Porträtaufnahme von Andreas Knie.
Andreas Knie. (Foto: David Außerhofer)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Professor Andreas Knie, Sozialwissenschaftler mit den Schwerpunkten Wissenschaftsforschung, Technikforschung und Mobilitätsforschung.

Klimareporter°: Herr Knie, in der deutschen CO2-Bilanz für 2022 ist der Verkehr der einzige Bereich, in dem die Emissionen gestiegen sind und der auch sein Klimaziel verfehlt hat. Verkehrsminister Wissing von der FDP muss jetzt wieder ein Sofortprogramm vorlegen. Wie sähe denn Ihr Sofortprogramm aus?

Andreas Knie: Der Bundesminister braucht ganz schnelle Erfolge. Neben einer grundsätzlichen Internalisierung der externen Kosten im Verkehr und einem Abbau der Möglichkeiten, mit den Kosten für die Mobilität seine Steuerschuld zu minimieren, bringen vier Maßnahmen einen raschen Erfolg:

Erstens die sofortige Einführung eines generellen Tempolimits: Tempo 100 auf Autobahnen und Tempo 80 auf Landstraßen. Zweitens die Erlaubnis für Kommunen zur flächendeckenden Einführung von Tempo 30 auf Erschließungsstraßen.

Drittens ein sofortiger Stopp weiterer Subventionierung für Dieseltreibstoff und viertens ein 29-Euro-Ticket für alle Segmente des öffentlichen Verkehrs – also Nah- und Fernverkehr sowie Zubringerdienste für die erste und letzte Meile.

Immer größere Probleme bei der Deutschen Bahn sieht der Bundesrechnungshof. Die Krise der Bahn werde chronisch, erklärte Rechnungshof-Präsident Scheller diese Woche bei der Vorlage eines Sonderberichts. Empfohlen wird unter anderem die Aufspaltung des Bahnkonzerns. Schienennetz und Bahnhöfe müssten in ein eigenes Unternehmen ausgegliedert werden, auf das der Staat direkten Zugriff hat. Was halten Sie davon?

Das zentrale Problem der Eisenbahn ist, dass alle Entscheider innerhalb und außerhalb des Schienensystems Autofahrer sind. Die Eisenbahn wird heute noch so behandelt, als ob sie ein Angebot für Menschen ist, die kein Auto haben oder sich keines leisten können. Eisenbahn funktioniert bis heute nicht anders als Viehtransport.

Würde man die Eisenbahn als das Rückgrat der Verkehrswende begreifen, wäre eine Zusammenfassung aller Einzelteile zu einem integrierten System die konsequente Folge.

Das System Schiene in einzelne Wertschöpfungsketten zu zerteilen und diese dann in einen Wettbewerb zu bringen, kann als gescheitert betrachtet werden: zu viele Transaktionskosten, mit dem Ergebnis einer organisierten Verantwortungslosigkeit gegenüber den Kunden.

Das heißt, wir brauchen eine Bahnreform 2.0 mit dem Ziel einer integrierten Bahn, deren Wettbewerbsdynamik daraus generiert werden kann, dass diese Systemleistungen von Dritten eingekauft und vermarktet werden können, ganz so wie es bei den Telekommunikationsnetzen der Fall ist.

Kommenden Sonntag können Berlinerinnen und Berliner per Volksentscheid abstimmen, ob sich die Klimapolitik in dem Stadtstaat am 1,5-Grad-Ziel aus dem Paris-Abkommen ausrichtet. Berlin soll dazu schon 2030 klimaneutral sein, nicht erst 2045. Soll man so ein ziemlich unrealistisches Ziel mit seiner Stimme unterstützen?

Die Berliner Bevölkerung wird mit dem Klimaentscheid hoffentlich ein Zeichen setzen können. Das Land Berlin muss endlich gezwungen werden, die vorhandenen Potenziale ernsthafter zu nutzen als bisher.

Gerade im Verkehr laufen auch in Berlin die CO2-Emissionen aus dem Ruder. Nötig sind deshalb der Verzicht auf sämtliche Neubau-Straßenprojekte, auch auf den 16. Abschnitt der Stadtautobahn A 100, sowie die generelle Einführung von Tempo 30 auf allen Erschließungsstraßen.

Für die dringend nötige Entsiegelung sollte außerdem der öffentliche Raum schrittweise umgenutzt werden: Wegfall von mindestens 50 Prozent der öffentlichen Parkflächen, Einrichtung von 5.000 Stellplätzen für Sharing-Angebote sowie Einrichtung von Pooling-Angeboten als Teil des 29-Euro-Tickets für die letzte Meile – gültig für alle vom nächstgelegenen Bahnhof nach Hause und zurück.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer hat den Abbau von Subventionen für den Pkw gefordert: keine Entfernungspauschale mehr, keine Privilegien bei der Dienstwagenbesteuerung und auch ein Wegfall der Dieselsubventionen. Das hat sie sicherlich nicht ohne Rücksprache gemacht. Unterstützt wurde der Vorschlag unter anderem von Michael Hüther vom Institut der Deutschen Wirtschaft.

Es gibt damit in der Wissenschaft keinen Dissens mehr, dass die finanziellen Unterstützungsleistungen für den Pkw zu einem Ende kommen sollten. Sie wurden in den 1930er Jahren erdacht für eine Gesellschaft, die es heute nicht mehr gibt.

Die eingesparten Gelder könnten für die Haushaltssanierung verwendet werden und würden einen wirksamen Beitrag zur Senkung der CO2-Emissionen leisten. Wir könnten jetzt in Freiheit unsere Klimaziele erreichen. In zehn Jahren haben wir diese Freiheit nicht mehr. Ausgerechnet die FDP ist dagegen.

Fragen: Jörg Staude

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