Eröffnung des ersten deutschen LNG-Terminals im Dezember 2022 mit politischer Spitzenprominenz. (Bild: Heide Pinkall/​Shutterstock)

Klimareporter°: Frau Otto, wir sprachen über Ihre Forschung, mit der Sie die Hoffnung verbinden, dass eine schnelle Bewertung der Klimafolgen von Extremereignissen Politiker:innen und Wirtschaftsmanager:innen dazu bringt, die nötigen Entscheidungen zum CO2-Sparen zu treffen. Funktioniert das denn?

Friederike Otto: Es geschieht schon einiges. Unsere Studien werden von der Politik durchaus wahrgenommen, Umweltpolitiker:innen in Industrie- und Schwellenländern beziehen sich ausdrücklich darauf, um die Notwendigkeit des Handelns zu belegen. Aber es muss natürlich noch viel mehr passieren.

Der Klimaschutz ist ja zuletzt leider wieder ein Kulturkampf-Thema geworden. Die, die in der Politik wirklich etwas zu sagen haben, scheinen vergessen zu haben, dass es dabei um nichts Geringeres geht, als die Lebensgrundlagen der Menschen zu schützen.

Das UN-Klimasekretariat in Bonn hat jüngst erneut die Notwendigkeit betont, die globalen Emissionen bis 2030 zu halbieren, wenn das 1,5‑Grad-Erwärmungslimit noch gehalten werden soll. Ist das denn überhaupt drin?

Rein physikalisch ist es machbar. Und es ist realistisch, wenn die Entscheider:innen in Politik und Wirtschaft es realistisch machen. Die Energiewende kann sehr schnell umgesetzt werden. Danach sieht es im Moment aber nicht aus.

Friederike Otto

ist Klima­forscherin am Grantham Institute des Imperial College London und Mitglied im Heraus­geber­rat von Klima­reporter°. Die Physikerin und promovierte Philosophin ist Mit­begründerin der Zuordnungs­forschung (attribution science), die den Anteil des Klima­wandels an Extrem­wetter­ereignissen berechnet. Sie ist als Leit­autorin am IPCC-Bericht beteiligt.

Ist denn wenigstens die Zwei-Grad-Grenze in Reichweite? Und wäre es tolerabel, sich darauf einzulassen? Motto: Mehr ist halt nicht zu schaffen.

Warum sollte man die zwei Grad anpeilen, wenn die 1,5 Grad noch zu schaffen sind? Es kommt auf uns im globalen Norden an. Die Frage ist doch, ob wir weiterhin Politik für die fossilen Konzerne machen oder für die Menschen. Solange wir nicht wirklich umsteuern, wird die Erde sich weiter erhitzen.

Das Problem ist: Wer reich, gebildet und gut informiert ist, wird fast keine Probleme mit den Veränderungen haben. Man wohnt in gemäßigten Klimazonen, lebt in klimatisierten Häusern und fährt in heruntergekühlten Autos. Das ist ja einer der Gründe, warum so wenig in Politik und Wirtschaft passiert. Es trifft vor allem diejenigen, die wenig Geld besitzen, in Elendsvierteln wohnen und wenig Bildung haben.

Der diesjährige UN-Klimagipfel findet ausgerechnet im Öl-Emirat Dubai statt, die Verhandlungen leitet mit Sultan Ahmed Al Jaber der Chef des dortigen staatlichen Erdölkonzerns. Kann das überhaupt etwas werden?

Es ist ein Signal, dass es in der internationalen Klimapolitik am Ende doch nicht wirklich ums Klima, sondern um die Interessen der fossilen Konzerne geht.

Das heißt zwar nicht, dass UN-Klimagipfel unsinnig sind. Sie sind wichtig, weil sie den Rahmen für alle Länder gesetzt haben. Es gibt die Klimarahmenkonvention von 1992 und das Pariser Klimaabkommen von 2015. Das sind Meilensteine.

Deutscher Umweltpreis 2023

Friederike Otto erhält im Oktober den Deutschen Umweltpreis, der von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) vergeben wird. Die gebürtige Kielerin teilt sich die mit insgesamt 500.000 Euro dotierte Auszeichnung mit der Holzbau-Pionierin Dagmar Fritz-Kramer. Otto ist 2021 auf die "Time 100"-Liste als eine der weltweit einflussreichsten Personen gewählt worden. Im selben Jahr kürte das Wissenschaftsmagazin Nature sie zu einer weltweit zehn wichtigsten Wissenschaftler:innen. 

Doch die Ziele, die darin festgelegt wurden, müssen auch erreicht werden. Dazu brauchen wir Vorreiter, die nicht auf Gipfelbeschlüsse warten, bevor sie etwas tun. Das ist ein Job gerade für die reichen Länder mit ihrer historischen Verantwortung für den Klimawandel, wie die USA, Großbritannien, Deutschland.

Welche Noten bekommt die Ampel-Bundesregierung von Ihnen?

Versetzung gefährdet. Wenn nicht einmal mehr die Grünen sich laut zu sagen trauen, worum es beim Klimaschutz geht, und das Abwracken des Klimaschutzgesetzes mittragen, habe ich kaum Worte dafür. Wie kann das sein: Das Bundesverfassungsgericht erzwingt ein verschärftes Klimagesetz, und ausgerechnet die Ökopartei macht beim Gegenteil mit?

Sie haben einmal die Hoffnung geäußert, dass dank Ihrer Arbeit "die Schuldigen am neuen Wetter" besser zur Rechenschaft gezogen werden können – etwa die Energiekonzerne. Zeichnet sich das ab?

Durchaus. Es gibt weltweit immer mehr Klagen gegen Energiekonzerne wegen ihrer Verantwortung für die Klimakrise, und viele davon sind von den Gerichten auch angenommen worden.

 

Vorher wurden viele Anläufe dazu abgebügelt, weil die Gerichte erklärten, es handele sich um eine politische, keine juristische Frage. Doch es spricht sich bei Richterinnen und Richtern zunehmend herum, dass man den Anteil einzelner Unternehmen an den Klimaveränderungen nun sehr exakt wissenschaftlich quantifizieren kann.

Ich sage voraus, es wird zu einschneidenden Urteilen gegen Energiekonzerne kommen, und das wird dazu beitragen, dass auch die Politik den Klimaschutz ernst nimmt.

Sie haben also Hoffnung, dass noch alles gut wird?

Natürlich. Wir haben doch gesehen, wie schnell Dinge sich ändern können. Vor fünf Jahren war Klima in der Öffentlichkeit ein Randthema. Dann kamen Greta Thunberg und Fridays for Future, die die Debatte umgepolt haben. Wer sagt, dass – nach Corona und Putins Krieg – nicht etwas Ähnliches wieder passiert?

Lesen Sie hier Teil 1 des Interviews: "Der Klimawandel ist ein Gamechanger"

 

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