Neue Fernwärme-Rohrleitungen mit den typischen roten Schutzabdeckungen liegen auf einem Stapel, alle sind mit einem runden gelben Aufkleber gekennzeichnet, auf dem die Zahl 2 steht.
Bisher haben Wärmenetze mit der Energiewende nicht viel zu tun. Das soll sich zumindest in Baden-Württemberg ändern. (Foto: Sonsart/​Shutterstock)

Es ist eine klare Ansage für die 103 größten Städte in Baden-Württemberg: Bis Ende 2023 müssen alle Kommunen mit mehr als 20.000 Einwohnern einen Plan entwickeln, der für das Jahr 2050 aufzeigt, wie der gesamte Wärmesektor der jeweiligen Städte und Gemeinden klimaneutral werden kann.

Für das Jahr 2030 sind Zwischenziele zu definieren. Damit hat die grün-schwarze Landesregierung den Städten im Südwesten eine Hausaufgabe aufgegeben, die in dieser Form in Deutschland einmalig ist.

Der Wärmeplan ist aus vier Teilen aufzubauen. Die ersten Schritte sind eine Bestandsanalyse und eine Potenzialanalyse, aus denen dann im dritten Schritt ein Zielszenario zu entwickeln ist. Dazu gehöre, so das Umweltministerium in Stuttgart, "eine räumlich aufgelöste Beschreibung der dafür benötigten zukünftigen Versorgungsstruktur im Jahr 2050".

Als vierter und wichtigster Teil muss eine "Wärmewendestrategie" formuliert werden, die einen "Transformationspfad zur Umsetzung des kommunalen Wärmeplans" umfasst. Dazu gehören "ausgearbeitete Maßnahmen, Umsetzungsprioritäten und ein Zeitplan für die nächsten Jahre" sowie eine Beschreibung möglicher Maßnahmen, um die erforderliche Energieeinsparung zu erreichen.

Die Aufgabe ist komplex. Daher ist der Bedarf an Beratung durch die landeseigene Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg (Kea‑BW) groß. Viele Kommunen, oft in Kooperation mit Stadtwerken, beauftragen externe Fachplaner mit der Aufstellung der Pläne.

"Wir machen derzeit sehr viele Online-Konferenzen mit den Rathäusern und kommunalen Akteuren", sagt Max Peters, Leiter des Kompetenzzentrums Wärmewende bei der Kea‑BW. Zugleich unterstützt die Landeseinrichtung aber auch eine Vernetzung der Planer, um eine gute Planungspraxis im Land zu etablieren. "Wir streben ein standardisiertes Vorgehen an", so Peters.

Zudem werde in jeder der zwölf Regionen des Landes eine Beratungsstelle geschaffen, heißt es bei der Kea‑BW in Karlsruhe. Diese kann in manchen Fällen bei den regionalen Energieagenturen angesiedelt werden – was aber nur dann geht, wenn die Einrichtungen nicht zugleich auch als Dienstleister Wärmepläne erarbeiten.

Das Land ersetzt den Städten die Kosten der Planung auf Basis einer Pauschale. Über vier Jahre hinweg bekommt jede Stadt einen Sockelbetrag von 12.000 Euro und zusätzlich 19 Cent je Einwohner. Für die Landeshauptstadt Stuttgart zum Beispiel wäre das in der Summe ein Betrag von rund 530.000 Euro.

Auch für kleinere Kommunen, die freiwillig einen Wärmeplan erstellen, soll noch in der ersten Hälfte 2021 ein Förderprogramm starten. Im Januar hatte die Kea‑BW bereits einen Handlungsleitfaden "Kommunale Wärmeplanung" vorgelegt.

Die Kommunen nähern sich dem Projekt auf sehr unterschiedliche Weise. Mancherorts nimmt sich der Oberbürgermeister selbst des Themas an, woanders ist es der städtische Klimaschutzmanager. Mitunter sind auch die Stadtwerke federführend.

Keine bundesweiten Pläne

Baden-Württemberg nimmt mit diesen Wärmeplänen eine Führungsrolle in Deutschland ein, wie die Deutsche Energieagentur (Dena) bestätigt. Zwar gibt es auch in anderen Ländern Wärmepläne, doch diese haben oft eher den Charakter eines Katasters ohne Szenario für eine reale Transformation.

In Schleswig-Holstein schafft das Gesetz zur Energiewende und zum Klimaschutz vor allem die Rechtsgrundlage für Kommunen, Daten für die Aufstellung kommunaler Wärme- und Kältepläne zu erheben.

Manche Städte, etwa die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt Düsseldorf, erstellen ebenfalls Wärmeatlanten. Aber diese Papiere haben oft vor allem die Fernwärme im Blickfeld, weniger die erneuerbaren Energien. Heutige Wärmenetze haben mit der Energiewende nämlich noch wenig zu tun: Im Jahr 2019 wurden zwei Drittel der Fernwärme in Deutschland durch fossile Energieträger bereitgestellt.

Auch Baden-Württemberg hat mit der Stadt Mannheim, wo die Wärme aus dem dortigen Steinkohle-Großkraftwerk genutzt wird, einen bedeutenden Fernwärmestandort. Mehr als 60 Prozent der Haushalte in der Stadt beziehen Fernwärme – was dann wieder ganz individuelle Konzepte der Wärmeplanung benötigt.

Eine besondere Herausforderung bei bestehenden Netzen, so betont die Dena, liege in der notwendigen Absenkung der Netztemperaturen, was in der Regel mit einer umfassenden Sanierung der Gebäudesubstanz einhergehen muss. Der Wärmeplan einer Stadt wie Mannheim, die heute noch sehr auf Kohle baut und künftig Ersatz schaffen muss, dürfte von den Planern im Land mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt werden.

Nach dem Konzept des Landes sollen sich die Wärmepläne allerdings nicht unbedingt an Gemarkungsgrenzen orientieren, sondern pragmatisch an den Gegebenheiten. Daher tun sich die Gemeinden oft zusammen.

Im südbadischen Lörrach arbeitet man zum Beispiel an einem interkommunalen Plan für den gesamten Landkreis, womit dann auch all die kleinen Gemeinden eingebunden sind, die gar nicht verpflichtet wären, einen Wärmeplan aufzustellen. Das Landratsamt übernimmt im Rahmen dieses Musterprojekts das Projektmanagement für die 35 Gemeinden, von denen eigentlich nur drei der Pflicht zur Wärmeplanung unterliegen.

Auch mittelgroße Städte tun sich zusammen, so etwa Kornwestheim und Ludwigsburg – was sich dort aufgrund eines gemeinsamen Stadtwerks angeboten hatte. Zudem beteiligen sich kleinere Kommunen an der Wärmeplanung ihrer großen Nachbarn, obwohl sie selbst nicht zur Wärmeplanung verpflichtet sind. Und hier und da gibt es auch Kommunen, die das alles schon längst hinter sich haben, wie etwa die Gemeinde Wüstenrot.

Wärme aus Industrie und Abwasser

Ein großer Pluspunkt der Wärmeplanungen liegt in der technologieoffenen Strategie. Jede Stadt kann eigene Ideen entwickeln, wie sie der gestellten Anforderung – Klimaneutralität bis 2050 – gerecht wird. So ist es möglich, stark auf Wärmepumpen zu setzen, wobei dargelegt werden muss, aus welchen Quellen der Strom zum Betrieb kommen soll. Möglich ist auch der Einsatz von Gas, sofern es nachweislich grüne Eigenschaften hat.

Auch Abwärme soll bestmöglich eingebunden werden. Erste Projekte werden im Land bereits realisiert. In der Stadt Rheinfelden am Hochrhein, wo das Chemieunternehmen Evonik rund um die Uhr mehr als fünf Megawatt Wärme abgeben kann, wurde bislang mit der Energie der Rhein aufgeheizt – künftig wird sie über ein Nahwärmenetz an Kunden geliefert.

Im Innenhof eines Rohbaus ragt ein großer flacher Betonzylinder aus dem Boden, ein Teil der Schalung ist noch vorhanden.
Neue Technologien wie Eisspeicher kommen in sogenannten kalten Nahwärmenetzen zum Einsatz. (Foto: © Raimond Spekking/​Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0)

Ein anderes Beispiel wurde in den letzten Jahren in Bonndorf im Schwarzwald realisiert, wo 270 Gebäude mit industrieller Abwärme der Firma Adler Schinken beheizt werden.

Und in Schluchsee im Schwarzwald wird derzeit ein Wärmenetz aufgebaut, das 150 Gebäude versorgt und dessen Wärme im Winter aus heimischen Holzhackschnitzeln stammt. Im Sommer hingegen reicht allein die Sonnenwärme, die ein 3.000 Quadratmeter großes Kollektorfeld liefert.

Die Liste der unterschiedlichen Konzepte ist damit längst nicht erschöpft. Im badischen Schallstadt wird gerade ein "kaltes Nahwärmenetz" aufgebaut um ein Wohngebiet mit 200 Wohneinheiten zu versorgen.

Die Wärme stammt aus dem Wasser eines großen Abwassersammlers, das im Jahresverlauf eine Temperatur zwischen zwölf und 18 Grad aufweist. Über Wärmetauscher wird die Energie an einen Wasserkreislauf übergeben und gelangt so in die Häuser. Dort wird mittels Wärmepumpe das Temperaturniveau so weit erhöht, dass es für die Heizung reicht.

All diese Projekte kamen in die Gänge, weil sich irgendjemand vor Ort die Mühe machte, die lokalen Potenziale auszuloten. Doch solche lokalen Macher gibt es nicht überall. Mitunter machen sich zum Beispiel Unternehmen kaum Gedanken darüber, ob es mögliche Abnehmer für ihre Abwärme gibt.

Solche Projekte soll nun der Wärmeplan anstoßen – denn eine Idee, die einmal auf dem Papier akribisch durchgerechnet wurde, hat gleich ganz andere Chancen, verwirklicht zu werden.

Ökostrom importieren oder selbst erzeugen?

Allzu viele Vorgaben für die Wärmepläne macht das Land mit dem Klimaschutzgesetz bewusst nicht. "Wir setzen darauf, dass dennoch aussagekräftige und umsetzungsorientierte Wärmepläne erarbeitet werden", heißt es bei der Kea‑BW. Zumal man dort auch auf die kritische Begleitung des Verfahrens durch die Fachöffentlichkeit hofft.

Sollte nämlich eine Stadt zu sehr auf Importenergien zurückgreifen wollen, um vor Ort wenig tun zu müssen, dann – so hoffen auch die Wärmewende-Planer in Karlsruhe – würde sie von den Gemeinderäten oder anderen Akteuren vor Ort zurückgepfiffen.

Das heißt aber nicht, dass jede Stadt sich autark versorgen muss. Effizient wird ein solches System schließlich erst, wenn jede Region ihre Stärken ausspielt. Wo diese liegen, werden oft erst die Potenzialanalysen zeigen.

Grundsätzlich steht Baden-Württemberg mit dem Projekt vor einer besonderen Herausforderung, denn eine umfangreiche Elektrifizierung des Wärmesektors dürfte im Südwesten schwieriger sein als in manchen anderen Teilen der Republik. Das Ländle importiert schon heute beträchtliche Strommengen, die in Zukunft sogar noch stark steigen dürften.

Im Jahr 2020 erzeugte Baden-Württemberg nur 64 Prozent seines Stroms selbst. Mit der Vollendung des Atomausstiegs Anfang 2023 wird der Wert auf nur noch knapp über 50 Prozent und mit dem Kohleausstieg sogar auf rund 35 Prozent sinken.

Sollte zugleich der Strombedarf durch immer mehr Elektromobile oder den verstärkten Einsatz von Wärmepumpen deutlich steigen, gibt es nur eine Lösung: Auch im Süden der Republik müssen die erneuerbaren Energien massiv ausgebaut werden.

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