drei Atomkraftwerke produzieren etwa sechs Prozent des deutschen Stroms – ein Anteil, der sich problemlos durch erneuerbare Energien ersetzen lasse.

Zudem gehe es beim Ersetzen von russischem Öl und Gas vor allem um die Wärme- und Verkehrswende. Atomkraft könne an dieser Stelle keinen Beitrag leisten.

Deshalb brauche es keine Laufzeitverlängerung für konventionelle Kraftwerke, sondern einen konsequenten Umstieg auf alle erneuerbaren Energien. "Sie sind billiger, sicherer und stärken vor allen Dingen den Frieden", sagt Kemfert. "Klimaschutz und Energiesicherheit gehen Hand in Hand."

Ein Ausbau reduziere den Import von Energien und stärke die Resilienz des Energiesystems und darüber hinaus der gesamten Volkswirtschaft. Statt auf LNG-Terminals für Frackinggas zu setzen, müsse es darum gehen, ausschließlich grünen Wasserstoff zu importieren.

Für Matthias Weyland von Ausgestrahlt "entbehrt die Scheindebatte um Laufzeitverlängerungen jeder sachlichen Grundlage". Atomkraft könne keinen Beitrag zur Wärmeerzeugung leisten, zudem stamme das Uran zu fast zwei Dritteln aus autoritären Staaten, darunter Russland. Längeres Betreiben von Atomkraftwerken verstärke die geopolitische Abhängigkeit sogar noch.

Zudem seien die Kraftwerke eine Hochrisikotechnik, die sich in einem Krieg zum "Roulette-Spiel" entwickle – aktuell verdeutlicht durch den Beschuss des größten europäischen AKW im südukrainischen Saporischschja.

"Wer Putin ein bisschen schaden will, spart Energie"

Auch wenn der Wirtschaftsminister Kohlekraftwerke als Reserve in Betracht zieht, scheint er eine ähnliche Nachricht senden zu wollen: "Mehr Erneuerbare bedeuten mehr Unabhängigkeit von Russland", zitierte das Ministerium Habeck auf Twitter. Auf der Pressekonferenz betonte der Minister ebenfalls, dass fossile Energien vor allem durch CO2-freie Alternativen ersetzt werden müssten.

Kurzfristig kommt es aus Sicht von Habeck auch darauf an, weniger Energie zu verbrauchen: "Wenn man Putin ein bisschen schaden will, dann spart man Energie." Vor allem sei in diesem Punkt aber die Politik in der Pflicht, notwendige Vorgaben und Gesetze zu beschließen.

Claudia Kemfert kritisiert, dass es der Bundesregierung und vor allem den Landesregierungen an politischem Willen mangele. Sie fordert ein "Boosterprogramm" für die Energiewende, spricht von einer "Men to the moon"-Mission. Die Ausbauraten der erneuerbaren Energien müssten vervierfacht, Flächen für neue Windanlagen ausgewiesen und Genehmigungsverfahren massiv erleichtert und beschleunigt werden, um die Versorgung zu sichern.

Die finanzielle Beteiligung von Windpark-Anliegern müsse verbessert werden, so die Ökonomin. Auf jedes Dach gehöre eine Solaranlage. Schon 2030 könne Strom vollständig aus erneuerbaren Energien gewonnen werden, 2035 die gesamte Energie. Das ist für Kemfert nicht nur machbar, sondern dringend geboten.

Lesen Sie dazu unseren Kommentar:

Redaktioneller Hinweis: Claudia Kemfert gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.

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