Vor knapp einem Jahr wurde der Bericht der Kohlekommission veröffentlicht. Darin enthalten ist auch die Empfehlung einer "nach sachlichen Kriterien angemessenen Entschädigungsleistung für die Betreiber". Nun wurden Entschädigungen von 4,35 Milliarden Euro festgelegt – 2,6 Milliarden sollen an RWE gehen, die restlichen 1,75 Milliarden an die Lausitzer Leag.
Doch wofür bekommen die Betreiber "so viel Kohle"?
Laut dem Entwurf des "Kohleausstiegsgesetzes" sollen Kraftwerksbetreiber für Stilllegungen bis Ende 2029 entschädigt werden. Begründet wird dies mit wirtschaftlichen Folgen "unzulässiger gezielter nachträglicher Eingriffe in die Braunkohleverstromung". Das Geld soll gerade auch für die Rekultivierungskosten der Tagebaue verwendet werden.
Die Höhe der Entschädigung beruht laut Gesetzentwurf auf "empirisch validierten typisierten Annahmen" von entgangenen Erlösen und vermiedenen Betriebskosten. Was hier aber konkret angenommen wurde und mit welcher Auslastung oder Lebensdauer der einzelnen Kraftwerke kalkuliert wird, ist im Entwurf nicht zu finden.
Vor zwei Wochen wurden Unterlagen der Leag aus dem Jahr 2016 bekannt, die zeigen, bis wann die Kohlekraftwerke in der Lausitz laufen sollten. Vergleicht man diese Konzernpläne mit den Kohleausstiegsplänen der Regierung, wird klar, dass die Leag kaum früher als geplant Kraftwerksblöcke vom Netz nehmen muss.
Laut den Regierungsplänen, wie sie im Ausstiegsgesetz niedergelegt sind, können bis zum endgültigen Ende der Förderung 854 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert werden, laut Plänen der Leag 867 Millionen Tonnen.
Der von der Regierung geplante Kohleausstieg kostet die Leag demnach gerade mal 13 Millionen Tonnen Kohle – anderthalb Prozent der vorgesehenen Fördermenge. Wofür sollen dann 1,75 Milliarden Euro Entschädigung gezahlt werden?
Verwirrte Bundesregierung
Die Leag selbst verweist auf ein verändertes Revierkonzept von 2017 und ist der Meinung, dass sie 340 Millionen Tonnen Kohle weniger als geplant abbauen kann – wo genau die Verluste entstehen werden, konnten die Presseverantwortlichen des Unternehmens am 29. Januar noch nicht sagen. Dieser Zahlenwirrwarr verwirrt sogar die Regierung. Laut Spiegel soll die Entschädigungssumme an die Leag nun von externen Gutachtern geprüft werden.
Isabel Schrems
hat Philosophie, Volkswirtschaftslehre und Nachhaltigkeitswissenschaften studiert. Seit 2019 arbeitet sie beim Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) als wissenschaftliche Referentin im Bereich Energiepolitik unter anderem zu den ökonomischen Fragen des Kohleausstiegs.
Die RWE begründet die Notwendigkeit von Entschädigungszahlungen insbesondere damit, ihre Rückstellungen um zwei Milliarden Euro aufstocken zu müssen. Aber hat dies wirklich mit höheren Kosten für die Rekultivierung zu tun?
Seit Jahren müssen die Rückstellungen regelmäßig erhöht werden, und zwar aufgrund eines Zinseffekts: Die Folgekosten der Braunkohle in der Zukunft werden auf heutige Beträge umgerechnet und dabei abgezinst – bei einer Restlaufzeit von 20 Jahren beispielsweise mit einem historischen Satz von 2,1 Prozent.
Anders gesagt: Es wird eingeplant, dass das Unternehmen noch 20 Jahre Zeit hat, das Geld anzulegen und zu vermehren. Weil die Zinsen zurzeit aber niedriger sind, müssen diese Erwartungen regelmäßig korrigiert werden. Das Unternehmen muss die Rückstellungen erhöhen, je näher der Zeitpunkt ihrer "Verwendung" rückt. Wenn Kohlekraftwerke früher stillgelegt werden, tritt der Effekt noch einmal verstärkt auf. Zukünftige Zinserträge fallen weg, weshalb die Rückstellungen heute erhöht werden müssen.
Längere Laufzeiten möglich
Um Klarheit darüber zu gewinnen, welche Auswirkungen ein beschleunigter Kohleausstieg auf die Folgekosten hat, hatte das Bundeswirtschaftsministerium Anfang vergangenen Jahres ein Gutachten in Auftrag gegeben. Bis dieses veröffentlicht wird, kann über den Sinn von Entschädigungszahlungen wegen veränderter Kostenstrukturen der Rückstellungen nur spekuliert werden.
Swantje Fiedler
hat Politik- und Wirtschaftswissenschaften studiert und ist wissenschaftliche Leiterin beim FÖS. Bei dem Thinktank befasst sie sich seit mehr als zehn Jahren mit der Konzeption und Wirkungsanalyse umweltpolitischer Instrumente und Strategien, speziell dem Abbau umweltschädlicher Subventionen und der Ausgestaltung marktwirtschaftlicher Instrumente in der Energiepolitik.
Eines ist aber heute schon klar: Wenn die Entschädigungen tatsächlich gezahlt werden, müssen diese ohne Ausnahmen für die Folgekostenfinanzierung gesichert werden. Dafür müssten sie sofort in Sicherheitsleistungen überführt werden.
Allerdings ist laut einer Studie im Auftrag der Denkfabrik Agora Energiewende rechtlich spätestens ab einem Betriebsalter von 25 Jahren eine entschädigungsfreie Stilllegung von Kohlekraftwerken möglich. In diesem Zeitraum ist von einer Amortisation der Investitionen, inklusive angemessener Gewinnerwirtschaftung, auszugehen.
Damit wären nur für unabgeschriebene Kraftwerke, die jünger als 25 Jahre sind, Entschädigungen notwendig. Das ist bei keiner der geplanten Stilllegungen der Fall.
Aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung ist aber fraglich, ob Braunkohlekraftwerke in den nächsten Jahren überhaupt noch Gewinne erzielen. Eine Modellierung des britischen Klima-Thinktanks Sandbag zeigt, dass sie sich kaum noch rentieren. Die Bruttogewinne der deutschen Braunkohlekraftwerke sind danach stark gefallen und nicht mehr kostendeckend.
Sandbag zufolge hat die Braunkohlebranche für den Zeitraum von 2020 bis 2022 mit Verlusten von 1,8 Milliarden Euro zu rechnen. Für welche "erwarteten und entgangenen Erlöse" sollen die Kraftwerksbetreiber dann noch entschädigt werden?
Viel Entschädigung für wenig Braunkohle
Argumente zu den Entschädigungen beim Braunkohleausstieg haben die Autorinnen in einer Handreichung des FÖS zusammengefasst: "Entschädigungszahlungen für Braunkohleunternehmen: Wofür und warum?"
Übertriebene Entschädigungen bergen die Gefahr, dass Kraftwerke sogar noch länger laufen als ohne die geplanten Stilllegungen. Sie könnten dafür genutzt werden, Verluste der Unternehmen zu kompensieren, und würden damit ihren eigentlichen Zweck komplett verfehlen. Vor diesem Hintergrund darf auch bezweifelt werden, ob die Entschädigungen von der EU beihilferechtlich genehmigt werden.
Der Deal mit den Kraftwerksbetreibern hinterlässt ein ungutes Gefühl. Es fehlt an Transparenz und an Informationen darüber, wie die Höhe der Entschädigungen festgelegt wurde. Bisher überwiegt der Eindruck, dass die Kraftwerksbesitzer satte Gewinne vom Ausstieg aus der Kohle einfahren – und die Steuerpflichtigen dies finanzieren. Das gefährdet die Akzeptanz des vorgesehenen Kohleausstiegs, der in dieser Form offenbar kein gesellschaftlicher Konsens mehr ist.