Umfragen zeigen seit Jahren eine sehr große Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen, sogar in Ländern, von denen man es nicht unbedingt erwarten würde. Etwa in den USA. Trotz der starken innenpolitischen Polarisierung liegt auch hier die Handlungsbereitschaft je nach Maßnahme bei erstaunlichen 66 bis 86 Prozent.
Wenn so viele Menschen weltweit mehr fürs Klima tun wollen, warum sinken die globalen Treibhausgas-Emissionen trotzdem nicht?
Ein Grund könnte darin liegen, dass der mit Abstand größte Emittent der Welt bislang nirgendwo auftaucht. In keiner Statistik über die weltweit größten Klimaverschmutzer, auf keiner klimapolitischen Agenda, nicht einmal in der öffentlichen Debatte.
Der größte Emittent sind die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung.
Fast die Hälfte aller Treibhausgase, die von der gesamten Menschheit emittiert werden, geht auf ihr Konto (siehe Grafik b). Sie verursachen jährlich 22 Milliarden Tonnen CO2 und Methan, die restlichen 90 Prozent der Weltbevölkerung kommen auf 23 Milliarden Tonnen, wie eine neue Datenanalyse des französischen Ökonomen Lucas Chancel zeigt, die soeben im Fachjournal Nature erschienen ist.
Knapp 800 Millionen reiche Menschen emittierten demnach annähernd genauso viel wie fast sieben Milliarden ärmere. Die Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2019, Emissionen aus der Landnutzung sind dabei nicht eingerechnet.
Der Anteil des reichsten Zehntels entspricht in etwa dem, was China, die USA und Indien mit ihren rund drei Milliarden Menschen zusammen ausstoßen. Allerdings haben sich diese Länder zu den Pariser Klimazielen verpflichtet und Klimaneutralität versprochen. Für die obersten zehn Prozent gibt es – nichts.
Doch das könnte sich ändern. An der École d’Économie de Paris baut ein Team von Forschenden um Thomas Piketty seit zehn Jahren eine Datenbank zur weltweiten Ungleichheit auf. Die World Inequality Database (WID) soll die Informationen liefern, die für eine gerechtere Politik bislang schlichtweg fehlen, auch für eine gerechtere Klimapolitik.
Die Idee: Nur wenn man weiß, woher die Emissionen kommen, kann man wirksame Instrumente entwickeln und die Schieflage verändern.
Lucas Chancel, der zum WID-Team gehört, nutzte für seine Studie diese Datenbank sowie weitere Erhebungen. Er kann damit genauer als bisherige Untersuchungen aufschlüsseln, wie groß der CO2-Fußabdruck der unterschiedlichen sozialen Gruppen ist.
Insgesamt analysierte Chancel die Daten für 174 Länder und berechnete die Entwicklung ihrer Emissionen seit 1990, also von dem Zeitpunkt an, als der erste Bericht des Weltklimarats erschien.
Und wie sieht es in Europa aus?
In Europa und auch in Deutschland ist die Ungleichheit beim Ausstoß von Treibhausgasen weniger extrem ausgeprägt als weltweit. Hierzulande etwa verursacht das reichste Zehntel nicht die Hälfte der Emissionen, sondern 37 Prozent. Der Rest verteilt sich auf die ärmste Hälfte der Bevölkerung (19 Prozent) und die Mitte (44 Prozent).
Würde man – wie in der Studie vorgeschlagen – eine weltweite CO2-Steuer einführen, die ab einem Jahresausstoß von fünf Tonnen greift, wären die meisten Menschen bei uns nicht betroffen. Denn mehr als diese Menge emittieren die unteren 50 Prozent der Bevölkerung auch im reichen Europa nicht. Bei den mittleren 40 Prozent sieht das schon anders aus. Ihre jährlichen Pro-Kopf-Emissionen liegen bei knapp elf Tonnen. Das oberste Zehntel kommt auf fast 30 Tonnen.
Zum Vergleich: Der weltweite Durchschnitt beim Pro-Kopf-Ausstoß liegt bei sechs Tonnen CO2-Äquivalent.
Die Zahlen sind hochbrisant, und sie stellen der Klimapolitik der letzten 30 Jahre kein gutes Zeugnis aus. Seit 1990 ist der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen um 50 Prozent gestiegen.
Wie sich diese Emissionen verteilen, hat sich dagegen kaum verändert. Auch vor 30 Jahren hat das reichste Zehntel ungefähr so viel emittiert wie die restlichen 90 Prozent, genauso wie heute.
Die Ungleichheit hat trotzdem zugenommen. Denn das reichste eine Prozent hat seine Emissionen sehr viel mehr gesteigert als alle anderen. Sein Anteil wuchs von 13 auf 17 Prozent (siehe Grafik a). Wenige Millionen Menschen sind damit für fast ein Viertel des Gesamtanstiegs seit 1990 verantwortlich.
Nur eine einzige Gruppe hat ihre Emissionen reduziert, und das auch nur leicht: die mittleren 40 Prozent zwischen der unteren Hälfte und dem obersten Zehntel.
Und noch etwas hat sich verändert: Vor 30 Jahren lebte das reichste Zehntel fast ausschließlich in den reichen Ländern, heute dagegen in allen Ländern der Welt.
Die Ungleichheit ist jetzt überall – zwischen den Ländern und auch innerhalb der Länder. Auch in Staaten mit einem sehr niedrigen Pro-Kopf-Ausstoß kommen reiche Menschen auf Emissionsmengen, die dem durchschnittlichen Ausstoß in Industriestaaten entsprechen oder diesen übertreffen.
Das macht es der Klimapolitik, die bislang nur auf die Staaten und ihre Gesamtemissionen schaut, nicht gerade einfacher. Was könnte man tun, um für mehr Gerechtigkeit zu sorgen?
Chancels Daten liefern eine mögliche Antwort. Um zu berechnen, wer wie viele Emissionen verursacht, hat der Ökonom nicht nur den privaten Konsum berücksichtigt, sondern erstmals auch den CO2-Gehalt von Vermögenswerten und Investitionen, also etwa dem Besitz von Unternehmen oder Aktien. Wie sich zeigt, ist dies der größte Posten bei den Emissionen reicher Menschen.
Hier liegt aber auch das größte Reduktionspotenzial. "Investoren haben eine Vielzahl von Möglichkeiten, ihr Vermögen zu investieren", sagt Chancel. Mit anderen Worten, sie können sich entscheiden, ob sie ihr Geld in Unternehmen investieren, deren Geschäftsmodell mit einem hohen Treibhausgasausstoß einhergeht, oder in Unternehmen, die dem Klima weniger oder gar nicht schaden.
Ganz anders sieht es bei denen aus, die nicht zu den Reichen der Welt gehören. "Sie haben auf kurze Sicht nicht immer Alternativen zur Nutzung fossiler Brennstoffe", so Chancel.
Sein Vorschlag: eine progressive CO2-Steuer, die mit dem Emissionsniveau steigt und so Investitionen in klimafreundliche Bahnen lenkt. In emissionsintensive Bereiche zu investieren, wäre dann deutlich weniger attraktiv und lukrativ als heute.
Man könnte diese Steuer so gestalten, dass sie Menschen mit geringen Emissionen und kleinem Geldbeutel nicht belastet, rechnet Chancel vor. Etwa indem sie erst ab einer bestimmten jährlichen Emissionsmenge greift.
Würde man dabei einen Jahresausstoß von fünf Tonnen CO2 ansetzen, würde die Steuer nahezu vollständig nur auf die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung entfallen. Alle anderen blieben verschont und hätten außerdem einen Anreiz, ihren Ausstoß nicht weiter steigen zu lassen. Für den größten Emittenten der Welt gäbe es dann erstmals ein wirksames Instrument.
Zum Weiterlesen: Wie Reiche ihr Nichtstun rechtfertigen