Schaufelradbagger 291 von RWE baggert im Tagebau Hambach, August 2018
Die Tagebau-Rekultivierung ist eigentlich Sache der Betreiber. Die Bundesregierung will ihnen aber einen großen Teil abnehmen. Wie viel genau aus Steuermitteln bezahlt werden sollen, sagt sie nicht. (Foto: Arthur Konze/​Wikimedia Commons)

Im Streit um die 4,35 Milliarden Euro, mit denen die Stromkonzerne RWE und Leag für das zeitigere Abschalten ihrer Kraftwerke entschädigt werden sollen, beginnt offenbar ein neues Kapitel.

Am Mittwoch veröffentlichte die EU-Kommission die Begründung zum Prüfverfahren betreffend die staatliche Unterstützung ("support") der beiden Unternehmen für den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung.

Der entsprechende öffentlich-rechtliche Vertrag war im Februar von Bundesregierung und Betreibern unterzeichnet worden. Die vertraglichen Regelungen und die Entschädigungszahlungen stünden noch unter dem beihilferechtlichen Vorbehalt der EU-Kommission, schrieb damals das Bundeswirtschaftsministerium.

Die 28-seitige Begründung der EU-Kommission liest sich teilweise wie eine Sammlung der Kritik, die schon seit dem vergangenen Jahr an dem Vertrag laut wurde. So bezweifelt auch die Kommission, dass die durch die kürzeren Laufzeiten der Kraftwerke entgangenen Gewinne angemessen bewertet sind.

Dabei seien die auf EU-Ebene vereinbarten neuen Klimaziele und die jüngsten Entwicklungen im Energiesektor nicht berücksichtigt worden, heißt es in dem Papier. Anders gesagt: Klimaschutz und Marktentwicklung ließen den wirtschaftlichen Wert der Braunkohleverstromung schon sinken, als der Vertrag noch ausgehandelt wurde.

Nicht plausibel findet die EU-Kommission auch die von der Bundesregierung angenommene Dauer des Betriebs der Braunkohleanlagen ohne das Kohleausstiegsgesetz. Das deutsche Modell gehe davon aus, dass die Anlagen 48 bis 70 Jahre laufen und die letzten Anlagen von Leag und RWE erst 2061 stillgelegt werden.

Die Kommission zweifelt diese Laufzeiten aus technischer und wirtschaftlicher Sicht an, wie sie weiter ausführt. So oder ähnlich haben sich auch viele Kohlekritiker geäußert.

Bundesregierung legte lückenhafte Daten vor

Des Weiteren bemängelt die EU-Kommission, sie habe keine Daten und Berechnungen für jedes der zur Stilllegung vorgesehenen Braunkohlekraftwerke erhalten. Deutschland habe diese Angaben nur für zwei Braunkohlekraftwerke vorgelegt – und daraus eine Art Modellrechnung für alle gemacht. Deswegen könne die Kommission keine eindeutigen Schlüsse über die Gültigkeit der deutschen Berechnungen ziehen.

Auch mit der sogenannten Sicherheitsbereitschaft von Braunkohleblöcken hat die EU-Kommission ihre Probleme und kritisiert, dass es für diese Zeiten Ausgleichszahlungen gibt, die eigentlich nur fürs Abschalten vorgesehen sind.

Auf den Einwand hatte die Koalition bereits Mitte Dezember 2020 mit einer Umbenennung reagiert. In der damals im Bundestag verhandelten EEG-Novelle brachte sie eine Änderung des Kohleausstiegsgesetzes unter. Der darin verwendete Begriff "Sicherheitsbereitschaft" wurde durch "zeitlich gestreckte Stilllegung" ersetzt.

Für die europäische Anwaltsvereinigung Client Earth wird mit der Begründung der EU-Kommission zunehmend unsicher, ob das Entschädigungspaket für RWE und Leag Bestand haben wird. Auch Client Earth bezieht sich in seiner Einschätzung auf die geäußerten "erheblichen Zweifel" an der Berechnungsgrundlage der Zahlungen sowie darauf, dass die Annahmen der Bundesregierung zu Laufzeit und Wirtschaftlichkeit der Kohlekraftwerke nicht mit der Realität auf dem Energiemarkt und in der Klimapolitik übereinstimmten.

"Die Kohleindustrie fährt Verluste ein", betont die Wirtschaftsjuristin Juliette Delarue von Client Earth. "Die Vorstellung, dass den Betreibern durch das Stilllegen von Kohlekraftwerken in den nächsten zwei Jahrzehnten Milliarden an Gewinnen entgehen würden, hat für Verwirrung gesorgt." Für sie hat es den Anschein, dass die EU-Kommission das auch so sieht.

Für Client Earth bleibt auch nach Durchsicht der Begründung unklar, welchen Anteil die Kosten für die Tagebau-Rekultivierung an den Entschädigungen ausmachen. Diese Informationen seien der Kommission nicht zur Verfügung gestellt worden. Selbst die von der Bundesregierung beauftragten Berater hätten aufgrund fehlender Informationen der Betreiber dazu keine Schlussfolgerungen ziehen können.

Bundeswirtschaftsministerium wiegelt ab

Sollte die EU-Kommission die hohen Zahlungen an die Unternehmen ablehnen, wäre das für Delarue ein guter Zeitpunkt, den "viel zu späten" Ausstieg aus der Braunkohle in Deutschland zu korrigieren.

Auf Nachfrage betont das Bundeswirtschaftsministerium, dass die jetzige Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens das Ergebnis nicht vorwegnehme. Bei komplexen Materien sei das ein üblicher Schritt, zu dem die EU-Kommission auch verpflichtet sei.

"Der Sachverhalt wird von der EU-Kommission ergebnisoffen geprüft", erklärte eine Sprecherin gegenüber Klimareporter°. Die Bundesregierung werde sich in das Verfahren konstruktiv und engagiert einbringen.

Der Kohleausstieg werde "ohne zeitliche Verzögerung" fortgesetzt, erklärte die Sprecherin weiter. Die Prüfung der EU-Kommission habe keine aufschiebende Wirkung, der im Kohleausstiegsgesetz festgelegte Stilllegungspfad bleibe gültig. "Auch der öffentlich-rechtliche Vertrag wird unabhängig vom Ausgang des Verfahrens Bestand haben", so die Sprecherin.

Nach dem, was bisher bekannt ist, müssten unter Umständen aber die Entschädigungszahlungen angepasst, sprich verringert werden. Was das für Folgen auf den gesamten Ausstiegsprozess haben könnte, ist derzeit unklar.

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