Sie sind 2.000-mal kleiner als der Punkt am Ende dieses Satzes und doch beeinflussen sie das gesamte Klimasystem.
Die Rede ist von den sogenannten Aerosolen: Kleinstpartikel, die vor allem in geringer Höhe in der Luft umherschwirren und aus Kraftwerken und Auspuffen stammen, aber auch aus natürlichen Quellen wie dem Mineralstaub aus der Wüste, Seesalz oder dem Ruß aus Waldbränden.
Das Klimasystem beeinflussen sie direkt, indem sie Sonnenstrahlen abpuffern, aber auch indirekt, indem sie zur Wolkenbildung beitragen: Steigt Luft auf und kühlt sich in der Höhe ab, nimmt die Luftfeuchtigkeit zu, bis sie 100 Prozent erreicht. Dann kondensiert Wasser um ein Aerosol herum und ein Wolkentropfen entsteht.
Bilden sich tief hängende Kumulus-Wolken, so hat das einen Effekt auf das Klima: Die Wolken reflektieren zu einem großen Teil die Sonnenstrahlen – und haben damit einen kühlenden Effekt.
Dabei kommt es aber auch darauf an, wie viele Aerosole in die Luft gelangen, denn je mehr von ihnen auftreten, desto kleiner werden die Tröpfchen, schließlich muss sich das Wasser dann auf mehr Kleinstpartikel verteilen. Das hellt die Wolke auf und reduziert ihre Fähigkeit zur Kühlung.
Kühleffekt doppelt so hoch
Bis heute war allerdings unklar, wie stark Aerosole zur Kühlung beitragen. Und das war auch ein Problem für Klimavorhersagen. "Die größte Unsicherheit in den Klimavorhersagen ist die Interaktion zwischen Aerosolen und Wolken", sagt Tom Goren vom Institut für Meteorologie der Uni Leipzig gegenüber Klimareporter°.
Zu kompliziert war bislang der Prozess der Wolkenbildung, bei dem auch aufsteigende Winde eine wichtige Rolle spielen. Dieser Effekt ließ sich nur schwer vom Effekt der Aerosole trennen, die Wolken formen. Bis jetzt zumindest.
Denn eine neue Studie im Fachmagazin Science will nun eine Antwort gefunden haben. Die Wissenschaftler um den Atmosphärenforscher Daniel Rosenfeld vom Institut für Erdwissenschaften an der Universität Jerusalem nutzten Satellitenbilder, um unabhängig voneinander den Effekt der vertikalen Windscherung und die Anzahl der Wolkenkondensationskerne zu berechnen. Mit dieser Methode konnten sie den Kühleffekt der Aersole durch ihren Einfluss auf tiefliegende Kumuluswolken über den Ozeanen so genau wie nie berechnen.
Das Ergebnis war für Rosenfeld eine Überraschung: Der Kühleffekt durch die Aerosole, so zeigte sich, lag fast doppelt so hoch wie bislang angenommen.
Was passiert, wenn die Partikelfilter wirken?
Was zunächst wie eine gute Nachricht klingt, ist Rosenfeld zufolge genau das Gegenteil: "Wenn die Aerosole tatsächlich einen stärkeren Kühleffekt verursachen als bisher gedacht, dann war auch der Erwärmungseffekt der Treibhausgase größer, als wir angenommen hatten", erläuterte er. "Dadurch konnten Treibhausgasemissionen den Kühleffekt von Aerosolen überwinden – und das deutet auf eine größere globale Erwärmung hin, als wir bislang dachten."
Mit anderen Worten: Die kühlenden Aerosole konnten einen Teil des Klimawandels bislang kompensieren – rüsten sich Industrie, Verkehr und Kraftwerke mit besseren Partikelfiltern aus oder verschwinden Kohlekraftwerke zugunsten von Wind- und Solaranlagen, dann dürfte sich die Erderwärmung umso stärker zeigen.
"Generell ist zu erwarten, dass der kühlende Effekt der Aerosole – direkt und indirekt – abnehmen wird, wenn weniger anthropogene Aerosolpartikel emittiert werden", sagt Johannes Schneider vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz.
Wie stark die Kühlung ausfällt, hänge aber auch sehr von der Art der Partikel ab, die der Mensch in Umlauf bringt, so Schneider. Während etwa Sulfat-Aerosole prima Kondensationskeime für die Wolken abgeben würden, sei das etwa bei Rußpartikeln nicht der Fall – die würden außerdem sogar noch Strahlung absorbieren.
Ganz sicher sind sich die Studienautoren aber noch nicht – was nun die Diskrepanz zwischen dem stärkeren Kühlungseffekt und der fortschreitenden Erderwärmung erklärt. Möglicherweise haben die Aerosole auch einen zusätzlichen erwärmenden Effekt.
Aerosole können auch zur Erwärmung beitragen
"Wenn eine so große Empfindlichkeit der niedrigen Wolken gegenüber Aerosolen, wie in der Studie gezeigt, in Klimamodelle einbezogen wird, würde das zu einer zu schwachen Erwärmung des gegenwärtigen Klimas führen", sagt Goren, der an der Studie beteiligt war. "Die Annahme einer großen Empfindlichkeit niedriger Wolken gegenüber Aerosolen bedeutet auch, dass Aerosole einen weiteren starken positiven Einfluss haben, der die Kühlung ausbalanciert und in aktuellen Klimamodellen nicht berücksichtigt wird."
Mit anderen Worten: Aerosole können nicht nur dazu beitragen, die tief hängenden Kumuluswolken zu erschaffen, sondern auch die Bedeckung mit einer weiteren Wolkenart fördern: den weiter oben liegenden Amboss-Wolken. Und diese fördern die Erwärmung, da sie die Sonnenstrahlen zunächst eher passieren lassen und wieder abpuffern, wenn sie von der Erde reflektiert werden.
Was aber ist die Folge aus alldem? Sollten wir damit aufhören, Kraftwerke und Fabriken mit Partikelfiltern nachzurüsten, weil das die Erwärmung fördert? "Nein", stellt Goren klar. "Die Minderung des Partikelausstoßes ist natürlich im Interesse von uns allen, um die Luftqualität zu verbessern."
Zunächst müssten die angesprochenen Unsicherheiten geklärt und die Berechnung des Energiebudgets der Erde und der Klimavorhersagen überprüft werden. "Die Reduzierung der Unsicherheit ist notwendig, um die Klimavorhersagen zu verbessern", sagt Goren.
Energiewende-Aktivisten wie der frühere Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell befürchten jedoch, dass dafür nicht genügend Zeit bleibt. Mehr Erderwärmung durch weniger Luftverschmutzung – das ist für Fell "ein Teufelsdilemma", aus dem man nur mit einer schnellen Wende zur weltweiten Nullemissionswirtschaft herauskomme.