Sind Sulfate in der Stratosphäre die Lösung für das ganze Klimaproblem? (Bild: NASA/​Wikimedia Commons)

Vieles lässt sich über Geoengineering sagen und schreiben. Schon allein deshalb, weil es ein ziemlich nachlässig abgegrenzter Begriff ist. Im Grunde fallen alle menschlichen Eingriffe, die zum Ziel haben, die globalen biogeochemischen Kreisläufe zu verändern, unter den Dachbegriff Geoengineering.

Im Fokus der Debatte, die Geoengineering begleitet, steht aber meist eine Unterkategorie – das Solar Radiation Management (SRM). Zwar versammelt sich auch unter diesem Begriff eine Reihe von teils hanebüchenen Vorschlägen, um die einfallende Sonnenstrahlung zu verringern. Aber am ernsthaftesten diskutiert und am populärsten ist die Idee, Aerosole, also schwebende Partikel, in der Stratosphäre auszubringen. Darum soll es hier gehen.

Spätestens als der Nobelpreisträger Paul Crutzen 2006 in einem – von der Wissenschafts-Community häufig als Tabubruch aufgefassten – Artikel mehr Forschung für Solar Geoengineering gefordert hatte, war die Büchse der Pandora geöffnet.

Bisher wagt zwar noch kaum jemand, öffentlich für SRM zu werben, weder Exxon Mobil noch Donald Trump oder die AfD. Doch der Keim dieser verheißungsvollen Option hat tiefe Wurzeln im kollektiven Bewusstsein der Weltgemeinschaft geschlagen.

Denn wenn es eines über Geoengineering zu verstehen gibt, dann, dass es ein Versprechen ist. Das Versprechen, eine einfache Lösung mit unmittelbarer Wirkung für ein existenzielles Problem auf diesem Planeten zu sein.

Noch stehen viele – die meisten – dem Ansatz skeptisch gegenüber. Doch die Verlockung wird Jahr für Jahr und Katastrophe um Katastrophe größer. Je länger die maßgeblich kapitalistisch verfasste Weltgesellschaft sich als unfähig erweist, die Klimakrise zu bewältigen, wächst das Interesse.

Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis die Last der Klimakrise auf den Schultern der Gesellschaft zu schwer, zu unerträglich wird und Geoengineering sich als einziger Ausweg an die Oberfläche des politischen Diskurses gräbt. Als letzte und trügerische Option, um zu einem vermeintlichen Normalzustand zurückzukehren.

Schon heute lässt sich beobachten, wie sich die Debatte nach und nach zugunsten von Geoengineering verändert. 2021 forderte ein Wissenschaftsgremium in den USA, die Erforschung von Geoengineering mit 100 Millionen Dollar zu fördern. Vor wenigen Tagen legten vom US-Kongress beauftragte Wissenschaftler:innen einen ersten Bericht dazu vor.

Darin stellen sie große Wissenslücken fest, die in Zukunft geschlossen werden müssen, um Risiken und Chancen der Technologie seriös bewerten zu können. Auch die Europäische Union plant, wie vor wenigen Tagen bekannt wurde, die Optionen genauer zu prüfen.

Es sind Wissenschaftler:innen, die von der Geoengineering-Idee nicht lassen können und ihr in den letzten Jahren immer wieder Aufwind verschaffen.

Solar Geoengineering ist billig und effektiv

Bevor wir tiefer in die Risiken der Idee und den ihr innewohnenden Trugschluss eintauchen, müssen wir verstehen, was sich hinter dem verheißungsvollen Ansatz verbirgt.

Die Temperatur der Erde ist, grob vereinfacht, das Ergebnis zweier Komponenten: der Menge an Sonnenstrahlung, die auf die Erde gelangt, und des Anteils davon, der durch Treibhausgase in der Atmosphäre gehalten wird.

Seit der Industrialisierung schraubt die Menschheit an Letzterem kräftig herum. Das jahrhundertelange Verbrennen fossiler Energieträger trieb die Konzentration der Treibhausgase in die Höhe und entsprechend auch die Temperaturen.

Geoengineering setzt am anderen Ende der Gleichung an. Aerosole, allen voran Sulfate, sollen in die Stratosphäre gepustet werden und die Erde von Sonnenstrahlung abschirmen.

Das geschieht bei jedem Vulkanausbruch auf natürliche Weise. Sehr prominent ist der Ausbruch des philippinischen Vulkans Pinatubo von 1991, der 20 Millionen Tonnen Sulfate in die Atmosphäre stieß, die im darauffolgenden Jahr die globale Durchschnittstemperatur um etwa 0,5 Grad senkten.

Warum also Sulfate? Ihre Wirkung in der Stratosphäre ist bekannt, sie kommen in großer Menge auf unserem Planeten vor und sind billig.

Es sind auch andere Materialien in der Diskussion – Salze, Aluminium, Kalzit, Diamantpulver – die jeweils ihre eigenen unerwünschten Nebeneffekte haben. Genauso wie Sulfate, aber dazu später.

Silhouette des US-Militärjets F-16 vor orangefarbenem Himmel, im Hintergrund der Mond.
Militärjets sollen die Sulfatpartikel in der Stratosphäre verteilen. (Bild: Brigitte Werner/​Pixabay)

Auch technisch ist die Umsetzung von Solar Geoengineering keine große Herausforderung. Zwar erreichen heutige Passagierflugzeuge nicht die nötige Höhe, aber Militärflugzeuge. Es bräuchte also eine Flotte an "Sulfat-Fliegern".

Diese könnte innerhalb weniger Jahre gebaut werden, schreibt der Ingenieurswissenschaftler Wake Smith, der auf eine lange Karriere in der Luftfahrtindustrie zurückblicken kann. Smith hat in einer weiteren Veröffentlichung errechnet, dass der Bau und Betrieb der Flotte sowie der Materialbedarf etwa 30 Milliarden US-Dollar jährlich bis 2100 kosten würden.

Das entspricht in etwa, wie Smith referenziert, der Summe, die US-Amerikaner:innen jedes Jahr für Haustierfutter ausgeben. Peanuts im Vergleich zu den Summen, die in der Öffentlichkeit für eine klimaneutrale Transformation genannt werden.

Sulfate oder andere Aerosole in der Stratosphäre would get the job done. Darin besteht wissenschaftlich kein Zweifel. Es ist einfache Physik. Dasselbe Prinzip hat vor 66 Millionen das Ende der Dinosaurier eingeläutet.

Es ist auch dasselbe Prinzip, das hinter dem Schreckensszenario des nuklearen Winters steckt: Durch einen Atomkrieg oder einen Asteroideneinschlag gelangen große Mengen an Partikeln in die Atmosphäre und verdunkeln den Planeten.

Nun würde es laut Modellrechnungen bei einem geplanten SRM-Einsatz schon ausreichen, die Erde von ein bis zwei Prozent der Sonnenstrahlung abzuschirmen, um die Effekte von zwei Jahrhunderten fossiler Energien zu kompensieren.

Wozu also die ganze Aufregung bei so einem überschaubaren Eingriff?

Symptombehandlung statt Ursachenbekämpfung

Geoengineering ist kein Anti-CO2. Es beseitigt nicht die Ursachen des Klimawandels, es lindert nur seine Symptome. Allerdings lindert es nicht nur Symptome, sondern kreiert selbst neue.

Sonnenstrahlung ist räumlich und zeitlich ungleich über den Planeten verteilt. Während in den Tropen ganzjährig besonders viel Sonnenlicht ankommt, ist es im polaren Winter beinahe vollkommen abwesend.

Entsprechend ungleich verteilt wäre auch die Wirkung von SRM. In den Tropen würde der Effekt besonders stark sein, aber je weiter nördlich oder südlich man kommt, desto geringer wäre er.

Eine starke Kühlung der Tropen bei nur geringer Kühlung der Pole vermindert die globale Luftdruckdifferenz. Dasselbe passiert auch durch den Klimawandel: Die Tropen erwärmen sich langsamer als die Pole, bekannt unter dem Begriff arktische Amplifikation oder polare Verstärkung.

Ausgerechnet dort, wo der Klimawandel besonders stark ausgeprägt ist, wirkt also Geoengineering besonders wenig. Mit anderen Worten, Geoengineering überlagert die Wirkung des Klimawandels, statt sie umzukehren – mit weitreichenden Folgen.

Der Druckunterschied zwischen Äquator und Polen treibt Wettersysteme weltweit an. Die Klimawissenschaft beobachtet seit einiger Zeit eine Verlangsamung der Jetstreams, der weltumspannenden Höhenwinde, durch sinkende Druckdifferenz. Dieser Effekt wird für langanhaltende Wetterextreme in den gemäßigten Breiten verantwortlich gemacht.

Es ist unmöglich, alle Auswirkungen auf regionale Klimata und Ökosysteme im Vorhinein abzuschätzen.

Modellrechnungen gehen außerdem davon aus, dass es in einer geoengineerten Welt weniger Niederschlag gibt. Das zeigen Daten nach Vulkaneruptionen, in deren Folge Niederschlag und Wasserabfluss in den Flüssen zurückgehen.

Auch dieser Effekt soll am stärksten in den Tropen ausfallen. Nicht ideal für ein Ökosystem wie den Regenwald, der auf hohe Wasserverfügbarkeit angewiesen ist.

Noch sehr viel mehr ließe sich zu den klimatischen und ökosystemaren Risiken von Solar Geoengineering sagen. Doch am wichtigsten ist, zu verstehen: Solar Geoengineering dreht nicht den Klimawandel zurück, sondern legt sich sinnbildlich und buchstäblich als weitere Ebene über unser Erdsystem.

Der Himmel hinter einem milchigen Schleier

Das alles wird ohne Frage vielgestaltige Folgen haben. Welche Veränderungen das, wo und in welcher Intensität auslöst, ist im Vorhinein unmöglich mit Sicherheit zu sagen. Zu wenig versteht die Wissenschaft von der Verzahnung und den Wechselwirkungen verschiedener Ökosysteme.

Der Humangeograf Andreas Malm von der Universität Lund in Schweden schreibt in einem Artikel zu Geoengineering: "Das Einzige, was man mit ziemlicher Sicherheit wissen kann, ist, dass Geoengineering das regionale Klima durcheinanderbringen wird."

Es gibt noch eine Reihe weiterer Folgen von Geoengineering, die hier nur kurz erwähnt werden sollen. Sulfate beschleunigen den Ozonabbau. Auch das ist durch Vulkanausbrüche gut belegt.

Die strahlende Sonne am fast wolkenlosen Himmel
Die Himmelsfarbe wird vielleicht das kleinste Problem sein. (Bild: Myriam Zilles/Pixabay)

Weniger Sonnenlicht bedeutet auch weniger Ertrag in der Landwirtschaft und bei der Photovoltaik, wenn auch mit ein bis zwei Prozent in möglicherweise erträglichem Maße.

Die erste und sichtbarste Veränderung, die in einer geoengineerten Welt auffällt, ist die der Himmelsfarbe. Über das Blau legt sich ein milchiger Schleier. Das mag die astronomische Forschung erschweren, aber als kleiner Trost: Die Sonnenuntergänge sehen sicherlich spektakulär aus.

Eine weltumspannende Schicht von Sulfaten wird also enorme Auswirkungen auf den Planeten haben. Die neu kreierten Symptome werden mannigfaltig sein und von großen Unabwägbarkeiten begleitet werden. Sie werden miteinander in Wechselwirkung treten. Unsicherheit wird die Regel sein, nicht die Ausnahme.

Nun gibt es zu den Nebenwirkungen noch ein weiteres und vielleicht das besorgniserregendste Problem von Geoengineering. Andreas Malm bezeichnet es als termination shock, als Abbruchschock.

Stellen Sie sich eine Welt vor, deren Klima seit Jahrzehnten von SRM reguliert wird. Die Nebenwirkungen hat man einigermaßen in den Griff bekommen. Währenddessen wurden weiter Treibhausgase in die Atmosphäre gepustet. Denn warum nicht? Es geht ja irgendwie.

Um den zerbrechlichen Ist-Zustand aufrechtzuerhalten, müssen die Sulfat-Flieger in rastloser Routine zum Himmel aufsteigen und ihre Ladung in die Stratosphäre bringen. Denn die Sulfat-Aerosole bleiben ja nicht dort oben. Sie fallen langsam, aber sicher zurück auf den Erdboden.

Was aber, wenn das auf einmal nicht mehr passiert? Vielleicht gibt es einen massiven Anschlag auf kritische Infrastruktur. Oder ein großer Krieg bricht aus. Oder aber: Die Welt hat die Nebenwirkungen doch nicht im Griff und irgendwann wird deren Last so groß, dass eine Fortführung von SRM politisch nicht weiter gerechtfertigt werden kann.

Was dann? Die Klimaveränderung, die bei einem abrupten Ende der Sulfat-Flüge eintreten würde, wäre dramatisch. Wir sprechen dann von einer möglichen Erwärmung zwischen einem halben und einem Grad Celsius pro Jahr. Kein Ökosystem kann sich einer derartig rapiden Veränderung anpassen.

Eine großartige Lösung, doch leider nicht für unsere Welt

Die Wissenschaftler:innen, die für eine weitere Erforschung von Geoengineering werben, sehen diese Gefahren natürlich auch. Niemand von ihnen spricht sich für SRM als Alternative zu Klimaschutz aus. Im Gegenteil, sie warnen davor.

David Keith, Harvard-Professor in Physik und einer der umtriebigsten Pioniere der Geoengineering-Forschung, erklärte: "In gewisser Weise ist das, was wir am meisten fürchten, ein Tweet von Trump, in dem er sagt: 'Solar Geoengineering ist die Lösung für alles! Es ist großartig! Wir müssen uns nicht bemühen, die Emissionen zu senken.'"

Tatsächlich fordern Keith und die ihn umgebende Wissenschafts-Bubble, sich mit SRM nur etwas Zeit zu erkaufen. Es gehe darum, die Folgen des Klimawandels für vielleicht zwei Jahrzehnte zu lindern und währenddessen die klimaneutrale Transformation voranzubringen.

Und das ist der immanente Trugschluss der Geoengineering-Pioniere. Bis heute nutzen fossile Unternehmen jede Möglichkeit, um ihre Geschäftsfelder am Leben zu erhalten, und das sehr erfolgreich.

Das falsche Gefühl der Sicherheit und der Erleichterung, das sich breitmachen wird, wenn die ersten Flugzeuge ihre Sulfatladung in die Stratosphäre entlassen und die Temperaturen dann wirklich sinken, wird der Tod für jede transformative Bestrebung sein.

Dieselben gesellschaftlichen Kräfte, die heute die Welt davon abhalten, ihre Emissionen zu senken, werden in dem Szenario dafür sorgen, dass Geoengineering nicht nach wenigen Jahren wieder abgeschaltet wird.

Die Idee, sich mit Geoengineering ein wenig Zeit zu erkaufen, ist eine gute, eine rationale Idee. Eine Idee für eine rationale Welt, aber leider nicht für unsere, wie unsere Ausgangssituation unmissverständlich beweist.

Oder in den Worten von Andreas Malm: "Wäre Rationalität eine vernünftige Annahme über die Art und Weise, wie die Welt funktioniert, stünde Geoengineering nicht zur Debatte. Nur zutiefst irrationale Kräfte hätten die Erde auf diese Bahn lenken können, auf der sie sich zurzeit befindet."

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