Hartmut Graßl. (Bild: Christoph Mischke/​VDW)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Professor Hartmut Graßl, Physiker und Meteorologe.

Klimareporter°: Herr Graßl, eine aktuelle Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Nordatlantische Umwälzzirkulation, zu der auch der Golfstrom gehört, höchstwahrscheinlich schon in diesem Jahrhundert zusammenbrechen wird. Einige Wissenschaftler:innen äußerten Kritik an der Studie. Für wie verlässlich halten Sie solche Prognosen?

Hartmut Graßl: Weil die Ergebnisse aus der Klimaforschung für die Menschheit von sehr großer Bedeutung sind, werden sie heute den Forschenden von der Öffentlichkeit schon aus der Hand gerissen, bevor sie eine für die Klimapolitik ausreichende Zuverlässigkeit erreicht haben. Das gilt jetzt auch für die Debatte um die rasche Schwächung der Nordatlantischen Drift – im Volksmund oft Golfstrom genannt – in der Studie der Geschwister Ditlevsen.

Denn ein veränderter Forschungsansatz liefert typischerweise zunächst ein kräftiges Signal, das in Nachfolgearbeiten meist gedämpft wird oder sich als falsch herausstellt. Diese Folgeveröffentlichungen durch Kollegen sind abzuwarten, bevor Politikänderungen eingeleitet werden.

Zumal der Anlass für die veränderte Umwälzzirkulation im Atlantik, der erhöhte Treibhauseffekt der Atmosphäre, bisher politisch völlig unzureichend behandelt wird. Wie die Autoren selbst sagen: Die beste Antwort ist eine Emissionsminderung.

Der weltweite Erdüberlastungstag wurde in diesem Jahr am 2. August und damit fünf Tage später als im vergangenen Jahr erreicht. Ist das vielleicht schon ein Zeichen für eine Trendumkehr?

Ob der Erdüberlastungstag korrekt berechnet wird, sei zunächst dahingestellt. Sicher ist nur, dass zu viele ressourcenhungrige Menschen und eine fast völlig fehlende Wiederverwertung der Bodenschätze der Anlass dafür sind und dass noch mehr dieser ressourcenhungrigen Menschen hinzukommen.

Wenn die Berechnung des Erdüberlastungstages nach bisheriger Methode eine Stabilisierung andeutet, dann ist das erfreulich und heißt, dass jeder heutige Mensch – bei einem jährlichen Bevölkerungszuwachs von erstmals seit über 100 Jahren knapp unter einem Prozent – im Mittel etwas weniger Kredit bei den zukünftigen Generationen aufnimmt.

Weil fast alle der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen eine wachsende Wirtschaft voraussetzen, bedeutet das außerdem, dass das Pariser Klimaabkommen und die Bemühungen zum nachhaltigeren Wirtschaften ihre erste dämpfende Wirkung hinterlassen.

Zwei wesentliche Aufgaben zur wirkungsvoll verminderten Kreditaufnahme bei zukünftigen Generationen bleiben: erstens die drastische Ressourcenminderung in den durch fossile Brennstoffe hochentwickelten Ländern wie den USA oder Deutschland sowie den nur für eine kleine Minderheit reich gewordenen wie einigen Golfstaaten.

Und zweitens die verringerte Bevölkerungszunahme in den armen Ländern durch Bildung vor allem der Mädchen. Eine Trendumkehr beim Erdüberlastungstag erkenne ich noch nicht.

Nach dem neuen Gebäudeenergiegesetz darf nun Biomasse in Neubauten zum Heizen genutzt werden. Ist das eine sinnvolle Brückenenergie?

Die Debatte über den neuen, allerdings im Bundestag noch veränderbaren Vorschlag zum Gebäudeenergiegesetz zeigt exemplarisch die Rückzugsgefechte der Bewahrer bisheriger Lösungen und der Verteiler fossilen Erdgases. So wird die energetisch beste und langfristig oft auch finanziell günstigste Lösung, nämlich die mit erneuerbarer Energie betriebene Wärmepumpe in gut wärmeisolierten Bauten, von den Bewahrern alter Techniken bewusst schlechtgeredet.

Die revidierte und nicht endgültige Fassung des Gebäudeenergiegesetzes erlaubt sogar noch für Neubauten Heizungen mit Holzhackschnitzeln oder Pellets, herkömmliche Holzheizungen und Heizungen mit Biogas. Diese Heizungen verschmutzen die Luft, emittieren die Treibhausgase Kohlendioxid und Methan und mindern zusätzlich die Biodiversität.

Völlig ausgeblendet bleibt bei dieser Debatte außerdem der hohe Flächenverbrauch für diese Art der Heizung.

Ein Beispiel: Eine heutige Photovoltaikzelle wandelt etwa 20 Prozent der angebotenen Sonnenenergie in elektrische Energie um, das sind in Deutschland etwa 20 Watt pro Quadratmeter, während der gedüngte Maisacker in Form der gesamten Biomasse nur etwa 0,3 Watt pro Quadratmeter anbietet, also etwa ein Sechzigstel – auch dann, wenn das aus der Biomasse entstehende Biogas gänzlich zur Heizung verwendet wird. Zusätzlich gewinnt die Wärmepumpe zwei Drittel bis drei Viertel der Heizenergie kostenlos aus der Umwelt.

Es bleibt zu hoffen, dass nur wenige Bürger diese Flächenverschwendung durch das Heizen mit Biomasse wählen statt des Wind- und Solarstroms für die Wärmepumpe. Je mehr es tun, um so teurer wird es für sie werden, wegen der Preiserhöhung bei Biomasseverknappung. Ganz zu schweigen von der Einengung der Flächen für die Nahrungsmittelproduktion.

Ohne diese Biomasseheizungen in Neubauten wäre das Gebäudeenergiegesetz besser, aber die Koalitionsarithmetik erlaubt das nicht. Die Brücke sollte also sehr klein bleiben.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Die Frage regte mich dazu an, in der Klimaforschungsliteratur dieser Woche nach Interessantem zu suchen. Ich wurde bei einem Forschungsthema fündig, das schon vor über 50 Jahren mein eigenes war: durch Luftverschmutzung veränderte Wolken.

In einem Kommentar fasst der Science-Redakteur Paul Voosen zusammen, was eine neue Umweltregel für die Seeschifffahrt, erlassen von der hier zuständigen UN-Behörde IMO, im Klimasystem bewirkt hat. Der Titel lautet übersetzt: "Wir verändern die Wolken. Ein ungeplanter Geoengineering-Versuch führt zu Rekordwärme in den Ozeanen: Weniger Luftverschmutzung bedeutet weniger 'Schiffsspur'-Wolken und mehr globale Erwärmung".

In dem Beitrag geht es darum, dass der besonders stark befahrene Nordatlantik an seiner Oberfläche wärmer ist als jemals zuvor, seit gemessen wird. Zu den Ursachen gehört, dass der verringerte Schwefelgehalt der Schiffstreibstoffe zu weit weniger Kondensationskeimen für Wolken führt, sodass die Menge der hinter den Schiffen deutlich sichtbaren Wolken stark geschrumpft ist, wodurch mehr Sonnenlicht in den Ozean eindringt und diesen erwärmt.

Damit ist die Wirksamkeit der seit Längerem diskutierten Geoengineering-Methode, durch mehr Kondensationskeime die Wolken heller zu machen, bestätigt – allerdings in der umgekehrten Richtung.

Für mich zeigt das erneut zweierlei: Erstens braucht wissenschaftlicher Fortschritt oft viel Zeit, und zweitens haben Umweltschutzmaßnahmen fast immer nicht bedachte Nebeneffekte.

Fragen: David Zauner