Friederike Otto. (Bild: Oxford Martin School)

Klimareporter°: Frau Otto, Sie erhalten demnächst als Klimaforscherin Europas wichtigste Umweltauszeichnung, den Deutschen Umweltpreis. Herzlichen Glückwunsch!

Friederike Otto: Danke schön. Ein Ansporn, in dieser Richtung weiterzumachen, auch wenn die Arbeit manchmal überhandnimmt. An manchen Tagen wünsche ich mir, morgen in Rente zu gehen. Aber das mache ich dann doch nicht.

Sie haben 2019 das Buch "Wütendes Wetter" geschrieben. In diesem Jahr scheint es wirklich so weit zu sein. Man hat den Eindruck, die Welt erlebt so viele Extremwetter-Ereignisse wie nie zuvor – Hitzewellen, Dürren, Waldbrände, Überschwemmungen, von Kanada über China und Griechenland bis zuletzt Libyen. Ist es so? Oder schauen die Medien nur genauer hin?

Es ist beides. Die Medien schauen genauer hin, was natürlich gut ist. Tatsächlich aber hat es auch schon in den vergangenen Jahren einen deutlichen Anstieg der Extremwetterereignisse gegeben.

Gerade bei den Hitzewellen ist der Klimawandel ein absoluter Gamechanger. Viele der Hitzeextreme in diesem Jahr wären ohne ihn nicht entstanden, oder aber ihre Folgen wären viel geringer ausgefallen. Das zeigen unsere Forschungen eindeutig.

Sie haben die sogenannte Attributionsforschung mitbegründet, die den Anteil des Klimawandels an Extremwetterereignissen untersucht. Wie funktioniert das genau?

Friederike Otto

ist Klimaforscherin am Grantham Institute des Imperial College London und Mitglied im Herausgeberrat von Klimareporter°. Die Physikerin und promovierte Philosophin ist Mitbegründerin der Zuordnungsforschung (attribution science), die den Anteil des Klimawandels an Extremwetterereignissen berechnet. Sie ist als Leitautorin am IPCC-Bericht beteiligt.

Wir beantworten die Frage, ob, und wenn ja, wie sehr der menschengemachte Klimawandel die Häufigkeit von Extremwetterereignissen verändert. Wir analysieren aktuelle Wetterdaten, etwa zu den Niederschlägen in Libyen, und errechnen daraus, wie häufig ein solches Ereignis im heutigen, bereits um 1,2 Grad erwärmten Klima ist.

Um den Anteil des Klimawandels daran festzustellen, vergleichen wir das mit dem Wettergeschehen, wie es in einem noch unveränderten Klima gewesen wäre. Dazu lassen wir die Klimamodelle ohne die erhöhten Treibhausgas-Werte laufen und können so den Unterschied in der Häufigkeit feststellen.

Ein Ereignis wie das in Libyen ist heute dreimal wahrscheinlicher als in einer Welt ohne Klimawandel, obwohl die Wahrscheinlichkeit mit einmal pro 300 Jahre immer noch gering ist. Im Fall von extremen Niederschlägen können wir quantifizieren, um wie viel stärker sie durch das aufgeheizte Klima ausgefallen sind.

Es zeigt sich: Die Veränderungen bei den Hitzewellen sind größer als die bei Überflutungen.

Der Einfluss des Klimawandels auf Hitzewellen ist tatsächlich viel stärker als auf Niederschlagsereignisse. Heute treten regelmäßig extreme Hitzeereignisse auf, deren Wahrscheinlichkeit früher vielleicht bei einmal in einer Million Jahren lag oder die gar nicht aufgetreten wären.

Bei Starkregen sind die Ausschläge geringer, da gibt es im Schnitt eine Verdoppelung. Was zum Beispiel früher ein Jahrhundertereignis war, findet jetzt alle 50 Jahre statt.

Steckt denn inzwischen in jedem Extremereignis ein Teil Klimawandel?

Das unterscheidet sich je nach Region. Es gibt durchaus Extremereignisse, bei denen der Klimawandel auch heute keine oder nur eine geringe Rolle spielt, etwa die Dürren in Madagaskar 2021. Und es gibt solche wie die Hitzewellen in Südeuropa und in Nordamerika in diesem Jahr, die ohne ihn gar nicht aufgetreten wären. Auch zum Beispiel auf Stürme ist der Einfluss gering.

Kann Ihre Forschungsgruppe "World Weather Attribution" mit der Vielzahl der Ereignisse überhaupt noch Schritt halten? Worauf konzentrieren Sie sich?

Deutscher Umweltpreis 2023

Friederike Otto erhält im Oktober den Deutschen Umweltpreis, der von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) vergeben wird. Die gebürtige Kielerin teilt sich die mit insgesamt 500.000 Euro dotierte Auszeichnung mit der Holzbau-Pionierin Dagmar Fritz-Kramer. Otto ist 2021 auf die "Time 100"-Liste als eine der weltweit einflussreichsten Personen gewählt worden. Im selben Jahr kürte das Wissenschaftsmagazin Nature sie zu einer weltweit zehn wichtigsten Wissenschaftler:innen. 

Wir können damit nicht Schritt halten. Seit unserer Gründung 2015 hat es immer mehr Extremereignisse gegeben, als wir untersuchen konnten. Wir haben deswegen zusammen mit dem Roten Kreuz Kriterien entwickelt, nach denen wir die Fälle auswählen, die wir analysieren.

Da geht es etwa darum, wie viele Menschen betroffen sind, wie viele Todesfälle es gab, wie groß die Schäden sind. Doch selbst dann schaffen wir nicht alles. Unsere People-Power ist zu klein, wir von der "World Weather Attribution"-Gruppe sind immer noch das einzige Team weltweit, das diese Untersuchungen macht.

Und dann ist noch entscheidend, ob es für die betreffende Region genügend Wetterdaten und gute Klimamodelle gibt. Das ist nämlich oft nicht der Fall, etwa für Afrika. Die Modelle wurde alle im globalen Norden entwickelt, und so sagen sie das Klima in Deutschland, Großbritannien oder den USA gut voraus, aber nicht das in afrikanischen Staaten.

Deutschland hat 2018 bis 2020 extrem heiße und vor allem trockene Jahre erlebt, die Jahre 2021 bis 2023 waren zum Glück nicht so dramatisch. Wie oft müssen wir in Mitteleuropa künftig mit extremen Trockenheitsphasen rechnen?

 

Deutlich häufiger. Mit einer extremen Hitzewelle, wie Deutschland sie zum Beispiel 2019 erlebte, muss man hier nun einmal im Jahrzehnt rechnen, ohne Klimawandel wäre es nur einmal in 50 bis 100 Jahren vorgekommen. Die Sommer sind generell deutlich heißer geworden, und sie werden noch heißer werden.

Das verstärkt auch die Trockenheit. Wasser verdunstet schneller, und die Natur leidet unter dem Mangel, zumal viele Speicher verschwunden sind, zum Beispiel, weil bei uns rund 95 Prozent der Moore trockengelegt wurden. Das Wasser fließt schnell in die Meere ab, fehlt in der Landschaft. Wieder ein Zusammenspiel von Klimawandel und anderen Faktoren, die das Problem verschärfen.

Wie ist es mit der extremen Hitze am Mittelmeer in diesem Sommer mit Spitzenwerten von rund 50 Grad Celsius?

Diese hätte es nach unseren Studien früher gar nicht gegeben. Heute ist es ein Ereignis, das alle zehn Jahre zu erwarten ist. Erreicht die globale Erwärmung zwei Grad, wird es einen solchen Sommer jedes zweite Jahr geben.

 

Europäische Staaten können dank ihrer Wirtschaftskraft noch relativ gut auf die Veränderungen einstellen. Entwicklungsländer, die historisch nur geringe Schuld am Klimawandel haben, trifft es härter ...

Richtig. Hier spielt mit, dass in ärmeren Ländern die Bevölkerung meist viel schlechter vor den Folgen des Klimawandels geschützt sind.

Beispiel Libyen: Ein schweres Unwetter hätte es dort am vorletzten Wochenende auch ohne das erhitzte Klima gegeben, nur wohl etwas weniger intensiv. Aber dass es so viele Tote gab, lag vor allem daran, dass die Speicherdämme nicht in Schuss gehalten wurden.

Diese Zusammenhänge werden leider oft ausgeblendet. Der Klimawandel ist nicht an allem schuld, und Regierungen haben die Aufgabe, ihre Bevölkerung bestmöglich vor solchen Ereignissen zu schützen.

Lesen Sie hier Teil 2: "Die Frage ist, ob wir weiter Politik für die fossilen Konzerne machen"

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