Der geflutete frühere Braunkohletagebau Grünhaus in der Niederlausitz.
Wer zahlt am Ende für die Braunkohlesanierung? Wichtige Vorentscheidungen fallen jetzt. (Foto: Bodo Witzke/​Wikimedia Commons)

Scharf wird der bis 2038 gestreckte Kohleausstieg dafür kritisiert, dass er den größten CO2-Schleudern des Landes quasi eine Laufzeitgarantie gibt. Dem entgegnen Verteidiger des Ausstiegsgesetzes, dass laut Braunkohle-Entschädigungsvertrag auch ein um drei Jahre früherer Ausstieg möglich ist.

Der Pferdefuß dabei: Die vorgesehenen 4,35 Milliarden Euro an Entschädigungen für die Braunkohlekonzerne Leag und RWE decken nur die Anlagen ab, die bis 2030 vom Netz gehen – Stilllegungen nach diesem Termin sind nach heutiger Lesart quasi entschädigungslos.

Will der Gesetzgeber in den kommenden Jahren aber Anlagen, die nach heutigem Plan erst nach 2030 abgeschaltet werden, eher aus dem Markt nehmen, legt der Vertragsentwurf fest: Diese vorgezogenen Stilllegungen sind nur dann entschädigungslos, wenn sie mindestens fünf Jahre vor dem vorzeitigen Stilllegungszeitpunkt beschlossen werden.

Entscheidet sich die Politik also irgendwann, doch schneller aus der Kohle auszusteigen, können nach jetziger Lesart weitere Entschädigungen fällig werden.

Grundsätzlich schaffe der Vertrag damit die Möglichkeit, dass Braunkohleunternehmen in Zukunft "weitere Entschädigungen fordern könnten, wenn Braunkohlekraftwerke früher als im Kohleausstiegsgesetz beschlossen stillgelegt werden", kritisieren Swantje Fiedler und Isabel Schrems vom Thinktank Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) in einer jetzt vorgelegten Analyse.

Anders gesagt: Ein früherer Ausstieg kann teuer werden.

Entschädigung privatisieren, Sanierung sozialisieren?

Enorme Zweifel haben auch die FÖS-Expertinnen an den Regelungen, die verhindern sollen, dass Leag und RWE die Entschädigungen einfach vereinnahmen und als Rendite an ihre Eigentümer durchreichen – und die öffentliche Hand im Gegenzug auf den unabsehbaren Kosten für die Sanierung besonders der Kohletagebaue sitzen bleibt.

FÖS-Ökonomin Swantje Fiedler erkennt in den geplanten Regelungen zwar den "Versuch, die Gelder für die Folgekostenfinanzierung zu sichern" – besonders bei der Lausitzer Leag, wo die "Sicherungsbemühungen" viel größer seien als bei RWE. "Trotzdem sind die Bemühungen unzureichend beziehungsweise unnötig kompliziert", kritisiert Fiedler gegenüber Klimareporter°.

So soll festgelegt werden, dass zehn Prozent der Entschädigungen an Treuhänder gezahlt werden und nicht in die zu gründenden Sanierungs-Zweckgesellschaften fließen. Das sei ein Schritt in die richtige Richtung und zeige, dass auch die Regierung nicht vollkommen dem Konzept der Zweckgesellschaften vertraue, so Fiedler. "Trotzdem sind zehn Prozent zu wenig, und wir fragen uns, weshalb genau dieser Anteil festgelegt wurde."

Auch räumt der Vertragsentwurf, wie das FÖS bemängelt, ausdrücklich die Möglichkeit ein, das Vermögen der für die Verwaltung der Sanierungsgelder zu gründenden Zweckgesellschaften "nach Maßgabe der Anlagerichtlinien der jeweiligen Vorsorgevereinbarung" zur Vermögensmehrung anzulegen. Die Anlagerichtlinien seien aber weiterhin nicht öffentlich zugänglich. Damit bleibe unklar, inwieweit hochriskante Anlageformen oder Investitionen ausgeschlossen sind.

Um nachvollziehbar zu machen, wo die Gelder angelegt werden können, ist es nach Ansicht des FÖS dringend notwendig, die Anlagerichtlinien der Vorsorgevereinbarungen in Brandenburg und Sachsen zu veröffentlichen, wo die Leag tätig ist. Dies müssten die Landesregierungen veranlassen.

Vertragstext könnte Bilanztricks ermöglichen

Die FÖS-Analyse bestätigt auch den Umstand, dass die Leag schon vor 2025 – also eher als nach dem Stilllegungsplan eigentlich möglich – Geld bekommen kann. Das sei dann der Fall, wenn Brandenburg und Sachsen von der Leag höhere Einzahlungen in die Zweckgesellschaften verlangen – in dem Fall würden diese Zahlungen "offenbar direkt von der Bundesregierung übernommen", so das FÖS.

Damit würde, schließt das FÖS, schon vor der Stilllegung Geld fließen, das unter anderen Umständen aus dem Konzernvermögen hätte kommen müssen. "So besteht die Gefahr, dass mögliche Gewinne aus der Braunkohleverstromung abfließen und nicht mehr ausreichend in die Zweckgesellschaften eingezahlt werden."

Bei den Regelungen, die den RWE-Konzern betreffen, hegt die FÖS-Analyse die Befürchtung, dass die Zahlungen einfach ins Konzernvermögen eingehen. So deute sich im Vertrag an, dass schon der Anspruch auf die 2,6 Milliarden Euro direkt nach Abschluss des Vertrags im Jahresabschluss der RWE Power AG bilanziell erfasst werden kann und so das Ergebnis des Geschäftsjahres 2020 schlagartig verbessert – auch wenn das Geld real erst später in Raten ausgezahlt werde.

Aufgrund des Ergebnisabführungsvertrags des Tochterunternehmens RWE Power mit der RWE AG könnten Gewinne dann direkt an den Mutterkonzern abgeführt und unter Umständen an die Anteilseigner ausgeschüttet werden, erläutert das FÖS weiter. Das "Verschwinden" der Gelder im Mutterkonzern lasse sich nur verhindern, wenn diese in der Bilanz gesondert ausgewiesen würden.

Ob die vom FÖS und anderen vorgebrachte massive Kritik am Entwurf des Vertrags zwischen dem Bund und den beiden Kohlekonzernen sowie die für Anfang September geplante Anhörung im Wirtschaftsausschuss des Bundestages den Vertragstext noch verändern könnten – was sich dann möglicherweise auch auf den Kohleausstieg auswirken würde –, wollte Swantje Fiedler gegenüber Klimareporter° nicht abschließend bewerten.

Sofern der Vertrag nur "im Kleinen" nachgebessert werde oder nur Transparenz über die Entschädigungen geschaffen werde, müsste das Kohleausstiegsgesetz nicht noch einmal geändert werden, meint Fiedler, räumt aber ein: "Es kommt sicherlich auf den Umfang der Änderungen an."

Anzeige