Eine Reihe Windräder auf See, dazwischen ein Motorboot und hinten eine schwimmende Bauplattform.
Die RWE-Tochter Innogy betreibt bereits Offshore-Windparks in der Nordsee – wie hier vor Belgien – und in der Irischen See. (Foto: RWE)

Die Kohlekommission hat in ihrem Abschlussbericht empfohlen, mit den Betreibern von Kohlekraftwerken "einvernehmliche Vereinbarungen" auszuhandeln, die auch "Entschädigungsleistungen" enthalten. Der Energiekonzern RWE nannte dazu im Februar eine erste Zahl: Vorstandschef Rolf Martin Schmitz stellte Kosten von mindestens 1,2 Milliarden Euro pro 1.000 Megawatt Kraftwerkskapazität in den Raum. Dies beinhalte im Fall der Braunkohlemeiler auch die Tagebaue.

RWE bezieht sich bei seiner Forderung auf die Zahlungen für die Kraftwerke, die seit 2015 in die sogenannte Sicherheitsbereitschaft überführt werden. Damals wurden den Betreibern insgesamt 1,6 Milliarden Euro für die dauerhafte Außerbetriebnahme von rund 2.700 Megawatt zugesprochen, also rund 600 Millionen pro 1.000 Megawatt. Die EU-Kommission genehmigte den Deal und konnte keinen Hinweis auf illegale staatliche Beihilfen finden.

Ob eine Entschädigung rechtlich überhaupt erforderlich ist, gilt als umstritten. Für abgeschriebene Kraftwerke sei dies nicht der Fall, sagt ein Gutachten des Thinktanks Agora Energiewende aus dem vorletzten Jahr.

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kommt in seiner jüngsten Stellungnahme ebenfalls zum "Ergebnis, dass eine gesetzlich angeordnete Stilllegung von Kohlekraftwerken grundsätzlich auch ohne Entschädigungsleistung möglich ist". Ausnahmen könne es nur bei "unzumutbaren wirtschaftlichen Belastungen" geben, für die der Bericht der Kohlekommission aber "keine Hinweise" enthalte.

Ein von RWE in Auftrag gegebenes Gutachten kommt zum gegenteiligen Ergebnis: Ein politisch verfügter Ausstieg ohne Entschädigung sei "insgesamt verfassungswidrig".

Vier Möglichkeiten zur Bewertung

Bei der Bewertung von Kohlekraftwerken gibt es mehrere Optionen. Zum einen könnte man die Betreiber mit dem Buchwert der Anlagen entschädigen. Dann müssten sie keine extra Abschreibungen wegen des Kohleausstiegs vornehmen.

Da Kraftwerke in der Regel über 40 Jahre abgeschrieben werden, dürfte der Buchwert aber bei den meisten Meilern nahe null liegen. Den genauen Buchwert wollte RWE auf Anfrage aber nicht mitteilen. Dies sei "Geschäftsgeheimnis".

RWE darf Ökosparte von Eon übernehmen

Der RWE-Konzern darf das Erneuerbaren-Geschäft von Eon und das seiner eigenen Tochter Innogy übernehmen. Die EU-Kommission stimmte den Plänen vergangene Woche zu. Parallel befürwortete das Bundeskartellamt den Kauf eines 16,7-Prozent-Anteils an Eon durch RWE. Die Transaktionen sind Teil eines geplanten umfassenden Tauschs von Geschäften zwischen Eon und RWE.

Nach Vollzug der Transaktion wird RWE zum drittgrößten europäischen Produzenten erneuerbaren Stroms und weltweit zur Nummer zwei im Bereich Offshore-Wind aufsteigen.

Über den dritten Teil des Geschäfts, die Übernahme der Kunden und des Stromnetzes von Innogy durch Eon, will die EU-Kommission ebenfalls bald entscheiden. Hier deuten die Signale aber auf eine tiefere Prüfung hin. Die endgültige Entscheidung der EU-Kommission könnte so erst im August dieses Jahres fallen.

Ein anderer Ansatz ist die Marktkapitalisierung der Betreiber, in denen der "Wert" der Kraftwerke ja enthalten sein müsste. Der RWE-Konzern war am Dienstag an der Börse 13,3 Milliarden Euro wert. Darin enthalten sind 11.000 Megawatt Braunkohle- und gut 3.000 Megawatt Steinkohlekraftwerke.

Aus dieser Sicht wäre es für den deutschen Staat billiger, RWE selbst zu übernehmen, als pro 1.000 Megawatt 1,2 Milliarden Euro zu bezahlen. Nach der Stilllegung aller Kohlemeiler könnte der Staat die Rest-RWE zudem wieder an die Börse bringen.

Eine dritte Möglichkeit zur Bewertung ist der Gegenwartswert aller zukünftigen Gewinne eines Kraftwerks. Diese Gewinne hängen von vier Faktoren ab: dem Strompreis auf der Einnahmenseite sowie den Betriebskosten, dem Preis für Kohle und dem Preis für CO2-Zertifikate im EU-Emissionshandelssystem auf der Kostenseite.

Das Beratungsunternehmen Energy Brainpool hat im Auftrag von Greenpeace Energy ausgerechnet, was die einzelnen RWE-Blöcke im Rheinischen Braunkohlerevier wert sind. Ergebnis: Insbesondere wegen der steigenden Kosten für CO2-Zertifikate würde der Wert dieses Kraftwerksparks im Jahr 2022 bei nur noch bei 673 Millionen Euro liegen.

Viele Kraftwerke würden in den nächsten Jahren schlicht unrentabel. Am längsten lassen sich laut der Brainpool-Analyse die beiden Kraftwerksblöcke F und G am Standort Neurath in Grevenbroich noch rentabel betreiben: Sie würden erst ab dem Jahr 2029 defizitär.

Eine vierte Option zur Ermittlung des Werts der Kraftwerke ist schließlich ein Blick auf den Markt. Hier ist besonders der Verkauf des Vattenfall-Kohlegeschäfts in Deutschland von Interesse: Im Jahr 2016 "verkaufte" Vattenfall vier Braunkohlekraftwerke mit 7.600 Megawatt Gesamtkapazität sowie fünf Tagebaue an den tschechischen Konzern EPH.

Um das Geschäft zu ermöglichen, zahlte Vattenfall 1,7 Milliarden Euro an EPH zum Ausgleich für die Altlasten, vor allem zur Renaturierung der Tagebaue. Bei diesem Geschäft lag der "Wert" der Kohlemeiler folglich im negativen Bereich.

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