Flüssigerdgastanker mit vier riesigen kugelförmigen Tanks.
Verflüssigtes Erdgas (LNG) wird international per Schiff transportiert. Deutschland will es aus Katar importieren, um russisches Erdgas zu ersetzen. (Foto: Tomarin/​Photozou)

Putins Krieg rüttelt an den Grundfesten unseres Weltbilds. Was gestern noch galt, ist heute überholt. Pazifismus, Handel durch Wandel, friedliche Koexistenz – Überzeugungen und Werte verwischen angesichts der Not und des Elends in den zerbombten ukrainischen Städten und auf den Fluchtwegen.

Dafür wollen, dafür dürfen wir keine Schuld tragen. Deshalb ist der Ruf nach einem Boykott russischer Energie allzu verständlich. Doch er bleibt aus gewichtigen Gründen unerhört.

Untätig bleib die Bundesregierung aber keineswegs. Im Gegenteil: Ende des Jahres sollen russische Kohle und russisches Öl vom deutschen Markt verbannt sein. Beim Erdgas, so Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), wird es wohl bis 2024 dauern. Wer diesen Schwenk vor wenigen Wochen vorausgesagt hätte, wäre wohl ausgelacht worden.

Doch der Plan hat einen gewaltigen Haken. Ein Gutteil der Abkehr von russischem Erdgas wird durch den Wechsel auf Flüssigerdgas aus Katar bewerkstelligt werden. Katar? Da war doch was. Ja, die Fußballweltmeisterschaft Ende des Jahres hat das Emirat in den Fokus gebracht.

Doch nicht nur unmenschliche Arbeitsbedingungen für Bauarbeiter hat sich der superreiche Golfstaat zuschulden kommen lassen. Das Regime unterstützt seit Jahren radikale Islamisten und ist mitschuldig an Morden und Kriegen.

Lösbar, aber nicht sofort

Es liegt also auf der Hand, dass die Erdgas-Lieferungen aus Katar hochproblematisch sind. Aber haben wir eine Alternative?

Bei der Antwort hilft ein Blick in die Statistik: Auch nach mehr als 20 Jahren Ausbau erneuerbarer Energien stammen noch 80 Prozent des Energieverbrauchs aus fossilen Quellen. Und Russland ist mit Abstand der größte Lieferant dafür. Fällt er kurzfristig weg, wird aus der Energiepreiskrise eine ernste Versorgungskrise.

Der gesamte Gasverbrauch in Deutschland belief sich im Jahr 2020 auf rund 660 Milliarden Kubikmeter. 55 Prozent davon lieferte Russland, seit Oktober letzten Jahres sank der Anteil laut BDEW auf 40 Prozent. Diese Menge binnen weniger Monate zu ersetzen, ist die Königsaufgabe.

In der Stromerzeugung lassen sich Erdgaskraftwerke zeitlich befristet durch Kohlekraftwerke und dauerhaft durch erneuerbare Energien ersetzen.

Im Wärmesektor kann der Bedarf verringert werden. Verhaltensänderung und kurzfristig realisierbare Einsparungen könnten bei sehr starkem Willen und Ausdauer den Gasverbrauch um vielleicht 20 Prozent senken.

Für die Zeit danach aber können massive Investitionen in Wärmpumpen, Dämmung und erneuerbare Energien dafür sorgen, dass auch katarisches Flüssigerdgas zunehmend überflüssig wird, zumindest in Privathaushalten. Als Katalysator dafür braucht es einen Einbaustopp für neue Erdgasheizungen schon ab dem kommenden Jahr.

Mit großer Anstrengung und Entschlossenheit könnte es also durchaus sein, dass wir das Wärmeproblem schon bald ohne Russland und ohne Katar lösen können.

Wir haben ein Industrieproblem

Immer klarer wird aber, dass wir bei Gas in erster Linie ein Industrieproblem haben. Die Industrie hat mit 36 Prozent den größten Anteil am Erdgasverbrauch und benötigt den Energieträger teils zur Wärmeerzeugung, teils als stofflichen Input. Nur acht Prozent des industriellen Gasverbrauchs könnten eventuell eingespart werden. Das reicht nicht.

Ralf Schmidt-Pleschka
Foto: Lichtblick

Ralf Schmidt-Pleschka

ist Koordinator für Energie­politik beim Hamburger Ökostrom­unternehmen Lichtblick. Davor war der Geograf und Umwelt­politik­experte unter anderem energie­politischer Referent bei den Grünen im Bundestag.

Wo aber bleibt hier die Ambition, die die Bundesregierung und auch die Energieverbraucher:innen an den Tag legen?

Selbst nach Putins Vertragsbruch – künftig sollen Gaslieferungen nur noch in Rubel abgerechnet werden – fielen BDI-Präsident Siegfried Russwurm nur warnende Worte ein. Die EU würde durch ein Energieembargo "ihre Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit wirtschaftlich und politisch aufs Spiel setzen".

Von der Hand zu weisen ist das nicht. Doch lamentieren hilft jetzt wenig. Wo bleibt jenseits der Warnungen der industrielle Beitrag zur Lösung? Hier besteht Erklärungs- und Handlungsbedarf, in der Industrie, aber auch bei Wirtschaftsminister Habeck.

Alles andere als großartig

Tatsächlich machte Robert Habeck unter den katarischen Palmen keine gute Figur. Dass die langfristige Energiepartnerschaft mit Katar für ihn "großartigerweise" zustande kam, irritiert zutiefst. Auch wenn Katar nicht die einzige neue Quelle ist, die uns die Abkehr von Russland rasch ermöglichen soll: Aus den USA, Kanada, Norwegen und anderen Staaten des westlichen Wertekreises soll künftig ebenfalls mehr Energie fließen.

Dazu kommen zahlreiche Gesetze und Subventionsprogramme für den Umstieg auf erneuerbare Energien in allen Bereichen. Deutschland wendet sich also, so Habecks Lesart, nicht nur in Windeseile ab von Putins Russland, sondern auch von den fossilen Energien insgesamt.

Doch das Gute an den Plänen wiegt das Schlechte nicht automatisch auf. Die Kritik an Habeck trifft einen wunden Punkt. Erdgas aus einem Land wie Katar zu beziehen, lädt Schuld auf uns. Es ist wenig überzeugend, dass wir dem einen Despoten und Kriegstreiber unser Geld entziehen, um es einem anderen Despoten und Kriegstreiber zuzuschieben.

Tacheles!

In unserer Kolumne "Tacheles!" kommentieren Mitglieder unseres Herausgeberrates in loser Folge aktuelle politische Ereignisse und gesellschaftliche Entwicklungen.

Wie also ist diese Energiepartnerschaft mit Katar zu rechtfertigen? Sicher nicht als Teil der Energiewende, sondern nur als notwendiges Übel, das schnellstmöglich überwunden werden muss. Im Moment haben wir vielleicht keine Alternative zum Katar-Gas, aber es ist die Aufgabe der Bundesregierung dafür zu sorgen, dass sich das ändert.

Wie viel Flüssigerdgas soll also künftig aus Katar kommen und wie lange ist die langfristige Energiepartnerschaft angelegt? Wer einen moralisch verseuchten Deal einfädelt, der muss der Öffentlichkeit reinen Wein einschenken. Dazu aber gibt es bislang keine Aussagen. Das schafft Misstrauen.

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