Klimareporter°: Herr Li, China hat 2020 angekündigt, dass seine CO2-Emissionen bis 2030 ihren Höhepunkt erreichen und dann sinken werden. In diesem Jahr erarbeitet China, wie andere Staaten auch, die nächsten nationalen Klimaziele, die sogenannten NDCs für den Zeitraum von 2030 bis 2035. Was erwarten Sie?
Li Shuo: Das ist in der Tat die zentrale Frage für 2024. Laut Paris-Abkommen müssen alle Staaten die neuen NDCs Ende 2024, Anfang 2025 an das UN-Klimasekretariat übermitteln. Chinas Ziel für 2035 muss dabei sowohl den Höhepunkt der Emissionen als auch deren Rückgang berücksichtigen. Das heißt, es geht um ein absolutes Emissionsreduktionsziel – und das ist eine ziemlich große Sache!
Viele hoffen, dass der "Peak" und damit der Wendepunkt in diesem oder dem nächsten Jahr erreicht wird. Dann lautet die entscheidende Frage: Wie stark können die Emissionen in China von diesem Zeitpunkt an sinken? In letzter Zeit haben sich allerdings Chinas wirtschaftliche Aussichten verschlechtert, was oft bedeutet, dass auch die Bereitschaft zu Klima- und Umweltschutz abnimmt. Das wird eine Herausforderung sein.
Außerdem geht es bei diesen NDCs nicht mehr nur um CO2, wie das für China und andere Entwicklungsländer noch in der ersten NDC-Runde der Fall war. Jetzt müssen auch andere Treibhausgase berücksichtigt werden. Viele Organisationen, darunter auch unser Team, werden Analysen veröffentlichen und diskutieren, welche Emissionsminderung für ein Land wie China bis 2035 angemessen wäre.
Was erwarten Sie von der COP 29, der diesjährigen Klimakonferenz in Baku?
Klimaschutz-Finanzierung wird wieder ein wichtiges Thema sein. Es geht um das neue Klimafinanzierungsziel NCQG, eine Art Folgemaßnahme des 100-Milliarden-Dollar-Versprechens, das die Industrieländer vor mehr als zehn Jahren abgegeben haben.
Hier wird eine ganze Reihe von Fragen aufkommen: Wer leistet welchen Beitrag? Kann bei der Finanzierung ein Gleichgewicht zwischen Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen gefunden werden? Wird China sich insbesondere bei der Süd-Süd-Finanzierung stärker einbringen? Die internationale Gemeinschaft erwartet, dass China mehr leistet. Gleichzeitig benutzen viele Geberländer die China-Karte als Entschuldigung für ihre eigene Untätigkeit. Dieser Dynamik müssen wir uns bewusst sein.
Li Shuo
ist Direktor des neuen China Climate Hub am Asia Society Policy Institute (ASPI) in Washington. Schwerpunkt seiner Arbeit bei dem Thinktank ist Chinas Umwelt- und Energiepolitik. Der Climate Hub will die internationale Gemeinschaft bei der Auseinandersetzung mit Chinas Klimaagenda unterstützen. Zuvor war Li Shuo zwölf Jahre in China für Greenpeace Ostasien tätig und begleitete UN-Umwelt- und Klimaverhandlungen. Er hat Chinesisch-Amerikanische Beziehungen am Hopkins Nanjing Center studiert.
Klar ist: Was China tut, ist von hoher politischer Symbolik. Wenn China einen weiteren Schritt macht – und je nachdem, wie weit dieser Schritt geht –, wird das auch etwas darüber verraten, wie China seine sich entwickelnde Rolle in Bezug auf internationale Verantwortung sieht, über Klima- und Umweltschutz hinaus. Hat China eine dynamische Sichtweise, wenn es um global commons, also globale Gemeingüter, geht?
Beim letzten Klimagipfel COP 28 in Dubai hat das chinesische Außenministerium mehrfach auf bilaterale Süd-Süd-Kooperationsabkommen hingewiesen, die China mit vielen Staaten des globalen Südens unterzeichnet hat.
Ja, und das zeigt auch, dass Klimaschutz "gemainstreamt" wird, das heißt, inzwischen Teil von vielen unterschiedlichen politischen Prozessen und Projekten ist. China spielt eine entscheidende Rolle bei der Frage, wie Klimaschutz in Einklang mit Wirtschaftswachstum, Infrastrukturprojekten und der übergeordneten Entwicklungsagenda gebracht werden kann.
China stellt einerseits ein wirtschaftliches Entwicklungsmodell für den Rest der Welt dar – und ist zudem führend, wenn es um Solar- und Windenergie oder E-Autos geht –, hat andererseits jedoch viele fossile Projekte im Ausland finanziert. Zwar hat sich China inzwischen verpflichtet, nicht mehr in Kohlekraftwerke im Ausland zu investieren, aber wie sieht es mit Gas und Öl oder großen Infrastrukturprojekten aus? Wie können wir dazu beitragen, dass China hier nachhaltiger wird?
Dass chinesische Firmen inzwischen führend bei Solarenergie, Windkraft oder Elektroautos sind, stößt in Europa nicht nur auf Begeisterung. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erwägt öffentlich, Importzölle auf chinesische E-Autos einzuführen – wie auch US-Präsident Joe Biden. Die Rede ist von unfairem Wettbewerb. Wie sehen Sie das?
In einer idealen Welt ist die Tatsache, dass China billige Solarmodule und Elektroautos produzieren kann, eine gute Nachricht für Europa. Aber natürlich muss man auch die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit berücksichtigen. Die Frage ist: Wie bringt man beides unter einen Hut?
Wenn Sie ein deutscher Politiker sind, ergibt es Sinn, sich für die eigenen Autohersteller einzusetzen. Aber was, wenn diese nicht in der Lage sind, so hochwertige, kosteneffiziente Batterien zu produzieren wie die chinesischen Konkurrenten? Leider wurden in den letzten Jahren Entscheidungen auf einer sehr ideologischen Basis getroffen, die dem Interesse des globalen Klimaschutzes widersprechen. Meine Hauptbotschaft ist hier: Entpolitisieren Sie diese Debatte!
Internationale Klimapolitik ist eingebettet in globale Aushandlungen von Macht. Wie blicken Sie auf die Beziehungen zwischen China und den USA?
Was das angeht, haben wir zwei sehr schwierige Jahre hinter uns, nämlich 2021 und 2022. Gegen Ende letzten Jahres hat sich die Lage etwas verbessert. Die im November vor der COP 28 in Dubai veröffentlichte "Sunnylands-Erklärung" der beiden Chefunterhändler Xie Zhenhua und John Kerry hat auch positiv auf die Klimakonferenz gewirkt.
Aber es ist unklar, wie es nun weitergeht. Auf globaler Ebene wird es weitere geopolitische Turbulenzen geben, die vielleicht nicht direkt klimarelevant sind, aber die Psyche der jeweiligen Länder beeinflussen werden. Ich sehe keine bahnbrechenden Vereinbarungen, die die beiden Länder aktuell treffen könnten. Noch dazu stehen im November in den USA Wahlen an – und die Herausforderungen könnten nicht größer sein, je nachdem, ob Biden oder Trump gewinnt.
Wenn diese beiden Länder nicht einmal über Klimaschutz reden können, werden wir in der internationalen Klimapolitik keine großen Fortschritte erzielen, so einfach ist das. Wie können wir mehr Dialog und Kooperation erreichen? Das wird viel Kreativität und Engagement erfordern.
Was bedeutet das konkret für die nächsten Monate – aber auch für die Zeit danach?
Bei den letzten Klimakonferenzen wurden viele Ziele verkündet. Aber es klafft eine große Lücke zwischen den Bestrebungen und der Umsetzung. Die Frage ist: Wie können wir die Umsetzung beschleunigen und zeigen, dass echte Fortschritte erzielt wurden?
Wenn man sich den politischen Kalender dieses Jahres ansieht, mit den EU-Wahlen im Juni und den US-Wahlen im November, werden die Dinge in der zweiten Jahreshälfte sehr in der Schwebe sein. Im besten Fall können wir das Zeitfenster der ersten Hälfte dieses Jahres nutzen. Aber dann müssen wir weiterdenken und über den Kontext der nächsten, zwei, drei Jahre nachdenken, statt nur auf 2024 fokussiert zu sein.
Wir müssen die Ziele der COP 28 in die Tat umsetzen. Dafür brauchen wir tragfähige politische Bedingungen. Einige der vielen Wahlen im Jahr 2024 könnten diese liefern, andere nicht. Wir sollten alle bereits jetzt planen, wie wir 2025 und 2026 weiterarbeiten.
Chinas Klima- und Umweltpolitik
China ist der größte Treibhausgasemittent der Welt, treibt aber auch den Ausbau der erneuerbaren Energien am schnellsten voran. Die Volksrepublik ist bei vielen "grünen" Technologien führend – und hat eine Schlüsselrolle bei der Weiterverarbeitung von Rohstoffen wie Kobalt und Lithium. Während China in der internationalen Klimapolitik eine prominente Position innehat, kommt es im Land immer wieder zu Protesten gegen Umweltverschmutzung. Die Serie wirft ein Auge auf Akteure und Debatten, Gesetze und Industrien in China.