Gesicht einer Frau mit Mundschutz in Südasien.
Die Corona-Maßnahmen vergrößerten in nahezu allen Ländern die soziale Spaltung. (Foto: Jeyaratnam Caniceus/​Pixabay)

Mehr Armut, mehr Hunger, weniger Jobs: Die Corona-Pandemie hat die Bemühungen, die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung in diesem Jahrzehnt zu erreichen, stark zurückgeworfen. Das zeigt ein offizieller Bericht der Vereinten Nationen zu den "Sustainable Development Goals" (SDG), der am Dienstag in New York veröffentlicht wurde.

Allerdings gebe es auch eine positive Nachricht: Immer mehr Länder hätten angesichts der negativen Folgen von Covid-19 die Notwendigkeit erkannt, mehr für diese Ziele zu tun.

Die SDGs wurden 2015 von den UN-Staaten mit Horizont 2030 beschlossen. Die Absicht dahinter ist es, weltweit das Wirtschaftswachstum und das soziale Wohlergehen zu steigern sowie gleichzeitig Umwelt und Klima zu schützen. Dazu wurden Ziele in 17 Feldern definiert – von "keine Armut" über "bezahlbare und saubere Energie" bis "weniger Ungleichheit".

Der Report räumt ein: Der Fortschritt im Hinblick auf Nachhaltigkeitsziele war bereits vor der Pandemie, die im Herbst 2019 begann, nur ein langsamer. Im Jahr 2020 habe es dann aber in mehreren zentralen Feldern sogar Rückschritte gegeben. So seien rund 120 Millionen Menschen in die Armut zurückgedrängt worden, zudem seien 255 Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen, und die Zahl der Hungernden habe sich um geschätzte 100 Millionen erhöht.

Weiteres Problem: "Die Pandemie hat Ungleichheiten innerhalb und zwischen den Ländern aufgedeckt und verschärft", so die UN. Ein Beispiel ist die Versorgung mit Covid-Impfstoffen. So seien in Europa und Nordamerika bis Mitte Juni auf 100 Menschen im Schnitt etwa 68 Impfdosen verfügbar gewesen, in Afrika südlich der Sahara hingegen weniger als zwei. Das macht die wirtschaftliche Erholung in den ärmeren Ländern schwieriger.

CO2-Ausstoß kaum gebremst

Verschärft wird die Lage durch zurückgehende Direktinvestitionen aus dem Ausland. Weltweit sind diese 2020 laut dem Report um 40 Prozent gegenüber 2019 zurückgegangen. Die ökonomische Lage von Familien sei als Folge der Pandemie vielfach noch prekärer geworden; so seien bis zu zehn Millionen mehr Mädchen im nächsten Jahrzehnt von Kinderheirat bedroht.

UN-Resümee: "Die Pandemie hat immense finanzielle Herausforderungen mit sich gebracht, vor allem für Entwicklungsländer – mit einem deutlichen Anstieg der Verschuldungsproblematik."

Umgekehrt hat sich die Hoffnung auf eine Entspannung der Klimakrise durch die Corona-Lockdowns nicht bewahrheitet. Der Ausstoß der Treibhausgase sei "kaum gebremst" worden, so der UN-Report. Die weltweiten Emissionen nahmen 2020 zwar um rund sieben Prozent ab, ihre Konzentration in der Atmosphäre jedoch stieg weiter an. Die globale Durchschnittstemperatur liege inzwischen bei etwa 1,2 Grad über dem vorindustriellen Niveau, "gefährlich nahe an der im Paris-Abkommen festgelegten Grenze von 1,5 Grad".

Um bei den SDGs wieder auf Kurs zu kommen, müssen laut dem Bericht Regierungen, Kommunen und Unternehmen den Aufschwung nutzen, um "CO2-arme, widerstandsfähige und inklusive Entwicklungspfade" einzuschlagen. Die nächsten 18 Monate seien dafür entscheidend.

"Wir befinden uns an einem kritischen Punkt in der Geschichte der Menschheit", sagte Liu Zhenmin, UN-Untergeneralsekretär für Wirtschaft und Soziales. "Unsere heutigen Entscheidungen und Handlungen werden wichtige Konsequenzen für zukünftige Generationen haben."

In der Pandemie-Bekämpfung habe es vielerorts auch positive Entwicklungen gegeben, etwa entschlossenes Handeln der Regierungen, eine rasche Ausweitung des sozialen Schutzes, eine Beschleunigung der digitalen Transformation und eine gute Zusammenarbeit bei der Entwicklung lebensrettender Impfstoffe in Rekordzeit. Laut dem Bericht sind das Grundlagen, um künftig wieder Fortschritte bei den SDGs zu erreichen.

 Fakten aus dem Report

  • Der Anteil der Menschen in extremer Armut hat 2020 gegenüber dem Vorjahr zum ersten Mal seit 1998 zugenommen, von 8,4 auf 9,5 Prozent der Weltbevölkerung.

  • Corona hat Verbesserungen im Gesundheitswesen aufgehalten oder sogar rückgängig gemacht. Etwa 90 Prozent der Staaten berichten derzeit immer noch von Einschränkungen der Gesundheitsdienste.

  • Die Folgen der Pandemie auf die Schulbildung gelten als "Generationenkatastrophe". Rund 101 Millionen Kinder und Jugendliche mehr als vorher erreichten das Mindestniveau der Lesefähigkeit nicht, damit wurden die in den letzten zwei Jahrzehnten erzielten Bildungsgewinne zunichtegemacht.

  • Covid-19 hat die Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter beeinträchtigt. Die Gewalt gegen Frauen und Mädchen nahm zu, Frauen haben einen höheren Anteil an den Jobverlusten.

  • Die Welt verfehlte die für 2020 gesetzten Ziele, den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen, und zwischen 2015 und 2020 gingen jedes Jahr zehn Millionen Hektar Wald verloren.

  • Knapp ein Zehntel der Menschen weltweit, rund 759 Millionen, hatte 2019 keinen Zugang zu elektrischem Strom und sogar ein Drittel keinen zu sauberen Brennstoffen zum Kochen.

  • Vor allem in Industrieländern ist eine Wirtschaftserholung im Gange, angeführt von China und den USA. Für viele andere Länder wird aber nicht erwartet, dass das Wirtschaftswachstum vor 2022 oder 2023 auf das Vor-Corona-Niveau zurückkehrt.

  • Die Entwicklungshilfe-Zahlungen stiegen 2020 auf 161 Milliarden US-Dollar, bleiben damit aber immer noch deutlich unter dem seit Langem festgelegten Ziel von 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts der Industrieländer und laut UN auch weit hinter dem zurück, was benötigt wird, um auf die Coronakrise zu reagieren.
Anzeige