Stau auf einer Autobahn
Die alte Weisheit, dass mehr Straßen nur mehr Verkehr bringen, ist noch nicht bei der FDP angekommen, oder es ist ihr egal. (Foto: Monikap/​Pixabay)

"Ausbaustopp jetzt!" So lautet die Forderung, mit der Ökogruppen einen Aufruf zu "bundesweiten Autobahnblockaden" überschrieben haben. Am ersten Märzwochenende soll die neue Eskalationsstufe des Klimakonflikts gezündet werden.

Demonstrieren wollen die Aktivisten vor allem gegen Pläne von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), den Bau von Fernstraßen zu beschleunigen und so "Engpässe" zu beseitigen. Ein Gesetz der Ampel-Regierung, das das ermöglichen würde, müsse "kompromisslos abgelehnt werden", heißt es in dem Aufruf der Autobahngegner, die sich unter dem Slogan "Wald statt Asphalt" zusammengefunden haben.

Und: Es müsse ein Moratorium für den Bau aller Projekte erlassen werden. Bagger und Asphaltiermaschinen sollen stillstehen.

Die Frage ist: Braucht Deutschland neue Autobahnen oder muss Schluss mit dem weiteren Ausbau sein? Muss das Netz erweitert werden, weil sonst der Verkehr auf überlasteten Trassen endgültig im Dauerstau hängt und die Wirtschaftsentwicklung gebremst wird?

Oder verbietet sich das, weil dann die Klimaziele verpasst werden und die Bundesregierung es ja nicht einmal schafft, das vorhandene Fernstraßennetz in Schuss zu halten?

Der Streit darüber nimmt an Schärfe zu. Denn nicht nur die Gegner, auch die Befürworter neuer (Fern-)Straßen bringen sich in Stellung. In Berlin zum Beispiel, wo am Wochenende die Wahl zum Abgeordnetenhaus wiederholt wird, spielt das Thema eine große Rolle.

Die Oppositionsparteien CDU, AfD und FDP mobilisieren gegen die Verkehrswende und plakatieren Slogans wie "Berlin, lass dir das Auto nicht verbieten". Sie attackieren die rot-grün-rote Verkehrspolitik in der Hauptstadt, die unter anderem den Weiterbau der Stadtautobahn A 100 stoppen will. Und hoffen, dass ihre intensive Einfühlung in die PS‑Seele Stimmen bringt.

Ausbauziele aus den 1950er und 1960er Jahren

Auf Bundesebene hat sich besonders die FDP als Pro-Auto(bahn)-Partei positioniert, zuletzt mit amerikanisch anmutenden Visionen. Ginge es nach ihr, würden die Fernstraßen auf bis zu zehn Spuren ausgebaut, so zumindest ihr Bundestags-Fraktionschef Christian Dürr jetzt in der ARD-Talkshow von Anne Will.

"Wir haben überall steigende Verkehre", begründete er das. "Wir haben Engpässe bei der Schiene, aber auch bei den Autobahnen. Das merken die Menschen, die jeden Morgen im Stau stehen."

Dürr forderte: "Grünes Licht für alle Verkehrsprojekte, die wir brauchen, damit in Deutschland weniger Stau ist und die Menschen schneller vorankommen." In der Ampel-Bundesregierung ist das der aktuelle Hauptstreitpunkt. Die Grünen sperren sich gegen Wissings Autobahn-Booster.

Fakt ist, Deutschland hat eines der dichtesten Straßennetze der Welt. Die bundeseigenen Straßen sind mehr als 51.000 Kilometer lang, neben gut 13.000 Kilometern Autobahnen gibt es rund 38.000 Kilometer Bundesstraßen. Hinzu kommen geschätzte 800.000 Kilometer kommunale Straßen. Und das Netz wird immer noch weiter verdichtet.

Beispiel Autobahnen: Deren Länge wurde seit 1950 mehr als versechsfacht, damals waren es 2.100 Kilometer gewesen. Ihr Ausbau steht für den Wandel Deutschlands zum Autoland. Legendär der Spruch des damaligen Verkehrsministers Georg Leber (SPD) aus den 1970er Jahren, niemand solle es weiter als 20 Kilometer von seinem Wohnort bis zum nächsten Autobahnanschluss haben. Auch zuletzt wuchs das Netz weiter, jährlich um zwei, drei Dutzend Kilometer.

Das einst flächendeckende Schienennetz hingegen wurde seit 1950 rasiert, mehr als ein Viertel ist stillgelegt worden, es umfasst heute nur noch rund 33.300 Kilometer, sogar Mittelzentren verloren ihren Anschluss. Wer weiter Bahn fahren wollte, wurde ins Auto gezwungen.

Kritische Verkehrsfachleute warnen vor einer Fortsetzung dieses Kurses. Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) kritisiert, dass die Themen Klimaschutz und gesellschaftlicher Wandel bei vielen Verkehrsplanern noch nicht angekommen seien.

"Die Planungen zur Verkehrsinfrastruktur verfolgen im Wesentlichen Ziele der 1950er und 1960er Jahre", sagte Knie kürzlich gegenüber Klimareporter°. Die damaligen Annahmen würden immer nur leicht angepasst und müssten bis heute als Begründung für den Neubau von Straßen herhalten. Das treffe besonders bei der Autobahnplanung zu.

Mehr Straßen, mehr Verkehr, mehr CO2

Laut einer Befragung durch das WZB und das Meinungsforschungszentrum Infas verändert sich zum Beispiel die Arbeitswelt durch Homeoffice und Videokonferenzen so stark, dass das Folgen für die Straßenplanung haben müsste. Mehr als ein Drittel der Beschäftigten arbeitet danach die halbe Woche nicht mehr im Büro. Knie: "Zukünftig müssen wir mit abnehmenden Verkehrsleistungen rechnen."

Hinzu kommt, dass die Ampel eine Verdopplung des Personenverkehrs bei der Bahn bis 2030 sowie eine stärkere Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene beschlossen hat. "Der gesamte Bundesverkehrswegeplan, der die Ausbauprojekte festlegt, muss auf den Prüfstand", fordert Knie. "Er kann nicht mehr einfach so fortgeschrieben werden."

Auch der Kasseler Verkehrsforscher Helmut Holzapfel verweist darauf, dass dieser Plan auf Prognosen von zukünftig bis zu 30 Prozent mehr Verkehr basiere, die aus Zeiten vor der Verschärfung der Klimaziele von Bund und EU stammen. Nach dem novellierten deutschen Klimaschutzgesetz darf der Verkehrssektor 2030 nur noch 85 Millionen Tonnen CO2 im Jahr emittieren, 2021 aber waren es noch rund 148 Millionen Tonnen gewesen.

"Selbst wenn wir 2030 rund 30 Prozent des Verkehrs elektrisch und mit Ökostrom abwickeln, bliebe bei diesem Verkehrswachstum die Einsparung auf den Autobahnen gleich null", sagt Holzapfel.

Statt des Beschleunigungsprogramms für 144 Baumaßnahmen zur Engpassbeseitigung an Autobahnen, das Verkehrsminister Wissing aktuell vorschwebt und laut einer Analyse des Umweltverbandes BUND durch erhöhtes Verkehrsaufkommen für jährlich mindestens 410.500 Tonnen CO2 sorgt, schlägt Holzapfel eine andere Maßnahme vor: "Ein Tempolimit – das ist das beste Mittel zur Bekämpfung von Staus."

Analysen des Straßenverkehrs zeigten, dass Tempo 100 auf Autobahnen deren Leistungsfähigkeit sofort um zehn bis 20 Prozent erhöhen würde. Zudem gebe es einen Push für das CO2-Sparen. Tatsächlich hat das Umweltbundesamt jüngst vorgerechnet, dass bereits Tempo 120 eine Minderung um 6,7 Millionen Tonnen pro Jahr brächte.

"Die FDP sollte ihre Träume von zehnspurigen Autobahnen schnellstens beerdigen und einem Moratorium für den Fernstraßenbau zustimmen", meint der Verkehrsforscher. Und empfiehlt einen Blick in die USA. Dort, etwa bei Los Angeles, könne man erleben, wie Staus auch auf zehn Spuren stattfinden.

Redaktioneller Hinweis: Andreas Knie ist Herausgeberratsmitglied von Klimareporter°.

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