Der Kampf um den Ausstieg aus dem klimaschädlichsten Energieträger ist noch lange nicht zu Ende. (Bild: Leard State Forest/​Flickr)

Kohleausstieg bis 2035 – darauf haben sich die Energie-, Umwelt- und Klimaminister:innen der sieben wirtschaftsstärksten westlichen Industrienationen geeinigt. So lasen sich bereits am Montag zahlreiche Medienberichte über den heute zu Ende gegangenen G7-Gipfel im italienischen Turin.

"Ja, wir haben uns darauf geeinigt, Kohle in der ersten Hälfte des 2030er Jahre auslaufen zu lassen", bestätigte der britische Energie-Staatssekretär Andrew Bowie dem italienischen Fernsehsender Class CNBC am Rande des Treffens. Es gebe eine technische Einigung, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters den italienischen Energieminister und Gipfelpräsidenten Gilberto Pichetto Fratin.

Die für den heutigen Dienstag angekündigte ausformulierte Abschlusserklärung liegt nun vor und enthält gleich mehrere Schlupflöcher.

Das Ausstiegsdatum bezieht sich laut dem Dokument nur auf "unverminderte Kohleverstromung". Das bedeutet: Kohlekraftwerke, die durch eine CO2-Abscheidungs- und Speichertechnologie (CCS) ergänzt werden, sind davon nicht betroffen.

Obwohl aus der Wissenschaft immer wieder kritisiert wird, dass derartige Formulierungen viel zu unkonkret seien, verzichtet die G7 darauf, konkreter zu werden. Offen bleibt etwa: Welcher Anteil der CO2-Emissionen muss abgeschieden werden, damit der Kohlestrom als "vermindert" gilt? Eine Abscheidung von mehr als 90 Prozent der CO2-Emissionen ist mit heutiger Technik nicht möglich.

"Die G7 geht damit bei der Umsetzung des COP‑28-Ziels zur Abkehr von fossilen Energieträgern voran", begrüßte Wirtschaftsstaatssekretärin Anja Hajduk den Beschluss. Dieser sei gar ein "historischer Erfolg für den Klimaschutz". Hajduk war gemeinsam mit Umweltministerin Steffi Lemke nach Turin gereist.

Ein Zeitplan ist schön und gut – eine Klimapolitik, die auf die Wissenschaft hört, wäre noch besser. Auf dem 28. Weltklimagipfel (COP 28) in Dubai richteten führende Klimawissenschaftler:innen vor wenigen Monaten eine unzweideutige Botschaft an die Politik: CO2-Speichertechnologien dürften nicht dazu dienen, fossile Energien künstlich zu verlängern.

"2035 ist zu spät"

"Es kann wissenschaftlich keine andere Aussage geben, als dass der Ausstieg aus fossilen Energien notwendig, aber bei Weitem nicht ausreichend ist", erklärte Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Während die Welt so schnell wie möglich aus fossilen Energien aussteigen müsse, müssten gleichzeitig Speichertechnologien im Rekordtempo ausgebaut werden. Das eine dürfe nicht als Entschuldigung dafür missbraucht werden, das andere hinauszuzögern.

Doch genau diesen Zweck erfüllt ganz offensichtlich die Formulierung in der Abschlusserklärung des G7-Gipfels.

Die zweite Formulierung, die aufhorchen lässt: Der Ausstieg aus unverminderter Kohleverstromung soll "in der ersten Hälfte der 2030er Jahre oder in einer Zeitspanne, die mit der Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad vereinbar ist" erfolgen.

Was Wissenschaft und was Politik "mit 1,5 Grad vereinbar" finden, sind erfahrungsgemäß zwei unterschiedliche Dinge.

In derselben Erklärung versichern die G7-Staaten etwa, dass sie – im Einklang mit dem 1,5-Grad-Pfad – bis 2030 rund 43 Prozent und bis 2035 rund 60 Prozent ihrer Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 2019 einsparen wollen. Eine Analyse des Thinktanks Climate Analytics zeigt gleich zwei Probleme bei dieser Zusage.

Erstens müssten die sieben Industrienationen ihre Emissionen laut den Expert:innen um mindestens 58 Prozent bis 2030 und 75 Prozent bis 2035 senken, um von 1,5-Grad-kompatibler Politik sprechen zu können.

Und zweitens sind die beschlossenen Klimamaßnahmen der Länder selbst von ihren eigenen Reduktionszielen weit entfernt. Stattdessen prognostiziert der Thinktank für 2030 eine Reduktion zwischen 19 und 33 Prozent – und damit selbst im Idealfall weniger als die Hälfte von dem, was nötig wäre.

Für Jane Ellis, die Climate Analytics den Bereich Klimapolitik leitet, ist auch das Ausstiegsdatum 2035 nicht ambitioniert genug: "2035 ist zu spät. Viele dieser Länder haben sich bereits öffentlich zu Ausstiegsterminen vor 2030 verpflichtet und verfügen ohnehin nur über eine geringe Kohlekapazität."

Erdgas ist Hauptursache für Emissionsanstieg

In Deutschland entfällt nach wie vor ein Drittel der gesamten Stromproduktion auf Kohlekraftwerke. Gesetzlich ist der Kohleausstieg bis 2038 festgeschrieben. Der Braunkohleausstieg in Nordrhein-Westfalen wurde in einem umstrittenen Deal zwischen dem Energieunternehmen RWE und der Bundes- wie Landesregierung auf 2030 vorgezogen.

In Ostdeutschland ist der Kohleausstieg nach wie vor höchst umstritten. Dabei kommen zahlreiche Analysen zu dem Schluss, dass sich die Kohleverstromung aufgrund des steigenden CO2-Preises nach 2030 ohnehin nicht mehr lohnen wird.

Auch Japan ist nach wie vor stark von Kohle abhängig. Im Gegensatz zu allen anderen G7-Ländern hat Japan noch keinen eigenen Beschluss zum Kohleausstieg gefasst und in der Vergangenheit derartige G7-Beschlüsse mehrmals blockiert. Dennoch hatte die G7 bereits vor zwei Jahren beschlossen, ihr Stromsystem bis 2035 "weitestgehend" zu dekarbonisieren. Viel konkreter ist der neue Beschuss also nicht.

Das Bundeswirtschaftsministerium zeigt sich dennoch hocherfreut: "Dies ist ein wesentlicher Meilenstein zur Abkehr von den fossilen Energieträgern weltweit." Allerdings kommt eine "Abkehr" von Öl und Gas in dem Beschluss gar nicht vor.

Dass G7-Länder immer mehr in Gaskraftwerke investieren, ist für Jane Ellis die völlig falsche Richtung: "In den letzten zehn Jahren war Gas die Hauptursache für den weltweiten Anstieg der CO2-Emissionen."

Am Rande des Gipfels kam es zu zahlreichen Anti-G7-Protesten. Nahe Turin wurde eine Autobahn blockiert. Mehrere hundert Menschen demonstrierten gegen die schleppende Klimapolitik der Industrienationen. Die Polizei setzte Tränengas, Wasserwerfer und Schlagstöcke ein.

Neben dem "Kohleausstieg mit Einschränkung" gab es zahlreiche weitere Beschlüsse. So unterstützt die G7 ein globales Plastikabkommen, wie es derzeit in der kanadischen Hauptstadt Ottawa ausgehandelt wird. Auch für eine schnelle Ratifizierung des UN-Hochseeschutzabkommens sprechen sich die Länder aus.

Steffi Lemke findet das ermutigend: "Es ist gut, dass die G7 sich zu ihrer Verantwortung bei der Lösung der drei großen ökologischen Krisen unserer Zeit, der Klimakrise, dem Artenaussterben und der Vermüllung, bekennt."

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