Aus der Ferne betrachtet, stehen drei Kohlekraftwerke mit rauchenden Schornsteinen nebeneinander im Dunst.
Während die Braunkohlekraftwerke großer Konzerne viel Zeit und Geld erhalten, sollen kommunale Steinkohlekraftwerke dies offenbar ausgleichen. (Foto: Lyonel Lux/​JM Image Factory/​Shutterstock)

Wenigstens bei ihren Klima- und Kohlegesetzen macht die Bundesregierung Tempo, wenn auch nur gegen die zu beteiligenden Verbände. Diese hatten beim Klimaschutzgesetz Anfang Oktober letzten Jahres kaum mehr als zwei Tage Zeit, um das Konvolut zu bewerten. Auch beim Gesetz zum nationalen Emissionshandel gab das Wirtschaftsministerium den Verbänden nur eine 48-Stunden-Frist für ihre Stellungnahmen. Jetzt, beim Kohleausstiegsgesetz, schrumpfte die Zeitvorgabe, ähnlich wie schon beim Strukturstärkungsgesetz, auf ganze 23 Stunden.

Dabei ist die Gesetzesvorlage nicht einmal komplett. Das Wirtschaftsministerium zog gestern den bereits an viele Medien übermittelten Entwurf mit dem Hinweis zurück, in der Anlage 2 – dem Braunkohle-Stilllegungspfad – müsse ein Fehler korrigiert werden.

Der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) vermisst im Gesetzentwurf etwa nach wie vor den Höchstpreis, den die Bundesregierung für die geplanten Ausschreibungen zur Stilllegung von Steinkohlekraftwerken festlegen will. Wirklich aufgescheucht wurden die kommunalen Interessenvertreter aber mit der Einigung von Bund und Ländern letzte Woche über den Kohleausstieg.

Das daraus resultierende, vom Wirtschaftsminister nunmehr verschickte Ausstiegsgesetz sei eine "sehr herbe Enttäuschung", erklärte VKU-Vizegeschäftsführer Michael Wübbels am Freitagmorgen in Berlin den Medien. Während die privaten Eigentümer der Braunkohleverstromungsanlagen "angemessen" entschädigt würden, erhielten kommunale Unternehmen, die in Kraft-Wärme-Kopplung auf Gas- oder Erneuerbaren-Basis investieren, keine Unterstützung.

"Steinkohle soll späteren Ausstieg aus Braunkohle kompensieren"

Der VKU hat dazu aus dem Gesetz heraus berechnet, wann wie viel Braun- und Steinkohle vom Netz gehen soll (siehe Grafik). Danach sinkt schon bis 2027 die Steinkohlekapazität von heute 20.000 auf 8.000 Megawatt, die Braunkohle im selben Zeitraum aber nur von etwa 18.000 auf 13.000 Megawatt. Das Aus für die letzte Steinkohleanlage soll laut der Aufstellung im Jahr 2033 kommen, während gut 6.000 Megawatt Braunkohle munter bis 2038 weiterlaufen.

Balkendiagramm: Stilllegungspfad für Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke in Deutschland von 2019 bis 2038.
Der im Gesetzentwurf vorgesehene Ausstiegspfad würde schon 2033 das Aus für das letzte Steinkohlekraftwerk bringen. Das müsste nach Lage der Dinge das erst in diesem Jahr ans Netz gehende Kraftwerk Datteln 4 sein – nach nur 13 Jahren Betrieb. Ob der Eigentümer Uniper da mitmacht, ist unklar. (Grafik: VKU)

Zudem stört den VKU, dass die Stilllegungen der Steinkohle nur bis 2026 über Ausschreibungen erfolgen und danach ordnungsrechtlich per Ukas der Bundesnetzagentur. Der kommunale Verband erkennt hier eine besonders gravierende Benachteiligung. Nach dem Aus für die Steinkohle könnten die Braunkohleeigner dann am "langen Ende" noch einmal richtig Geld verdienen, so der VKU. Die Braunkohle werde quasi doppelt entschädigt – durch längere Laufzeiten und durch die draufgepackte finanzielle Entschädigung.

Stadtwerke dagegen sollen nach dem Stand der Dinge gezwungen werden, neuere Kraftwerke abzuschalten, die noch nicht einmal ihre Abschreibungen verdient haben. Das könnte für kommunale Unternehmen Verluste in "oberer dreistelliger Millionenhöhe" bedeuten, warnte Wübbers.

Der VKU, dessen Mitgliedsunternehmen über etwa 3.000 Megawatt Steinkohlekapazität verfügen, verlangt deshalb, die Stilllegung per Ausschreibung um vier Jahre bis 2030 zu verlängern.

Der Verband kommt – wie schon Kritiker vor ihm – zum klaren Ergebnis: Der von Bund und Kohleländern gefundene Deal ist einer für die Braunkohle und gegen die Steinkohle. Wübbels: "Die Steinkohle soll den nach hinten verlängerten Ausstieg aus der Braunkohle kompensieren. Das Gesetz wendet die Logik an: Späterer Braunkohle-Ausstieg bedeutet vorgezogener Steinkohle-Ausstieg." Das sei weder klima- noch energiepolitisch noch volkswirtschaftlich sinnvoll, so Wübbels.

Kommunale Unternehmen fordern höheren Bonus

Allerdings ist es nicht so, dass der kommunale Verband der Braunkohle die Milliarden nicht gönnt – man will nur gleich gut behandelt werden. Der VKU verlangt deshalb vor allem, dass der Umstieg von Steinkohle auf Erdgas oder erneuerbare Energien im Ausstiegsgesetz viel stärker gefördert wird. Bisher ist für den "fuel switch" ein sogenannter Kohleersatzbonus vorgesehen. Hier wird bei einer Umrüstung beispielsweise auf Erdgas einmalig ein Zuschuss von 180 Euro je Kilowatt gezahlt.

Auf Grundlage einer Befragung seiner betroffenen Unternehmen fordert der VKU, den Bonus auf 450 Euro zu erhöhen, also auf das Zweieinhalbfache. Wie viel das kosten würde, konnte der Verband nicht beziffern. Auch zu einem weiteren im Ausstiegsgesetz vorgesehenen Bonus für die Steinkohle-Umrüstung, dem sogenannten Südbonus, hat der VKU noch keine Position.

Auf die Barrikaden wegen der Bevorzugung der privatwirtschaftlichen Braunkohle will der VKU vorerst nicht gehen. Man werde im parlamentarischen Verfahren für "Verbesserungen" werben, sagte Wübbels. Zusammen mit zwei anderen Spitzenverbänden habe man am Montagabend auch ein Schreiben an den Bundeswirtschaftsminister geschickt mit der Bitte um ein kurzfristiges Spitzengespräch.

Wegen der kurzen Fristen für die Stellungnahmen zu den Klimagesetzen hatten sich übrigens schon im Oktober letzten Jahres insgesamt 14 Verbände aus der Energiebranche und der Industrie sowie Gewerkschaften und der Umwelt-Dachverband DNR bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beschwert. Während sich die Bundesregierung selbst, etwa bei der Umsetzung der Beschlüsse der Kohlekommission, viel Zeit lasse, würden die Anhörungen nur pro forma durchgeführt, hieß es damals.

Sollte das Ausstiegsgesetz nächste Woche wirklich schon im Kabinett sein, dürfte die jetzige Verbändeanhörung nicht einmal eine pro forma gewesen sein.

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