Am Emissionshandel müssen in China bislang nur Energieerzeuger teilnehmen. Das soll sich bald ändern. (Bild: Andreas Felske/​Unsplash)

Klimareporter°: Herr Chiang, die chinesische Regierung arbeitet spätestens seit 2022 intensiv daran, die Erfassung und Bilanzierung von CO2-Emissionen zu systematisieren und zu institutionalisieren. Warum ist das so wichtig?

Janz Chiang: CO2-Bilanzierung und Statistiken sind schon immer wichtig gewesen, aus einem einfachen Grund: Was man nicht messen kann, kann man auch nicht kontrollieren.

Jetzt begibt sich die Volksrepublik auf eine mehrjährige Dekarbonisierungsreise. Dafür muss die Regierung sicherstellen, dass die Emissionen genau gemessen werden.

Außerdem ist es seit Einführung des nationalen Emissionshandelssystems im Jahr 2021 noch wichtiger geworden, detaillierte CO2-Statistiken und Bilanzen für einzelne Sektoren und Unternehmen erstellen zu können. Auch dafür braucht es Richtlinien.

Zu guter Letzt kam dann auch noch CBAM.

Deshalb haben die Reformkommission, das Statistikamt und das Umweltministerium 2022 einen Plan veröffentlicht: Gemeinsam wollen sie ein nationales Statistik- und Bilanzierungssystem für CO2-Emissionen entwickeln.

CBAM, das CO2-Grenzausgleichssystem, ist ein Instrument der EU, das seit 2023 schrittweise eingeführt wird. Es geht darum, dass der CO2-Preis von Waren, die in die EU importiert werden, so hoch sein soll wie der für die europäische Produktion. Ist das nicht der Fall, muss ein Ausgleich gezahlt werden.

Ja, und chinesische Politiker haben dies bereits als "Handelsprotektionismus mit CO2-Zöllen" bezeichnet. Sie gehen davon aus, dass sich der Geltungsbereich von CBAM noch weiter ausweiten wird.

Wenn chinesische Unternehmen den Preis, den sie in China für die CO2-Emissionen ihrer Produkte bezahlt haben, mit den CBAM-Anforderungen verrechnen wollen, dann müssen sie dafür Nachweise bringen. Kurz gefasst, die EU muss die chinesischen Systeme zur Bilanzierung des CO2-Fußabdrucks ebenso wie Chinas Emissionshandelssystem anerkennen.

Schon 2026 soll der CO2-Grenzausgleich in seiner endgültigen Form Anwendung finden. Werden die Einführung von Bilanzierungssystemen und die Ausweitung des nationalen Emissionshandels dazu führen, dass China im Endeffekt wenig oder gar nichts zahlen muss?

Das ist auf jeden Fall ein Ziel der Regierung. Ob Mechanismen wie das nationale Emissionshandelssystem als effektiv bezahlter CO2-Preis fungieren, hängt von zwei Dingen ab.

Erstens davon, ob der Übergang von free allocation zu paid allocation, also von einem System der kostenlosen Zuteilung zu einem der bezahlten Zuteilung, frühzeitig vollzogen wird. Im Moment werden die Emissionshandels-Zertifikate kostenlos vergeben, weil das aktuelle Ziel eben nicht ist, einen CO2-Preis einzuführen, sondern überhaupt erstmal einen funktionierenden Mechanismus für den nationalen CO2-Markt zu etablieren.

Zweitens stellt sich natürlich die Frage, ob die EU Chinas Zertifikate als wirksamen CO2-Preis anerkennen wird, sobald sie eben nicht mehr auf kostenlosen Zuteilungen basieren. All dies ist Gegenstand von Verhandlungen, die China und die EU zu diesem Thema glücklicherweise führen.

Chinas Emissionshandel wurde zwar schon 2021 eingeführt, erfasst bisher allerdings nur Energieerzeuger. Aufgrund der schieren Größe ist es trotzdem das größte nationale Emissionshandelssystem der Welt. Wie steht es um die Pläne, andere Sektoren, etwa Stahl, einzubeziehen?

Stahl und Konstruktionswerkstoffe sollen tatsächlich noch hinzukommen, aber jetzt wurde – vielleicht, weil es einfacher zu erfassen ist – erstmal die Ausweitung auf Zement und die elektrolytische Aluminiumindustrie angekündigt. Das Umweltministerium hat dazu kürzlich die geplanten Regulierungen zur öffentlichen Kommentierung vorgelegt, nun wird das Verfahren abgeschlossen. Es bleibt also spannend.

Und was sind die nächsten Schritte, wenn es darum geht, die Bilanzierung von CO2-Emissionen zu standardisieren?

Der nächste große Schritt ist die Veröffentlichung der nationalen Datenbank für Emissionsfaktoren.

Bild: privat

Janz Chiang

ist leitender Analyst bei der Beratungs­agentur Trivium China in Peking mit Schwer­punkt auf Umwelt­schutz und Klima­politik. Er hat Betriebs­wirtschaft an der Universität der Philippinen und inter­nationale Beziehungen an der Peking-Universität studiert.

In China werden die Emissionen auf zwei Arten gemessen: direkt und indirekt. Wenn man es direkt macht, hat man Geräte, die die Emissionen tatsächlich messen, das ist teuer und lässt sich nicht gut in einen landesweiten Maßstab skalieren.

Die indirekte Methode besteht in der Verwendung von Emissionsfaktoren, das heißt, es gibt für jede Produktgruppe wie zum Beispiel Stahl eine Formel, wonach jede produzierte Einheit eine bestimmte Menge an Emissionen verursacht. In Wirklichkeit ist es natürlich komplizierter, denn man muss sich die Prozesse genau ansehen, inklusive Abwärme und allem Drum und Dran.

Weil es keine nationale Datenbank für Emissionsfaktoren gibt, können Unternehmen Emissionsfaktoren aus verschiedenen Quellen – zum Beispiel von internationalen Organisationen – verwenden, die möglicherweise nicht die Gegebenheiten im Land widerspiegeln, oder sie können bestimmte Prozesse und Faktoren ignorieren.

Damit es zu möglichst wenig Ungereimtheiten kommt, haben das Statistikamt und das Umweltministerium beschlossen, bei der Erstellung ebendieser nationalen Datenbank für Emissionsfaktoren zusammenzuarbeiten. Sie soll noch dieses Jahr veröffentlicht werden.

Im März fanden in China wieder die "Zwei Sitzungen" statt, die parallelen Tagungen des Nationalen Volkskongresses und der Politischen Konsultativkonferenz. Was war aus Ihrer Perspektive dort die interessanteste klimapolitische Ankündigung?

Abseits der bekannteren Themen – vor allem die Förderung von E‑Autos und erneuerbaren Energien – wurde etwas sehr Interessantes vorgestellt: das CO2-Budget-Managementsystem. Es wird gerade in der Inneren Mongolei getestet.

Der Name deutet darauf hin, dass die Provinzregierungen und Kommunen zukünftig wahrscheinlich innerhalb eines CO2-Budgets, das sie nicht überschreiten dürfen, arbeiten müssen. Ich denke, das wird in den kommenden Jahren eine sehr spannende Dimension der chinesischen Klimapolitik sein.

 

Chinas Klima- und Umweltpolitik

China ist der größte Treibhausgasemittent der Welt, treibt aber auch den Ausbau der erneuerbaren Energien am schnellsten voran. Die Volksrepublik ist bei vielen "grünen" Technologien führend – und hat eine Schlüsselrolle bei der Weiterverarbeitung von Rohstoffen wie Kobalt und Lithium. Während China in der internationalen Klimapolitik eine prominente Position innehat, kommt es im Land immer wieder zu Protesten gegen Umweltverschmutzung. Die Serie wirft ein Auge auf Akteure und Debatten, Gesetze und Industrien in China.