"Klima schützen!" – "Nach uns die Sintflut?" – "Die Gier der Wenigen bedroht die Zukunft aller": Alexandra Koroljowa und Wladimir Sliwjak von Ecodefense auf der letzten Fridays-for-Future-Demonstration am 24. Mai in Kaliningrad. (Foto: Ecodefense)

Klimareporter°: Frau Koroljowa, Sie sind aus Russland geflohen und haben hier in Deutschland politisches Asyl beantragt. Wie kam es dazu?

Alexandra Koroljowa: 2013 ist in Russland das Gesetz über "ausländische Agenten" in Kraft getreten. Ecodefense war eine der ersten Nichtregierungsorganisationen, die 2014 auf die Liste gesetzt wurde.

Die Regierung will mit dem Gesetz die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen verhindern und sie komplett zerschlagen.

Es gibt zwei Gründe, weshalb Organisationen auf diese Liste kommen. Einmal, wenn sie finanzielle Unterstützung aus dem Ausland bekommen, und zweitens, wenn sie politisch aktiv sind.

Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir uns nicht als ausländische Agenten verstehen und nicht auf dieser Liste stehen wollen. Deshalb haben wir auch die Strafen nicht bezahlt, die wir für verschiedene Aktionen bekommen haben.

Anfang Mai wurden deshalb fünf Strafverfahren eröffnet. Die richten sich direkt gegen mich als Direktorin. Dafür kann ich zwei Jahre Gefängnis bekommen. Daraufhin bin ich geflohen.

Warum, denken Sie, wurden Sie in die Liste aufgenommen?

Die politische Aktivität, gegen die das erste Strafverfahren eingeleitet wurde, war unser erfolgreicher Protest gegen den Neubau eines Atomkraftwerks in Kaliningrad. Die Regierungsfirma Rosatom, die dieses Atomkraftwerk gebaut hat, behauptet zwar, dass sie aus anderen Gründen den Bau eingestellt habe. Aber in einem offiziellen Protokoll steht, dass Ecodefense der Grund war, dass das Atomkraftwerk verhindert wurde.

Außerdem haben wir im Kusbass, im Kusnezker Becken in Sibirien, dafür gesorgt, dass die Erweiterung eines Steinkohletagebaus verhindert wurde. Das hat die Regierung vermutlich sehr in Aufruhr versetzt.

Wie ist die Situation dort?

Die Umgebung der Tagebaue wird verschmutzt, der Staub gelangt in die Atemluft und die Menschen leiden unter den gesundheitlichen Folgen. Früher gab es dagegen kaum Proteste, aber in den vergangenen zwei Jahren haben sich kleine Umweltgruppen gebildet. Mittlerweile gibt es jährlich mindestens 20 Protestaktionen gegen die Tagebaue. Das ist ein steiler Anstieg.

Russland und das Paris-Abkommen

In der vergangenen Woche hat die russische Regierung angekündigt, Anfang September das Pariser Klimaabkommen ratifizieren zu wollen. Russland ist eines von zwölf Ländern unter den insgesamt 197 Unterzeichnern, die das bisher nicht getan haben. Auf Klimakonferenzen tritt das Land oft als Bremser auf.

Im Kusbass gibt es ein besiedeltes Gebiet, unter dem ebenfalls Kohle liegt. Die Regierung wollte sie abbauen. Die Bevölkerung ist mit unserer Unterstützung vor Gericht gegangen und hat gewonnen, weil die Leute gesagt haben, dass sie nicht einfach umgesiedelt werden dürfen.

Faktisch hat Ecodefense damit verhindert, dass ein neues Kohleabbaugebiet entstanden ist. Das ist ein großer Erfolg. In Russland haben es Nichtregierungsorganisationen an sich schon schwer zu überleben. Dann ist es ein umso größerer Erfolg, dass wir so etwas noch schaffen konnten. Es schien unrealistisch, trotzdem haben wir es geschafft.

Ecodefense hat sich lange gegen Atomkraft eingesetzt. Der Widerstand gegen die Kohle ist relativ neu. Wird die Anti-Kohle-Bewegung in Russland stärker?

Ja. Das liegt daran, dass der Klimawandel mehr politische Bedeutung gewinnt und damit auch die Kohle. Klimawandel ist in Russland trotzdem auf allen Ebenen kaum ein Thema.

In Kaliningrad fangen wir gerade an, Informationen darüber stärker zu verbreiten. Letztes Jahr haben wir ein Projekt zu den regionalen Auswirkungen des Klimawandels gestartet. In Kaliningrad spricht sich so etwas schnell herum, weil die Klimafolgen dort sehr deutlich zu spüren sind.

Welche sind das?

Zum Beispiel gab es vor 25 Jahren einen katastrophalen Sturm alle zwei Jahre. Jetzt sind es fünf bis sechs pro Jahr. Globale Klimaveränderungen können wir fast alle in Kaliningrad wie in einem kleinen Spiegel reflektiert sehen.

Warum ist es für die Regierung so schlimm, wenn jemand gegen Kohle ist? Gibt es in letzter Zeit ein Umdenken in der Regierung?

Die Regierung ist vollkommen auf Öl, Kohle, Gas und Atomkraft ausgerichtet. Es gibt keinerlei Versuche, auf erneuerbare Energien umzusteigen. Deshalb ist es ein sehr schwieriges Thema.

Gibt es in der Zivilgesellschaft Veränderungen? Immerhin gibt es auch Fridays-for-Future-Proteste in Russland.

Es gibt Ansätze, aber auf sehr niedriger Ebene. Ich habe Vorträge vor Schülern in Kaliningrad gehalten. Die waren auch sehr interessiert, aber sie haben von mir zum erstem Mal von Greta Thunberg und Fridays for Future gehört.

Porträtaufnahme von Alexandra Koroljowa.
Foto: Ecodefense

Alexandra Koroljowa

ist Direktorin der russischen Umwelt­schutz­organisation Ekosaschtschita, englisch Ecodefense ("Öko­verteidigung"). Ecodefense existiert seit 1989 und ist damit eine der ältesten Umwelt­organisationen in Russland. Die Nichtregierungs­organisation hat bisher vor allem gegen Atomenergie protestiert. Im Jahr 2014 wurde sie von der Regierung als "ausländischer Agent" eingestuft.

Anlässlich der aktuellen Strafanzeigen gegen Koroljowa haben 45 Nichtregierungs­organisationen eine Solidaritäts­erklärung für Ecodefense unterzeichnet. Sie sammeln Geld, um die Strafen der Organisation zu bezahlen. In Deutschland arbeitet Ecodefense mit der Organisation Urgewald zusammen.

Alles, was passiert, geht aber von Nichtregierungsorganisationen aus, die Regierung tut nichts. Die Interessen Russlands werden auch bei den großen Klimakonferenzen deutlich, wo Russland keine Bemühungen und Ziele erkennen lässt, die in Richtung Klimaschutz gehen könnten. Alle Entscheidungen basieren darauf, dass Russland Öl, Kohle, Gas und Atomkraft exportieren und damit Gewinn erzielen will.

Wie geht es jetzt mit Ecodefense weiter?

Natürlich möchte niemand bei Ecodefense die Arbeit aufgeben, aber wir wissen nicht, welche Sanktionen folgen, wenn wir weitermachen. Meine Kollegen arbeiten aber weiter an unseren Projekten.

Und mit Ihnen?

Ich weiß nicht, was passieren wird. Ich wurde aus meinem sozialen Umfeld und meinem Beruf herausgerissen und möchte gerne zurück. Natürlich mache ich mir auch große Sorgen um meine Kollegen in Kaliningrad, im Kusbass und in Moskau. Wenn es für die Regierung keinen legalen Weg gibt, wird sie einen illegalen Weg finden, um unsere Arbeit zu verhindern.

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