Die Lücke lässt sich nicht rhetorisch zudecken, sie muss real geschlossen werden. (Bild/​Ausschnitt: Rúben Gál/​Pixabay)

Wie viel CO2 spart das Deutschland-Ticket für 49 Euro? Glaubt man dem Bundesverkehrsministerium, werden es bis 2030 fast 23 Millionen Tonnen sein. Vertraut man eher dem Projektionsbericht 2023 des Umweltbundesamtes (UBA), senkt das Ticket die Emissionen nur um etwas mehr als vier Millionen Tonnen.

Das ist nur ein Beispiel von vielen für die "inkonsistente Datenlage", die der Expertenrat für Klimafragen am heutigen Dienstag beim Regierungsklimaschutz bemängelte. So rechnet der heute vom UBA vorgelegte Projektionsbericht immer noch mit Vorgaben aus einem Heizungsgesetz, das es seit Monaten so schon nicht mehr gibt.

Auch deswegen vermutet der Expertenrat, dass die Treibhausgasminderung im Gebäudesektor geringer ausfallen dürfte als vom UBA errechnet. Dies betonte der Ratsvorsitzende Hans-Martin Henning am Dienstag in Berlin bei der Vorstellung der Stellungnahme zum "Klimaschutzprogramm 2023".

Auch im Verkehrssektor erkannte Henning "optimistische Annahmen" der Regierung, beispielsweise bei der Realisierung und der Finanzierung der Maßnahmen sowie bei der "Bewältigung von Umsetzungshemmnissen", wie er formulierte.

Dazu kommt: Das Klimaschutzprogramm geht von einem bundesweiten Kohleausstieg bis 2030 aus. Ob das so eintritt, ist unklar. Nicht berücksichtigt ist bei allen Gutachten auch die kürzlich beschlossene stärkere Erhöhung der Brennstoffsteuer ab 2024 von 30 auf 40 Euro je Tonne CO2.

Regierung liefert "drei Puzzles" mit Daten

"Die Regierung hat uns ein Puzzle mit tausend Puzzleteilen übergeben. Wir haben dann aber festgestellt, dass es aus drei verschiedenen Puzzles besteht", beschrieb Vizevorsitzende Brigitte Knopf die problematische Prüfsituation des Expertenrats.

Der Rat habe auch nicht den Auftrag, eigene Berechnungen anzustellen, ergänzte Henning. Die Experten könnten nur die vorhandenen "Puzzleteile" auf ihre Plausibilität prüfen.

Der Projektionsbericht 2023 des Umweltbundesamtes sagt für den Zeitraum bis 2030 für Deutschland eine "CO2-Lücke" von 194 Millionen bis 331 Millionen Tonnen voraus, je nachdem, welche Klimaschutzmaßnahmen wann und in welchem Umfang umgesetzt werden.

Der Expertenrat ringt sich am Ende dazu durch, das Gesamtdefizit bis 2030 auf mehr als 200 Millionen Tonnen CO2 zu veranschlagen. Diese Lücke reicht dem Gremium für die Feststellung aus, dass das Klimaschutzprogramm nicht den Anforderungen des Klimaschutzgesetzes entspricht.

Das Klimagesetz verlangt, bis 2030 die CO2-Emissionen gegenüber 1990 um 65 Prozent zu reduzieren – aber eben nicht nur das. Vielmehr ist der Kern des Gesetzes, dass Deutschland bis 2030 ein vorgeschriebenes Emissionsbudget von etwa 6,1 Milliarden Tonnen CO2 einhält, wie Henning und Knopf am Dienstag ein ums andere Mal erklärten. Bemessungsgrundlage sei letztlich eben das Gesamtbudget.

Knopf erkannte an, dass die Emissionslücke, die die Vorgängerregierung der Ampel hinterlassen hat, schon kleiner geworden ist. Dennoch bleibe eine Lücke. "Natürlich darf man jetzt nicht sagen, es reicht, sondern die Lücke muss geschlossen werden", betonte die Physikerin.

Expertenrat verlangt schlüssiges Gesamtkonzept

Darüber hinaus erwarte der Expertenrat von der Bundesregierung jetzt eine verbesserte Datenlage sowie die Entwicklung eines klimapolitischen Gesamtkonzepts, machte Knopf deutlich.

Dafür reiche es nicht, zu den bestehenden 130 Maßnahmen des Klimaschutzprogramms einfach weitere hinzufügen, so die Wissenschaftlerin. Die Klimalücke zu schließen, sei kein Spaziergang, sondern erfordere große Anstrengungen und ein schlüssiges Gesamtkonzept.

Für Knopf gehören dazu nicht allein die von der Regierung bevorzugten Fördermaßnahmen, sondern auch fiskalische Mittel wie eine Neugestaltung der Energiesteuern oder der Abbau umweltschädlicher Subventionen. Solche Maßnahmen habe die Regierung beim Klimaschutz derzeit aber nicht auf dem Zettel.

 

Was das Deutschland-Ticket betrifft, so hält der Klima-Expertenrat übrigens die vom Verkehrsministerium angegebene CO2-Minderung um 23 Millionen Tonnen in der Tendenz für überschätzt.

Die UBA-Angabe von etwas über vier Millionen Tonnen CO2 nennt der Gebäude-Verkehrs-Prüfbericht des Rates aber eher eine "untere Grenze", die zudem "mit größerer Unsicherheit behaftet" sei. Eine genauere Abschätzung der tatsächlichen Minderungswirkung sei ihm nicht möglich, so der Expertenrat.

Für eine Regierung ist so etwas natürlich vorteilhaft. Sie kann Einspareffekte so behaupten, wie es politisch gerade passt.

Lesen Sie dazu unseren Kommentar: Die Klima-Klatsche