Klimareporter°: Herr Voß, der diesjährige Klimagipfel COP 29 in Baku nähert sich. Wie die letzten Jahre auch wird intensiv darum gestritten werden, ob China weiterhin als "Entwicklungsland" gelten darf und wie viel das Land zur Klimafinanzierung beitragen muss. Wie sollte die Bundesregierung mit dieser Frage umgehen?
Martin Voß: Auf der nächsten COP werden viele Grundsteine für die weitere Zusammenarbeit auf UN-Ebene in den kommenden Jahren gelegt. Wir müssen darauf hinwirken, dass auf dem Versprechen der Industrieländer, ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar als Klimafinanzierung bereitzustellen, aufgebaut wird. Idealerweise mit der Unterstützung von Entwicklungsländern, die bisher nicht dazu beigetragen haben.
Die Wahrscheinlichkeit, dass China seinen Status als Entwicklungsland aufgibt, ist allerdings gering. Doch es gibt andere Wege, China zur Mitwirkung an einer Lösung zu bewegen. Das könnte eine vermittelnde Rolle innerhalb der Brics-Staaten und anderer Schwellenländer sein, die inzwischen beträchtlichen Wohlstand erlangt haben, vor allem durch den Export von fossilen Brennstoffen.
Außerdem könnte China möglicherweise ein wichtiger Impulsgeber für verstärkte Anstrengungen im Klimaschutz und bei der Bereitstellung von Finanzierung durch eine wiedergewählte demokratische Regierung in den USA werden. China entwickelt sich momentan potenziell zum Zugpferd der internationalen Energiewende, was die USA vermutlich nicht zulassen wollen.
Deutschland kann und sollte weiterhin an China appellieren: Wenn China ein Land sein möchte, das sich global als klimapolitischer Anführer positioniert, muss es auch entsprechend handeln. Das kann durch ehrgeizige Ziele oder durch besondere Beschlüsse geschehen, die am Rande einer COP getroffen werden.
Gleichzeitig müssen Deutschland und andere wichtige Länder darauf achten, es nicht zu übertreiben, indem sie zu stark auf zusätzliche und verpflichtende Beiträge zum Beispiel von China pochen. Dies ist eine kontroverse Debatte, in der sich China – ähnlich wie andere Entwicklungsländer – bequem darauf berufen kann, dass die reichen Länder nicht genug tun.
Deshalb ist es entscheidend, dass Deutschland weiterhin substanzielle Beiträge zur Klimafinanzierung leistet. Es ist wichtig, dass wir nicht nur gute Argumente liefern, sondern diese auch durch ambitionierte und glaubhafte Zusagen vonseiten Deutschlands untermauern.
Wie blicken Deutschland und China in der Klimapolitik aufeinander?
Die Perspektiven, die China und Deutschland – oder sagen wir, die EU – jeweils aufeinander haben, sind stark festgefahren. Aus chinesischer Sicht sieht es so aus, als ob die EU pausenlos die Ambitionstrommel schlägt, ohne die versprochenen Maßnahmen umzusetzen – und sich trotzdem immer höhere Ziele steckt.
Die europäische Sicht hingegen lautet: China geriert sich als "climate leader" und hat als größter CO2-Emittent der Welt natürlich auch viel Gewicht. Doch China steckt sich zu niedrige Ziele – und übererfüllt diese dann mit viel Fanfare.
Martin Voß
ist Referent für Klimadiplomatie und Kooperation bei der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch und Experte für die Beziehungen zwischen der EU und China. Er hat Politik und Volkswirtschaft mit Schwerpunkt Entwicklungsökonomik studiert.
Beide Perspektiven haben ihre Berechtigung. Die chinesische Strategie könnte jedoch zu einem Imageproblem führen, falls China seine selbst gesteckten Ziele nicht erreicht. Das droht aktuell im Rahmen des laufenden 14. Fünfjahresplans der Volksrepublik: Die Ziele zur Reduktion der Energieintensität – Energieverbrauch pro Einheit des BIP – und der Energieeffizienz werden Prognosen zufolge vermutlich unerreicht bleiben.
Deutschland könnte versuchen, diese Situation zu nutzen, um darauf zu drängen, dass solche Ausnahmen nicht zur Regel werden.
Welche Chancen sehen Sie für die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und China in der Klima- und Umweltpolitik?
Auch wenn sich die geopolitische Gemengelage zuspitzt, glaube ich, dass gerade im Bereich Klima und Umwelt die besten Möglichkeiten für Kooperationen zwischen Deutschland und China bestehen. Wichtig ist, dass man diese Zusammenarbeit realistisch angeht – und dass sie mit dem politischen Druck, der derzeit auf allen Themen rund um China lastet, vereinbar ist. Das bedeutet, keine zu großen Zugeständnisse zu machen und klare Erwartungen an China zu formulieren.
Deutschland sollte in ausgewählten Bereichen weiterhin den Dialog mit China führen. Es gibt schon seit vielen Jahren Programme, zum Beispiel zu Emissionshandelssystemen, in denen Deutschland Know-how mit China teilt, um das Land bei der Weiterentwicklung seines eigenen Systems zu unterstützen.
Ähnliche Möglichkeiten sehen wir auch in anderen Bereichen, etwa bei der Energiewende. Sowohl Deutschland als auch China ist stark von der Kohleverstromung abhängig. In Deutschland wird der Kohleausstieg zwar bereits vollzogen – wenn auch sehr langsam –, aber dieses Thema verbindet beide Länder. Deutschland genießt hier aus chinesischer Perspektive ein recht hohes Ansehen.
Wie könnte eine vertiefte Zusammenarbeit zwischen Deutschland und China konkret aussehen?
Ein Dialog, der sich auf technische Erfahrungen, politische Lösungen, Finanzierung und Umsetzbarkeit konzentriert, könnte aus unserer Sicht sinnvoll sein. Neben Dialogformaten könnte es auch formell integrierte Kooperationsformate geben, wie beispielsweise den "Transition Dialogue", den das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz mit Chinas Entwicklungs- und Reformkommission NDRC beschlossen hat. Dieses Format könnte kontinuierlich auf ein höheres Niveau gehoben werden.
Dabei würden auch nur schrittweise größere Summen öffentlicher Gelder eingesetzt – und diese kämen, entgegen der Kritik vieler Stimmen, nicht direkt China zugute. Vielmehr flössen sie indirekt über Gehälter von Organisationen wie der GIZ, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, oder anderer Institutionen, die in Deutschland oder der EU ansässig sind und mit chinesischen Partnern kooperieren. Im Falle eines politischen Bruchs zwischen Deutschland und China – den wir uns natürlich nicht wünschen – können derartige Formate schnell wieder eingestampft werden.
Was ist denn das Ziel des "Transition Dialogue" – und wie kam es dazu?
Der "Dialogue and Cooperation Mechanism on Climate Change and Green Transition" wurde letztes Jahr während der Regierungskonsultationen zwischen Deutschland und China vereinbart. Dieses Format zielt darauf ab, die Zusammenarbeit auf regionaler Ebene zu fördern, da der Austausch zwischen Deutschland und China auf dieser Ebene oft besser funktioniert.
In China gibt es einige Provinzen, deren Energiesektor und Anteil an der Kohleverstromung so groß sind, dass sie mit der gesamten EU vergleichbar wären. Zum Beispiel hat die Provinz Shandong eine installierte Kapazität von 100.000 Megawatt Kohlestrom – das entspricht der Kapazität der gesamten EU. Es gibt auch andere Regionen in China, die stark von der Kohleförderung geprägt sind.
Chinas Klima- und Umweltpolitik
China ist der größte Treibhausgasemittent der Welt, treibt aber auch den Ausbau der erneuerbaren Energien am schnellsten voran. Die Volksrepublik ist bei vielen "grünen" Technologien führend – und hat eine Schlüsselrolle bei der Weiterverarbeitung von Rohstoffen wie Kobalt und Lithium. Während China in der internationalen Klimapolitik eine prominente Position innehat, kommt es im Land immer wieder zu Protesten gegen Umweltverschmutzung. Die Serie wirft ein Auge auf Akteure und Debatten, Gesetze und Industrien in China.
Das Dialogformat soll die Energiewende in chinesischen Provinzen unterstützten, indem man sich über die Erfahrungen mit dem Kohleausstieg in Deutschland austauscht. Deutschland bringt hier wertvolle Erfahrungen mit, besonders aus den eigenen Kohleregionen, in denen ein umfangreicher Strukturwandel erforderlich ist. Entschädigungen für Kohleunternehmen oder der Übergang zu alternativen Energien sind Herausforderungen, die sich auch in China stellen.
Wir sehen hier eine gute Gelegenheit, die Kooperation zwischen Deutschland und China zu vertiefen – und versuchen auch, dies auf zivilgesellschaftlicher Ebene zu unterstützen, indem wir ähnliche Partnerschaften zwischen chinesischen Provinzen und Mitgliedsstaaten der EU fördern, um diese Fragen gemeinsam zu diskutieren. Unser Ziel ist es, so auch indirekten Einfluss auf dieses offizielle zwischenstaatliche Format zu nehmen.
Wo sehen Sie Möglichkeiten zur technischen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und China, gerade angesichts der Herausforderungen in dem berühmten Dreiklang von "Partnerschaft, Rivalität und Wettbewerb"?
Ein sehr relevantes Beispiel ist die Energiewende in China, vor allem die Dekarbonisierung des Energiesektors. China verbraucht 30 Prozent des weltweiten Stroms – umso wichtiger ist es, dass China aus der Kohle aussteigt. Dieser Ausstieg kann jedoch nur gelingen, wenn die Strommärkte reformiert werden, um die richtigen Preissignale zu setzen.
Der chinesische Strommarkt muss integriert werden, sodass Strom über Provinzgrenzen hinweg handelbar wird – was derzeit sowohl aus technischen als auch aus politischen Gründen nicht geschieht. Viele Provinzen haben bisher weder die Infrastruktur noch das Interesse, ihre Strommärkte zu integrieren.
All diese Schritte stellen gewaltige Herausforderungen dar, umso mehr in einem Land mit der Größe Chinas. Deutschland hat diese Herausforderungen in einem deutlich kleineren Maßstab bereits erfolgreich gemeistert und arbeitet weiter daran. Digitale Lösungen wie der Handel mit Strom oder Zertifikaten sowie die grenzüberschreitende Verbindung von Strommärkten sind Bereiche, in denen Deutschland schon umfangreiche Erfahrungen gesammelt hat. Die könnten auch in China Anwendung finden, auch wenn nicht alles direkt übertragbar ist.
Ein Beispiel dafür ist die erwähnte Provinz Shandong, die über eine enorme Kohlekapazität verfügt und einen Großteil der Bevölkerung durch Fernwärme versorgt. Der Kohleausstieg dort würde bedeuten, dass das gesamte Fernwärmenetz ersetzt werden müsste, was eine enorme Herausforderung darstellt. Auch wenn solche Hürden bestehen, kann Deutschland zeigen, dass ein hoher Anteil erneuerbarer Energien im Strommix nicht zu Instabilität führt, wenn bestimmte Vorkehrungen getroffen werden.
Sehen Sie auch Bereiche, in denen Deutschland von China lernen könnte?
Wir profitieren bereits stark von chinesischen Lösungen, auch wenn das politisch oft nicht gewollt ist. Ein Beispiel dafür ist die umstrittene Abhängigkeit vom Import chinesischer Solarpaneele und anderer Produkte, die zwar nicht gewünscht ist, aber die Energiewende in Deutschland und der EU erheblich vorantreibt.
Es gibt Gespräche darüber, Produktionsstätten nach Deutschland und in die EU zu verlagern, um die Lieferkettenabhängigkeit zu reduzieren – gerade angesichts der Gefahr, dass diese Lieferketten politisch instrumentalisiert werden könnten, um Druck auszuüben. Diese Risiken möchte ich nicht bewerten. Klar ist jedoch: Die technischen Lösungen und Möglichkeiten, die auf chinesischer Seite vorhanden sind, sind aus Verbrauchersicht von großem Vorteil, da sie unsere Energiewende maßgeblich unterstützen.
Sollten wir die Produktion auch auf dem europäischen Kontinent ausweiten wollen, wäre es durchaus ratsam, chinesische Akteure einzubeziehen. Dadurch könnten wir Skaleneffekte nutzen und auf vorhandene Technologie und Expertise zurückgreifen. Wenn die Finanzierung so gestaltet wäre, dass nicht hauptsächlich europäische Fördergelder den Ausschlag geben, wie zum Beispiel bei den viel diskutierten Chip- und Autofabriken von Intel und Tesla, könnte dies eine sehr vorteilhafte Situation schaffen.
Aber das setzt den politischen Willen voraus. Leider steht das weit verbreitete Feindbild China dieser Art von Zusammenarbeit oft im Weg.