Fahrräder und Auto
Weniger Autos: Was läuft verkehrt, wenn das nicht mal grün Bewegte klar und deutlich fordern? (Foto: Susan Yin/Unsplash)

Wer den Koalitionsvertrag der neuen Regierung liest, stellt schnell fest: Das Kapitel zu Mobilität enttäuscht auf ganzer Linie. Die Formulierungen sind total schwammig, die Verkehrswende wird nicht einmal erwähnt.

Ernsthafte Weichenstellungen weg vom motorisierten Individualverkehr lassen sich vom FDP-geführten Ministerium kaum erwarten. Ausgerechnet in dem Sektor, in dem es seit 1990 keinerlei CO2-Einsparungen gab, passiert immer noch viel zu wenig und es wird zudem an den falschen Stellen angesetzt.

Die einzige Kennzahl im Abschnitt zum Autoverkehr lautet: mindestens 15 Millionen Elektro-Pkw im Jahr 2030. Kein Wort dazu, wie viele Verbrenner dafür von den Straßen verschwinden sollen. Es gibt keine Vision davon, ob und wie die Anzahl der Autos reduziert werden kann.

Im Extremfall könnten zu den 48 Millionen Autos, die heute in Deutschland zugelassen sind, die 15 Millionen einfach hinzukommen und die Ampelkoalition hätte ihr Ausbauziel in der E-Mobilität erreicht – die Klimaziele aber ganz sicher nicht. Um 15 Millionen E-Autos auf die Straßen zu bringen und gleichzeitig den Fahrzeugbestand nennenswert zu verringern, dürften praktisch ab sofort keine Verbrennerautos mehr zugelassen werden.

Wie viel sich gerade im Verkehr ändern müsste, zeigt der Blick auf die Reduktionspfade im geltenden Klimaschutzgesetz. Gegenüber dem Vor-Corona-Niveau geht es nahezu um eine Halbierung der CO2-Emissionen bis 2030 – und damit wären wir noch nicht einmal auf dem "1,5-Grad-Pfad", der noch viel raschere Reduktionen erfordern würde.

Ohne deutlich weniger Autos auf den Straßen lassen sich diese Ziele nicht erreichen. Stattdessen hat sich in den letzten zehn Jahren der Pkw-Bestand um weitere sechs Millionen Fahrzeuge erhöht.

Wer traut sich, weniger Autos zu fordern?

Obwohl Verkehrswende-Initiativen seit Langem auf die hohen gesellschaftlichen Kosten des Autoverkehrs hinweisen, wird die Forderung nach weniger Autos von Organisationen und Kampagnen kaum in den Mittelpunkt gestellt. Dabei wird die Mobilitätswende nur gelingen, wenn viele Millionen Menschen ihr eigenes Auto (oder wenigstens den Zweitwagen) vor der Haustür aufgeben.

Es geht um eine bedürfnis- und klimagerechte Mobilität für alle statt der "freien Fahrt" auf Kosten anderer, von der besonders Wohlhabende profitieren. Denn auch im Verkehr gilt: Je reicher, desto mehr Verbrauch – nur dass dieses Mehr an Autobesitz und -nutzung auch noch durch den Staat gezielt gefördert wird.

Porträtaufnahme von Martin Bauhof.
Foto: privat

Martin Bauhof

setzt sich seit vielen Jahren für Klima­gerechtig­keit ein und hat zuletzt die IAA-Demo und die Aktions­tage "Mobilitäts­wende Jetzt" mit­organisiert. Er lebt in der ober­bayerischen Provinz.

Daran hält auch die neue Regierung fest, ob mit dem Dienstwagenprivileg, der Pendlerpauschale oder neuerdings der E-Auto-Förderung. Der Fokus auf Absatzförderung von E-Autos als vermeintliche Politik für eine Verkehrswende wird kaum zu weniger Autos führen.

Ohne zeitnahen Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor wird sich der Trend zum Zweit- oder Dritt-E-Wagen für Wohlhabende weiter verstärken und die vorherrschende Kultur der Automobilität allenfalls mit grünem Anstrich versehen.

Dabei ist unter progressiven Mobilitätsforscherinnen und Verkehrsexperten unstrittig, dass die Anzahl der Autos drastisch reduziert werden muss. Selbst der damalige Verkehrsminister Andreas Scheuer sagte im vergangenen Jahr der Tageszeitung Taz, dass es 2030 nur noch 30 bis 35 Millionen Autos in Deutschland geben sollte. Fridays for Future fordert zwei Drittel weniger Autos in den Städten bis 2035.

Die Argumente dafür liegen auf der Hand:

Es sind unzählige Pkw, die der Verkehrswende buchstäblich im Wege stehen – in der Regel 23 Stunden am Tag. Es sind aber auch die Mobilitätsvorstellungen in den Köpfen, die Alternativen blockieren, nicht selten verbunden mit einer emotionalen Bindung an das eigene Fahrzeug.

Es gibt kein Menschenrecht auf ein eigenes Auto

Der Weg vom Statussymbol Auto hin zum Statussymbol "kein Auto" ist weit. Gerade deshalb ist es wichtig, das politische Ziel "weniger Autos" als Voraussetzung für die Mobilität der Zukunft ins Zentrum zu setzen. Daher braucht es – neben den notwendigen Forderungen nach mehr und besserem ÖPNV, sofortigem Straßenbaustopp sowie Vorrang für Fuß-, Rad- und öffentlichen Verkehr – auch gezielte Maßnahmen, die die Anzahl der Autos reduzieren.

Diese müssen auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen: Im Bund braucht es klare Zielmarken, wie viele Autos im Jahr 2030 noch zugelassen sein sollen. Statt einer massiven Neukauf-Förderung bräuchte es Zulassungsbeschränkungen und Absatzbegrenzungen. Auch eine deutlich erhöhte Steuer auf Zweit- und Drittwagen wäre hier eine denkbare Maßnahme.

Porträtaufnahme von Max Frauenlob.
Foto: Lauren McKown

Max Frauenlob

engagiert sich seit Langem für die Klima- und Verkehrs­wende, unter anderem im Konzept­werk Neue Ökonomie in Leipzig und bei "Mobilitäts­wende Jetzt". Mit Familie auf dem Land versucht er weniger auto­abhängig zu werden.

Auf Landes- und kommunaler Ebene müssen Anreize für weniger Pkw gesetzt werden, zum Beispiel Verteuerung von Anwohnerparken bei gleichzeitiger Einführung einer Prämie für Menschen, die kein eigenes Auto besitzen.

Progressive Städte, die sich vorgenommen haben, bereits in zehn bis 15 Jahren klimaneutral zu sein, müssen die Frage beantworten, wie sie den Pkw-Verkehr konsequent herunterfahren können. Die gesellschaftlichen Kosten der Automobilität dürfen nicht länger auf die Allgemeinheit abgewälzt werden.

Letztlich braucht es einen kulturellen Wandel, der durch konsequente Strukturpolitik und attraktive Alternativen zum Autoverkehr vorangetrieben wird. Um die Anzahl der Autos drastisch zu reduzieren, sind dabei auch Maßnahmen erforderlich, die die Nutzung eines eigenen Autos unattraktiver machen.

Es gibt kein Menschenrecht auf ein eigenes Auto oder gar mehrere Autos, erst recht nicht im Angesicht der fortschreitenden Klimakatastrophe. Wenn es nicht gelingt, durch politisches Handeln für deutlich weniger Autos zu sorgen, übernimmt dies das nächste Hochwasser – doch das reißt dann auch unsere Ernten, Wohnhäuser und gar Mitmenschen mit. Und das in Zukunft immer öfter.

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