Offshore-Windkraftwerke stehen in der Nordsee, auf einer Plattform über dem Meeresspiegel stehen Container mit Wasserstoff-Elektrolyseuren.
RWE, Shell und zwei Gasnetzfirmen wollen auf der Nordsee "grünen" Wasserstoff produzieren. (Foto: Aqua Ventus/​Gemeinde Helgoland)

Es ist eine Vision für die Klimazukunft in den 2030er Jahren: Viele neue riesige Offshore-Windräder drehen sich in der Nordsee – zwischen Helgoland und der Sandbank Doggerbank im Westen der Deutschen Bucht.

Doch sie produzieren als Endprodukt nicht Ökostrom, sondern "grünen Wasserstoff", und der wird mit einer Pipeline an die Küste und zu den Verbrauchern transportiert – etwa zu Stahlhütten und Chemieanlagen. Die Nordsee wird zum Lieferanten für das "grüne" Gas.

Es ist ein Großprojekt der künftigen klimafreundlichen Industrie, die nicht mehr auf Kohle, Erdöl oder Erdgas angewiesen sein wird.

Die Energiekonzerne Shell und RWE sowie die Gasnetzbetreiber Gascade und Gasunie stellten das Pipelineprojekt mit dem Namen "Aqua Ductus" kürzlich vor. Sie planen eine Wasserstoff-Infrastruktur in der Nordsee, die das mit dem Strom in Elektrolyse-Stationen direkt an den Windparks produzierte Gas einsammelt und über den Knotenpunkt Helgoland per Pipeline abtransportiert.

Und zwar in wirklich großen Mengen. Bis zu einer Million Tonnen Wasserstoff sollen ab 2035 produziert werden, so das Konsortium. Das wäre ein wesentlicher Schritt zur "Dekarbonisierung" der Energieversorgung Deutschlands und Europas.

Es ist ein wahrer Hype. Projekte zur Produktion und auch zur Nutzung von Wasserstoff sprießen derzeit fast wie Pilze aus dem Boden. Gerade die Schwergewichte der Energiebranche mischen mit, wenn es um die "Dekarbonisierung" der Industrie vermittels H2 geht – jenes Gases, das jeder, Stichwort Knallgas-Experiment, aus dem Schulunterricht kennt.

Experten und Politiker sind sich einig: Die viel beschworene "Klimaneutralität", neuerdings von der Bundesregierung für 2045 angepeilt, ist ohne Umrüstung auf Wasserstoff als Energieträger nicht zu schaffen. Die Stahlherstellung und große Teile der Chemieproduktion sollen darauf umgestellt werden, ein weiteres Einsatzfeld ist der Verkehr – H2 als Antrieb für Lkw, Busse, Züge und Flugzeuge.

Das neue Zauberwort

Grüner Wasserstoff – so heißt das neue Zauberwort. Vor knapp einem Jahr hat die Bundesregierung ihre "Nationale Wasserstoffstrategie" verabschiedet, die den Umbau forcieren soll. Und sie greift dafür auch tief in die Kasse.

Neben bereits länger laufenden Förderprogrammen werden weitere neun Milliarden Euro mobilisiert – sieben Milliarden für Projekte im Inland und zwei Milliarden für Partnerschaften mit anderen Ländern.

Einen Wasserstoffbedarf von rund 100 Milliarden Kilowattstunden im Jahr prognostiziert die Regierung bereits für 2030. Zum Vergleich: Um diese Menge herzustellen, bräuchte es ungefähr die gesamte deutsche Ökostrom-Erzeugung von 2020.

Wasserstoff-Farbenlehre

Wasserstoff ist ein farbloses Gas. Er kann aber auf unterschiedlichen Wegen produziert werden. Man spricht dann von grünem, blauen, grauen oder türkisen Wasserstoff.

Grüner Wasserstoff wird durch Elektrolyse von Wasser hergestellt, wobei nur Öko-Strom eingesetzt wird. Es ist damit CO2-frei.

Grauer Wasserstoff wird aus Erdgas gewonnen, wobei es unter Hitze in Wasserstoff und CO2 umgewandelt wird (Dampfreformierung). Das CO2 wird in die Atmosphäre abgegeben und verstärkt so den globalen Treibhauseffekt.

Blauer Wasserstoff ist grauer Wasserstoff, wobei das CO2 jedoch aufgefangen und unterirdisch gespeichert wird (Carbon Capture and Storage, CCS).

Türkiser Wasserstoff ist Wasserstoff, der durch die thermische Spaltung des Gases Methan (Methanpyrolyse) hergestellt wird. Anstelle von CO2 entsteht dabei fester Kohlenstoff. CO2-neutral ist das Verfahren nur, wenn der Hochtemperaturreaktor mit Ökoenergie betrieben wird und der Kohlenstoff dauerhaft gebunden bleibt.

Die Merkel-Regierung legte den Schwerpunkt dabei eindeutig auf "grünen" Wasserstoff, der mit Ökostrom produziert wird. Bis kurz vor dem Beschluss hatte es darüber im Kabinett heftigen Streit gegeben.

Vor allem das Bundeswirtschaftsministerium unter Peter Altmaier (CDU) wollte, zumindest übergangsweise, auch "blauen" oder sogar "grauen" Wasserstoff fördern. Problem dabei: Diese Varianten werden vor allem aus fossilem Erdgas hergestellt, und dabei fallen große Mengen von Treibhausgasen an, Methan und CO2.

"Blau" bedeutet in der H2-Farbenlehre, dass das bei der H2-Produktion entstehende CO2 aufgefangen und unterirdisch eingelagert wird, etwa in leergeförderten Erdgaslagern, und zwar mit der umstrittenen CCS-Methode (CCS = Carbon Capture and Storage).

Bei "grauem" Wasserstoff hingegen landet das Kohlendioxid ungebremst in der Atmosphäre – pro Kilogramm H2 rund zehn Kilogramm CO2.

Das Hauptproblem bei der grünen Variante: Die Ökostrom-Produktion müsste rasant zusätzlich ausgebaut werden, um den Extra-Bedarf für die Wasserstoffgewinnung decken zu können.

Derzeit wird erst knapp die Hälfte der in Deutschland verbrauchten Elektrizität aus Wind, Sonne, Wasser und Biomasse hergestellt. Es braucht auch so schon enorme Anstrengungen, um hier auf 100 Prozent zu kommen, zumal der Bedarf wegen des Trends im Verkehr zur E-Mobilität und bei den Gebäude-Heizungen auf elektrische Wärmepumpen deutlich ansteigt.

Praktisch alle Experten erwarten daher: Deutschlands künftiger Verbrauch an grünem Wasserstoff ist nicht ohne Importe vorstellbar. Die Helmholtz-Gemeinschaft rechnete in einer Studie im letzten Jahr vor, dass 2050 bis zu 50 Prozent des grünen H2 im Inland hergestellt werden können.

Bundesregierung plant Importe aus Saudi-Arabien oder Australien

Die Bundesregierung ist da weniger optimistisch. Das Forschungsministerium erwartet nur eine Inlandsquote von 20 bis 30 Prozent. Mindestens 70 Prozent müssten eingeführt werden, was dem Anteil entspricht, den Deutschland heute an Primärenergie einführt, vor allem in Form von Erdöl und Erdgas.

Als Erzeugungsländer von Öko-Wasserstoff kämen, so das Ministerium, altbekannte fossile Energieexporteure wie Saudi-Arabien, Kanada oder Australien infrage, die sich "grün" aufstellen wollen, aber auch etwa Länder in Süd- und Westafrika.

Ihr Vorteil: Dort kann Ökostrom dank guter Sonnen- oder Windverhältnisse sehr billig hergestellt werden, entsprechend günstiger wäre der Wasserstoff. Die Bundesregierung sei mit einer ganzen Reihe dieser Länder im Gespräch, sagte jüngst der CDU-Energieexperte Stefan Kaufmann, der "Innovationsbeauftragter Grüner Wasserstoff" im Forschungsministerium ist, in einem Interview.

Wie der Import-Wasserstoff nach Deutschland kommen würde, ist noch offen. Künftig könnten statt Öltankern Transportschiffe mit Flüssig-Wasserstoff oder den einfacher zu handhabenden Umwandlungsprodukten Ammoniak oder Methanol über die Weltmeere fahren, um die Versorgung sicherzustellen.

Hinter der geöffneten Tür eines weißen Containers mit der Aufschrift
Elektrolyseure, die Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zelegen, werden bisher in Manufaktur hergestellt. (Foto: Juri Junkov/​Energiedienst/​ZSW)

Eine andere Technologie ist es, H2 an eine Trägersubstanz zu binden, LOHC zum Beispiel, eine kohlenstoffbasierte Flüssigkeit, aus der er am Bestimmungsort dann wieder entnommen werden kann.

Bislang noch ein großes Problem sind die Kosten der Öko-Energie. Ein Kilogramm des grünen Wasserstoffs kostet derzeit sechs bis acht Euro – und damit etwa doppelt so viel wie blauer und sogar bis zu achtmal mehr als grauer Wasserstoff, wie er heute bereits in der Chemieproduktion genutzt wird.

Allerdings hofft die Bundesregierung, durch die Förderung von Forschung und Entwicklung zu deutlichen Kostensenkungen beitragen zu können – dafür gibt sie im Leitprojekt "H2Giga" rund 700 Millionen Euro aus. Elektrolyseanlagen, die Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufspalten, würden heute "noch sozusagen in Handarbeit produziert", sagte Kaufmann.

Bei den drei etablierten Technologien zur H2-Elektrolyse hätten immerhin hiesige Unternehmen führende Positionen, Thyssen-Krupp und Siemens Energy zum Beispiel. Damit biete sich für Deutschland eine Chance, bei der Zukunftstechnologie grüner Wasserstoff auf dem Weltmarkt mit der hier entwickelten Technik vorne mitzumischen, meint der CDU-Politiker. "Aber wir müssen schnell sein."

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