Visualisierung des Golfstroms
Angetrieben wird der Golfstrom von Unterschieden in der Dichte des Meerwassers. (Foto: NASA Scientific Visualization Studio)

Die Ozeanzirkulation ist eine empfindliche Stelle im Klimasystem. Zwar sind die Muster der Luft- und Meeresströmungen trotz gewisser Schwankungen vergleichsweise stabil, allerdings gab es in der Vergangenheit abrupte Veränderungen in den globalen Strömungssystemen – mit drastischen Auswirkungen auf das Klima. Deshalb wurden die Ozeanströme, die sogenannte atlantische meridionale Umwälzzirkulation (AMOC), schon häufiger von Wissenschaftlern untersucht.

Würde die Strömung im Nordatlantik sich abschwächen oder sogar ganz zusammenbrechen, stünde Nordamerika und Europa eine Phase niedrigster Temperaturen bevor, befürchten etliche Wissenschaftler – im Gegensatz zu Chen Xianyao von der Ocean University of China und Ka-Kit Tung von der University of Washington in Seattle. In einer jetzt im Fachmagazin Nature veröffentlichten Studie rechnen die beiden Autoren mit einem starken Anstieg der globalen Oberflächentemperaturen für den Fall, dass die Umwälzströmung schwächelt.

Denn in der Vergangenheit – so behaupten die Autoren – hat die geschwächte Golfströmung weniger Wärme von der Oberfläche in die Tiefen des Ozeans transportiert. Infolgedessen stieg die Oberflächentemperatur zwischen 1975 und 1998 weltweit. Etwa seit dem Jahr 2000 ist die Strömung wieder deutlich stärker, sodass nach Ansicht der Forscher wieder mehr Wärme der Erdoberfläche entzogen und in die Tiefen des Ozeans transportiert wird.

Die Annahmen der beiden Forscher findet der Klimaforscher Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung nicht nachvollziehbar. "Als Mechanismus behaupten die Autoren, die Konvektion würde in Zeiten einer starken AMOC Wärme nach unten in tiefere Wasserschichten bringen, weshalb die Oberfläche sich dann weniger erwärme", sagt Rahmstorf.

Messdaten bis 2.000 Meter Tiefe ausgewertet

Tatsächlich sei es so: Die Wärmeströmung im subpolaren Atlantik sei dadurch getrieben, dass das Oberflächenwasser in kalten Wintertagen kälter als das Tiefenwasser werde und daher trotz stabiler Salzgehaltsschichtung eine tiefe Vermischung einsetze. "Frischeres Wasser liegt in den Konvektionsgebieten in der zentralen Labradorsee über salzhaltigerem Wasser", erklärt der Forscher den Mechanismus, bei dem die Konvektion Wärme stets nach oben transportiere.

Das kalte und dichte Salzwasser, das zwischen Grönland und Labrador in die Tiefe sinkt, gilt als einer der grundlegenden Motoren des Golfstroms. Aus dem Süden fließt warmes und daher leichteres Wasser in die Labradorsee, wo das kalte, schwerere Wasser in tiefere Meeresschichten absinkt und sich wieder südwärts bewegt.

Messungen bestätigen Computersimulationen

Dass der Golfstrom innerhalb der letzten Jahrzehnte schwächer geworden ist, zeigt eine Studie unter der Leitung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung aus dem vergangenen Jahr. Demnach hat sich der Golfstrom seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts um 15 Prozent verlangsamt.

Diese Balance wird zunehmend gestört: Zum Beispiel durch schmelzendes Eis im Norden strömt mehr Süßwasser hinzu. Die Tiefenwasserbildung könnte sich aufgrund der geringeren Dichte des Wassers abschwächen und der Antrieb erlahmen.

Für ihre Studie hatten Chen und Tung die Daten von tausenden Messbojen ausgewertet, die seit Anfang der 2000er Jahre im Rahmen des Argo-Programms in den Weltmeeren ausgesetzt wurden und seitdem umhertreiben. Dadurch fließen, anders als bei vielen Studien mit Simulationen, vornehmlich Beobachtungsdaten in die Studienergebnisse ein.

Allerdings sind die Temperaturmessungen nur auf die oberen 1.500 bis 2.000 Meter der Ozeane beschränkt. Für die Untersuchung müsste man aber eher bis 4.000 Meter Tiefe gehen, findet Johann Jungclaus vom Max-Planck-Institut für Meteorologie. 

Auch Jungclaus sieht die jetzt veröffentlichen Ergebnisse kritisch. "Andere, ebenfalls auf Beobachtungsdaten basierende Studien kommen zu dem Schluss, dass die Abkühlung im subpolaren Nordatlantik in den letzten Jahrzehnten sehr wohl ein Zeichen einer sich abschwächenden AMOC ist", sagt Jungclaus. Klimamodelle schrieben diesen Trend weiter fort. Ein kühlerer Nordatlantik würde auch auf Nordwest-Europa ausstrahlen und zu weniger regionaler Erwärmung führen.

"Weiter messen und abwarten"

Die These der Studie findet der Klimaforscher Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel dennoch interessant, weil sie provokativ sei. Schon andere Forscher hatten ähnlich wie Chen und Tung argumentiert, weil sie die scheinbare Pause in der Erderwärmung von 1999 bis 2013 erklären wollten. De facto gab es diese Pause nicht, die Wärme landete fast vollständig in den Ozeanen.

"Die Autoren schätzen die Entwicklung anhand einiger Indizes ab, die von der Umwälzzirkulation beeinflusst werden", sagt Mojib Latif. Das sei zu einfach, denn die zugrunde liegenden Mechanismen und die Auswirkungen der Schwankungen auf die Zirkulation seien immer noch ziemlich umstritten. "Der Grund liegt hauptsächlich darin, dass es direkte Messungen der AMOC erst seit 2004 gibt", so Latif.

Auch der renommierte Klimaforscher Hartmut Graßl weist auf mögliche Ungenauigkeiten bei der Datenerhebung hin: "Bei gegenwärtiger Messgenauigkeit sowohl der Umwälzbewegung als auch des Energiehaushaltes des Planeten Erde kann nicht entschieden werden, ob die Zusatzspeicherung von Wärme im Ozean oder die nicht ganz ausgeglichene Energiebilanz des Planeten die Ursache für das sind, was 'Pause' genannt wird", sagt Graßl gegenüber Klimareporter°.

Graßl leitet aus der Studie die folgende Quintessenz ab: "Noch genauer messen und auch warten, bis die Zeitreihen lang genug sind."

Redaktioneller Hinweis: Hartmut Graßl ist Mitherausgeber von Klimareporter°.

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