Porträtaufnahme von Sebastian Sladek.
Sebastian Sladek. (Foto: Bernd Schumacher)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Sebastian Sladek, geschäftsführender Vorstand der Elektrizitätswerke Schönau (EWS).

Klimareporter°: Herr Sladek, morgen soll die lang erwartete Plattform "Klimaneutrales Stromsystem" starten. 2030 sollen 80 Prozent des Stroms erneuerbar sein – das soll durch ein neu gestaltetes Stromsystem befördert werden, und zwar so, dass immer Strom aus der Steckdose kommt. Wie sähen Ihre Vorschläge für ein klimaneutrales System aus?

Sebastian Sladek: Wir begrüßen erst einmal, dass es jetzt losgeht mit der Debatte zum neuen Strommarktdesign. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die energiepolitische Agenda der Ampel ordentlich durcheinandergewirbelt und auch dieses Vorhaben lange verzögert.

Trotzdem wundern wir uns, warum der Gesetzgeber die Diskussion auf das Stromsystem einengt. Die dicksten Bretter sind ja vor allem im Gebäude- und Verkehrsbereich zu bohren.

Statt nur auf Strom zu schielen, hätte man gleich mit dem "klimaneutralen Energiesystem" starten sollen. Mit Blick auf den Klimaschutz darf hier nicht noch mehr Zeit verdaddelt werden.

Eine der zentralen Fragen des neuen Strommarktdesigns wird sein, wie der Ausbau der Erneuerbaren künftig finanziert werden soll. Es geht darum, endlich stabile und verlässliche Rahmenbedingungen für Direktstrombezugsverträge, sogenannte PPAs, zu schaffen.

Seit einiger Zeit erleben wir, wie der PPA-Markt zusammenbricht – auch, weil Instrumente wie die Erlösabschöpfung die Ökostromproduzenten und -abnehmer massiv verunsichert haben. Das darf so nicht wieder passieren.

Die drastische Beschleunigung des Erneuerbaren-Zubaus kann aber nicht allein über PPAs laufen. Es braucht auch künftig ein Instrument, das vor allem kleineren Akteuren Planungssicherheit bietet, um in Erneuerbaren-Projekte zu investieren.

Hier gibt es durchaus unterschiedliche Vorstellungen. Wir finden das derzeit besonders von der EU stark diskutierte Instrument zweiseitiger Differenzverträge, sogenannter Contracts for Difference oder kurz CfD, nicht grundsätzlich verkehrt.

Wichtig ist dabei, dass ein CfD verlässliche und transparente Rahmenbedingungen für Erneuerbare schafft und dabei den PPA-Markt nicht einschränkt. Sonst sind die Erneuerbaren-Projekte für einen langen Zeitraum im CfD-System gefangen und können ihren Strom nicht über andere Wege vermarkten.

Entscheidend ist für uns auch, dass die Bürgerenergie zum Rückgrat des klimaneutralen Stromsystems gemacht wird. Nur über Teilhabe und Partizipation lässt sich die notwendige Akzeptanz für den Erneuerbaren-Ausbau vor Ort gewährleisten.

Hier muss die Ampel jetzt auf Grün schalten und stabile Rahmenbedingungen für dezentrale, bürgernahe Versorgungsmodelle schaffen. Noch immer sind zahlreiche Regelungen aus der europäischen Erneuerbaren-Richtlinie RED II nicht umgesetzt, wie das Energy Sharing.

Es kann doch nicht sein, dass Bürgerenergiegesellschaften zwar erneuerbaren Strom produzieren, ihn aber nicht gemeinsam vor Ort nutzen dürfen!

Ein umstrittener Punkt beim klimaneutralen Stromsystem ist auch, ob Deutschland künftig keine bundesweiten einheitlichen Netzentgelte mehr haben soll, sondern mehrere Preiszonen. Was meinen Sie?

Hier gilt es, den Elefanten im Raum zu benennen: Die einheitliche deutsche Preiszone wird nicht zu halten sein.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Netzausbau vom Norden in den Süden auch künftig nicht so schnell verlaufen wird wie eigentlich notwendig. Im vergangenen Jahr sind zudem die sogenannten Redispatch-Kosten mit fast 3,5 Milliarden Euro explodiert. Das führte zu einem massiven Anstieg der Netzentgelte.

Nur weil hier der Staat ordentlich Mittel nachgeschossen hat, wurden vor allem private Verbraucherinnen und Verbraucher vor einem weiteren Strompreisanstieg bewahrt.

Das ewige Festhalten an der einheitlichen Preiszone mit dem Ziel, der Großindustrie in Süddeutschland billigen Strom zu garantieren, ist angesichts derartiger Kostenexplosionen aber nicht mehr vermittelbar.

Die einheitliche Preiszone sollte in Richtung mehrerer Preiszonen weiterentwickelt werden. Das würde nicht nur Druck von den Netzentgelten nehmen, sondern auch regionale Preissignale stärken.

Davon könnte gerade der dringend notwendige Ausbau der Erneuerbaren sowie die Entwicklung flexibler Anlagen und Speicher in Süddeutschland profitieren. Wir erwarten von der Plattform hier klare Lösungsvorschläge.

Bis Anfang der 2040er Jahre kann der Erdgasausstieg gelingen, argumentiert der Heidelberger Energieexperte Martin Pehnt. Beim Strom erscheint das ja machbar – aber beim Heizen? Heute wird noch die Hälfte der Wohnungen mit Erdgas geheizt. 2022, im Jahr der Gaskrise, wurden noch über 600.000 Gasheizungen verkauft. Müssen wir die alle wieder rausreißen?

Es steht außer Frage, die Wärmewende muss mit höchster Dringlichkeit verfolgt werden. Schon 2021 hatten wir eine eigene Gebäudewärme-Studie beim FÖS, dem Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft, in Auftrag gegeben, um auf den hohen Handlungsbedarf hinzuweisen. 

Die Studie zeigte, dass die Auswirkungen von entweichendem Methan aufs Klima immer noch unterschätzt werden. Sie zeigte aber auch, dass ein Erdgasausstieg sogar bis 2030 machbar wäre, und hat eine entsprechende Roadmap vorgestellt.

Das Ganze ist wie immer eine Frage des politischen Willens, denn das entsprechende Potenzial allein von Solarthermie, Biomasse, Geothermie, Umweltwärme und Industrie-Abwärme ist vorhanden. Mit einem schneller ansteigenden CO2-Preis würden die Alternativen zur Gasheizung schnell preislich attraktiv werden.

Betriebliche Mobilität kann viel stärker zum Klimaschutz beitragen, ergab eine Analyse von Öko-Institut und Agora Verkehrswende. Dabei geht es um komplett elektrische Firmenwagen-Flotten, die Finanzierung von Jobrädern oder "Mobilitätsbudgets" statt Dienstwagen. Wie sieht die betriebliche Mobilität bei EWS aus?

Es freut mich persönlich, dass die Handlungsempfehlungen, die in der Studie gegeben werden, bei uns schon seit jeher Standard sind. Unsere Mitarbeitenden bekommen einen Zuschuss zum ÖPNV-Ticket, auch das Jobrad bieten wir an. Wir stellen elektrische Sharing-Autos, E-Bikes und E-Scooter zur Verfügung.

Vor unserem Firmensitz stehen selbstverständlich Ladesäulen und wir tauschen in unserer Flotte nach und nach Verbrenner gegen E-Autos aus. Geschäftsreisen werden grundsätzlich mit der Bahn getätigt, das Flugzeug ist tabu.

Der Wechsel zwischen Büro und Homeoffice hat sich auch bei uns etabliert. Zudem haben wir eine Betriebsstätte in Freiburg eingerichtet, die vielen Kolleginnen und Kollegen aus der Region die Fahrt nach Schönau erspart. Und ich kann schon mal verraten, dass uns die Mobilität in diesem Jahr noch mehr beschäftigen wird.

Aber auch hier ist die Politik gefragt, um die Privilegierung des Pkw zurückzudrehen und die Klimavorteile anderer Verkehrsmittel auch preislich abzubilden. So etwas wie das Dienstwagenprivileg ist einfach nicht mehr zeitgemäß.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Das Ausmaß der Faktenresistenz bei der FDP vermag mich immer wieder zu überraschen. Nachdem sie in Berlin aus dem Abgeordnetenhaus geflogen ist, will sich die FDP anscheinend noch stärker an den fossilen Status quo klammern und die Idee der Zukunftskoalition im Bund de facto aufkündigen.

In seinem Trotzanfall fällt zum Beispiel FDP-Vize Wolfgang Kubicki nichts anderes ein, als die für die Energiewende dringend benötigten Stromtrassen als Verhandlungsmasse in Geiselhaft zu nehmen, um seine Autobahn-Erweiterungen durchzusetzen.

Ich habe Zweifel, ob das die Partei für Wählerinnen und Wähler attraktiver macht. Politiker, die Klima- und Umweltschutz im Jahr 2023 noch als alleinige Themen der Grünen betrachten und die klimafreundliche Transformation verhindern statt beschleunigen wollen, sollten vielleicht wirklich nicht mehr in unseren Parlamenten sein.

Fragen: Jörg Staude