Anti-TTIP u Ceta
Care-Arbeit ist nachhaltig, wird aber schlecht bis gar nicht bezahlt und in der Klimapolitik wenig berücksichtigt: Demonstration gegen EU-Freihandelsabkommen in Berlin. (Foto: Sandra Kirchner)

Eigentlich hat sich die EU der Gleichstellung von Frau und Mann verschrieben. Jedenfalls auf dem Papier.

Schon in grundlegenden EU-Verträgen geht es um Geschlechtergleichstellung. Mit mehreren Artikeln hat sich der Staatenbund im EU-Vertrag, im Vertrag über die Arbeitsweise der EU und in der Grundrechtecharta dazu verpflichtet, die Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern.

Einen Durchbruch brachte 1997 der Vertrag von Amsterdam, mit dem die EU die Förderung der Gleichstellung zu einer ihrer grundlegenden Aufgaben erklärte. Der Beschluss verpflichtete die Mitgliedsstaaten, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Bereichen voranzubringen.

Doch trotz jahrzehntealter Beschlüsse bleibt die Gleichstellung bei neuen Gesetzesinitiativen der EU häufig auf der Strecke. Wie etwa beim Green Deal.

"Der Europäische Green Deal bleibt weitgehend geschlechtsblind trotz des Ziels der Von-der-Leyen-Kommission, eine Union der Gleichstellung zu erreichen", heißt es in einer Analyse der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. In Schlüsselbereichen wie Energie, Verkehr und Landwirtschaft hat der Bericht zahlreiche Lücken beim Green Deal mit Blick auf die Gleichstellung ausgemacht.

Männlich geprägter Energiesektor

Im Energiesektor arbeiten noch immer vor allem Männer. 2019 waren vier von fünf Beschäftigten in der Energiebranche männlich. In den erneuerbaren Energien arbeiten etwas mehr Frauen als in den konventionellen Energien.

Mit dem Just Transition Fund, dem "Fonds für einen gerechten Übergang", will die EU den Systemwechsel zu einer klimafreundlichen Wirtschaft beschleunigen. Viel Geld soll dabei in die Kohleregionen der EU fließen, in eine Branche, in der hauptsächlich Männer tätig sind.

Geschlechterstereotype beeinflussen auch die Energienutzung. Insgesamt verbrauchen Frauen weniger Energie als Männer. Aber weil viele Frauen die Betreuung von Kindern und die Pflege von Angehörigen zu einem großen Teil als unbezahlte Sorge-Arbeit tragen, sind die Energieverbräuche von Frauen im Haushalt höher.

Gleichzeitig ist das Interesse von Frauen an Energiegemeinschaften und am Prosuming höher. Weil aber Technologien häufig noch als Männerdomäne wahrgenommen werden und die Sorge-Arbeit die Handlungsfähigkeit von Frauen einschränkt, sind Frauen in diesen Bereichen unterrepräsentiert. Deshalb können integrative Maßnahmen, die die Beteiligung von Frauen stärken, auch die Zahl der Haushalte erhöhen, die Energie selbst produzieren, etwa mit einer Solaranlage.

In der Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU spielt das aber keine Rolle. Die Richtlinie müsste Frauen stärker dazu ermutigen, an dezentralen Konzepten der Energiewende teilzuhaben, heißt es in der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Viele grüne Technologien und die Klimapolitik sind darauf fokussiert, die CO2-Emissionen zu senken. Dass auch die Energie- und Ressourcenverbräuche sinken müssen, um verträglich zu leben und zu wirtschaften, hat die Politik kaum auf dem Schirm.

Pflegetätigkeiten aller Art sind nachhaltig

"Der Green Deal ist eine Wachstumsstrategie und weicht nicht vom traditionellen Ansatz mit seinen bestehenden Ungleichheiten ab", sagt Katy Wiese vom Dachverband Europäisches Umweltbüro, der an der Studie mitgearbeitet hat. Was es eigentlich brauche, sei eine feministische Wohlfahrtsökonomie, die die Pflege von Mensch und Natur in den Mittelpunkt stelle und nicht das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts. Die EU solle ihre Auffassung von Nachhaltigkeit weiten und die Pflegewirtschaft als nachhaltig anerkennen.

Deshalb empfehlen die Berichtsautor:innen der Politik, den Green Deal neu zu konzipieren. Die Politik soll stärker auf geschlechterspezifischen Daten basieren, um gegen soziale Ungleichheiten vorzugehen. Häufig fehlen Daten, die etwa das Nutzungsverhalten nach Geschlecht abbilden.

Das ist auch ein Problem bei der Verkehrswende: Weil Wege zur Betreuung von Kindern oder Angehörigen nicht erhoben werden, bleibt der Verkehrsaufwand von Sorge-Arbeit unsichtbar – in den Daten und in der Politik. Und so wird das weite Pendeln zur Arbeit und zurück zur Norm erhoben: Breite Einfallsstraßen und Zugverbindungen in die Städte kommen vor allem Männern zugute. Frauen, die häufiger zwischen verschiedenen Punkten innerhalb der Stadt und mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind, haben das Nachsehen.

"Frauen sind besonders betroffen und von Verkehrs- und Energiearmut bedroht, was auf das geschlechtsspezifische Lohn-, Renten-, Armuts- und Betreuungsgefälle zurückzuführen ist", sagt auch die EU-Abgeordnete Delara Burkhardt (SPD). "Der Europäische Green Deal schlägt wenig bis gar nichts vor, um dies zu berücksichtigen."

Die Politik könne aber nicht die Augen vor der Realität der Hälfte der Bevölkerung in der Europäischen Union verschließen. Deshalb brauche es dringend einen "Feministischen Europäischen Green Deal".

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