Zwei Forscher laufen in der Arktis auf löchrigem Meereis herum.
Bald kann hier niemand mehr stehen: Eis auf dem Arktischen Ozean. (Foto: NASA Goddard Space Flight Center/​Flickr)

Auf den Arktischen Ozean, das Meer zwischen Grönland, Sibirien und Kanada, blicken Klimaschützer derzeit besonders fassungslos. In der Polarregion sind die Temperaturen allein den letzten zehn Jahren um fast ein ganzes Grad gestiegen.

Das sommerliche Meereis der Arktis könnte, sagen neuere Studien, schon 2035 vollständig verschwunden sein. Frühere Prognosen hatten den Termin noch in die Mitte dieses Jahrhunderts gelegt.

Die Schmelze des Meereises wird dabei durch eine Rückkopplung beschleunigt. "Wenn die globalen Eismassen schrumpfen, verändert dies, wie viel des auf die Erdoberfläche einstrahlenden Sonnenlichts zurück in den Weltraum reflektiert wird", erläutert Nico Wunderling vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Das Schrumpfen der arktischen Eisdecke legt mehr vom dunklen Ozeanwasser frei, das dann mehr Energie aufnimmt und sich erwärmt.

Zu diesem sogenannten Albedo-Feedback kommen weitere Rückkopplungs-Faktoren, die das Eis schneller schmelzen lassen. So nimmt mit der Schmelze die Menge des Wasserdampfs in der Atmosphäre zu. Wärmere Luft kann mehr Wasserdampf aufnehmen – und Wasserdampf verstärkt den Treibhauseffekt.

Am stärksten macht sich das derzeit beim arktischen Eis bemerkbar – es gehört zu den sich am schnellsten verändernden Elementen des Klimasystems. Wissenschaftler des PIK interessieren sich deshalb dafür, wie groß der – möglicherweise wachsende – Beitrag der arktischen Schmelze zur globalen Erwärmung ist.

Eine jetzt dazu veröffentlichte Studie des PIK beziffert den globalen Erwärmungseffekt auf etwa 0,2 Grad, wenn es in den Sommern kein arktisches Meereis mehr gibt, das die Sonneneinstrahlung reflektiert.

Die, wenn man so will, gute Nachricht daran ist: Die 0,2 Grad mehr sind bereits in den Prognosen des Weltklimarates berücksichtigt, sind dort "eingepreist". Nicht bekannt war allerdings bisher die genaue Höhe des Beitrags der arktischen Meereisschmelze zur Erwärmung, erläutert Klimaforscher Wunderling, der Hauptautor der neuen Studie ist.

Die 0,2 Grad sind nicht wenig, betonen die PIK-Experten – vor allem angesichts der Tatsache, dass die globale Mitteltemperatur derzeit schon rund ein Grad höher liegt als in vorindustrieller Zeit und die Regierungen weltweit eine Begrenzung auf deutlich unter zwei Grad vereinbart haben.

Heutiges Tun oder Unterlassen wirkt weit in die Zukunft

Und dennoch scheint der richtige Klimaschock erst noch zu kommen. Das gegenseitige Verstärken von Eisschmelze und Erwärmung stelle "kein kurzfristiges Risiko" dar, sagt Ricarda Winkelmann, die die PIK-Arbeitsgruppe zur Eisschild-Dynamik leitet. "Die Eismassen der Erde sind riesig."

Das mache sie für unser gesamtes Erdsystem wichtig, erläutert die Professorin, es bedeute aber auch, dass sich die Reaktion der Eismassen auf die menschengemachten Klimaänderungen erst in längeren Zeiträumen entfalte. Das gelte besonders für die Eisschilde auf Grönland und der Antarktis.

"Auch wenn einige der Veränderungen Hunderte oder Tausende von Jahren benötigen, um sich zu zeigen, ist es möglich, dass wir sie jetzt innerhalb von nur wenigen Jahrzehnten auslösen", beschreibt Winkelmann die besondere Dynamik.

Deswegen zähle "jedes Zehntelgrad Erwärmung" für unser Klima. Winkelmann: "Die Verhinderung von Rückkopplungen im Erdsystem, gleichsam Teufelskreisen, ist daher dringender denn je."

Um den Anteil der Meereisschmelze an der Erderwärmung herauszufinden, führten die PIK-Wissenschaftler umfangreiche Computersimulationen durch. Die Effekte zu bestimmen ist dabei nicht immer einfach: Wenn zum Beispiel auf Land eine Eisbedeckung verschwindet, kann es auf dem Boden immer noch Schnee geben, der das Sonnenlicht weiterhin reflektiert.

Sollten die Eismassen auf Grönland und der Westantarktis sowie auch die Gebirgsgletscher der Erde verschwinden, würde die dadurch direkt verursachte zusätzliche Erwärmung deshalb wahrscheinlich auch "nur" 0,2 Grad betragen – diesmal aber zusätzlich zu den bisherigen Prognosen des Weltklimarates.

Denn die Temperaturrückkopplungen von diesen Eisschilden und Gletschern, betont Nico Wunderling, seien noch nicht vollständig in die Klimamodelle integriert.

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