Porträtaufnahme von Andreas Knie.
Andreas Knie. (Foto: David Außerhofer)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Professor Andreas Knie, Sozialwissenschaftler mit den Schwerpunkten Wissenschaftsforschung, Technikforschung und Mobilitätsforschung.

Klimareporter°: Herr Knie, heute beginnt der Weltklimagipfel im ägyptischen Sharm el-Sheikh – inzwischen der 27. seiner Art. Trotz aller Klimadiplomatie und -verpflichtungen steigen die CO2-Emissionen weiter an, nur etwas langsamer als früher. Was erwarten Sie von dem Gipfel? 

Andreas Knie: Ich erwarte nichts, jedenfalls nicht von Deutschland. Die Bundesregierung hat schlicht der Versorgungssicherheit mit fossilen Brennstoffen in hektischer Betriebsamkeit den Klimaschutz geopfert.

Man hat wider besseres Wissen die Versorgung durch die eine Diktatur einfach gegen eine andere eingetauscht und die Abhängigkeit gegenüber dem Nahen Osten noch erhöht. Gleichzeitig werden politische Anstrengungen zur Absicherung des chinesischen Absatzmarktes vorgenommen. Mehr als die Hälfte der deutschen Autoproduktion wird in China abgesetzt.

Es gibt kaum ein Land, das so von der Globalisierung profitiert und alles und wirklich alles der marktkapitalistischen Logik unterordnet wie Deutschland. Warum wir immer noch selbst glauben, dass wir die Guten sind, bleibt ein Rätsel. Deutschlands Politik folgt allein dem Motto "Money makes the world go round". Nichts anderes gilt.

Bund und Länder haben sich diese Woche auf die Einführung eines deutschlandweit gültigen ÖPNV-Tickets für anfangs 49 Euro geeinigt – wann genau, ist noch unklar. Sie selbst hatten für so ein Ticket einen Preis von 29 Euro gefordert und dafür auch viel Zustimmung geerntet. Ist jetzt der Spatz in der Hand nicht besser als die Taube auf dem Dach?

Wenn vor einem Jahr der Vorschlag für ein bundesweit gültiges Ticket zur Nutzung von ÖPNV und Regionalverkehr zum Preis von 49 Euro gemacht worden wäre, wären wir begeistert gewesen und hätten mit Freude zugestimmt. Nach der Euphorie des Neun-Euro-Sommers sind wir mit dem jetzigen Vorschlag etwas ernüchtert. Der Schwung konnte nicht mitgenommen werden, die Begeisterung bleibt auf der Strecke.

Wir konnten alle erleben, dass Menschen, die kaum noch Busse und Bahnen im Kalkül hatten, wieder parat standen und auch gefahren sind. Mit 29 Euro hätte man diese Welle mitnehmen können, und wenn dann noch der Fernverkehr eingeschlossen und ein Anrufsammeltaxi für die letzte Meile enthalten gewesen wäre, hätten wir wirklich eine Änderung in der Verkehrsmittelwahl schaffen können. Schade, dass diese Chance vom Bund und den Ländern vertan wurde.

Bei den in dieser Woche vom Bundeswirtschaftsministerium vorgelegten Eckpunkten für ein Klimasofortprogramm bleibt der Verkehr weitgehend ausgespart. Was dort passieren soll, will die Ampel erst im Frühjahr beschließen. Praktisch heißt das doch, dass der Verkehr seine Klimavorgaben für 2030 auf keinen Fall mehr einhalten kann?

Rund 80 Prozent der Verkehrsleistung werden durch den motorisierten Individualverkehr absolviert, also durch das Auto. Wenn wir hier nicht einbremsen, dann werden wir nichts ändern können.

Dafür brauchen wir ein generelles Tempolimit auf Autobahnen sowie durchgehend Tempo 30 in städtischen Erschließungsstraßen. In der Straßenverkehrsordnung müssen wir die Dominanz des Kraftwagens zurücknehmen und die vielen Subventionierungen des Autos endlich abschaffen.

Die jetzige Bundesregierung hat das Auto zum Tabu erklärt und damit ihrer Politik jegliche Durchschlagskraft genommen.

In der Energiedebatte werden Begriffe polemisch verdreht, um Sachargumenten auszuweichen, kritisiert unser Gastautor Tim Meyer. Wer Klimaschutz fordert, folgt demnach einer fehlgeleiteten Ideologie – wer an Kohle, Atomkraft und Erdgas festhält, steht angeblich auf dem Boden der Physik. Begegnet Ihnen so etwas auch in verkehrspolitischen Debatten?

Wir haben in Deutschland seit 1934 in der Verkehrspolitik voll auf das Auto gesetzt. In rechtlicher, infrastruktureller und finanzieller Hinsicht ist das Auto gegenüber allen anderen Verkehrsmitteln bevorzugt worden, ganz bewusst – und auch ganz transparent.

Nur haben wir das alles irgendwie vergessen. Die Förderung des Autos war eine Weltanschauung, eine Ideologie, ein Glaube an das Gute des Autos. Es ist aber jetzt höchste Zeit, umzudenken!

Und was ist Ihre Überraschung der Woche?

Wir verhandeln in Deutschland um die Zukunft des öffentlichen Verkehrs, wir ringen um Finanzierung, um Anerkennung und um Perspektiven – nur die Branche selbst bleibt merkwürdig stumm. Oder noch schlimmer, die Verkehrsunternehmen warnen vor zu vielen Fahrgästen. Welche andere Industrie, welcher andere Wirtschaftszweig würde vor zu vielen Kunden warnen und öffentlich hohe Überstunden oder die Abnutzung des Geräts beklagen?

Fragen: Jörg Staude

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