Klimareporter°: Herr Priggen, kommende Woche, am 15. Januar, will sich die Kanzlerin mit den Spitzen der Kohlekommission und den vier Ministerpräsidenten der Braunkohle-Länder treffen. Hätte sich Angela Merkel nicht eher einmischen sollen?
Reiner Priggen: Ich finde es sehr gut, dass die Kanzlerin sich jetzt in die Verhandlungen einschaltet. Sie muss jetzt dafür sorgen, dass Deutschland im Klimaschutz tatsächlich einen Schritt nach vorne macht und die entsprechenden Mittel zur Unterstützung des Strukturwandels zur Verfügung gestellt werden. Ich hoffe, dass sie die Weichen dementsprechend stellt.
Bei aller Wertschätzung, die der Kommission als zivilgesellschaftlichem Gremium entgegenschlägt – einige Forderungen wie die von den drei Ost-Kohleländern nach insgesamt 60 Milliarden Euro Hilfen können doch nur mit der Bundesregierung verhandelt werden?
Das ist richtig – aber so, wie die drei Ost-Länder derzeit agieren, geht es auch nicht: Gelder in Zigmilliardenhöhe fordern, aber klimapolitisch nichts zusätzlich tun wollen. Ich hoffe, dass den Ministerpräsidenten noch klar wird, dass es ohne zusätzliche Anstrengungen im Klimaschutz auch keine Strukturförderung geben kann. Die Kommission ist schließlich eingesetzt worden, um Wege aufzuzeigen, wie Deutschland seine Klimaziele einhält.
Von Nordrhein-Westfalen, dem größten Kohleland, bekommt man keine ultimativen Milliardenforderungen zu hören. Wie setzt Ihr Bundesland seine Interessen durch?
Der Eindruck täuscht – Nordrhein-Westfalen hat schon sehr klar seine Bedarfe für die nächsten Jahre angemeldet. Jeder weiß, dass auf Nordrhein-Westfalen zuerst die Hauptlast der Abschaltungen bei der Braunkohle zukommt, weil da die ältesten Kraftwerke sind.
Zur Person
Reiner Priggen saß von 2000 bis 2017 für die Grünen im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Als Fraktionschef und Sprecher für Energie- und Wirtschaftspolitik bestimmte er die Politik in mehreren rot-grünen Landesregierungen mit. Zuvor war der studierte Maschinenbauingenieur Landeschef der Grünen. Heute ist der bundesweit profilierte Politiker Vorsitzender des Landesverbandes Erneuerbare Energien NRW. In der Kohlekommission ist er einer von fünf Vertretern der Kohleregionen.
Die Landesregierung ist nur nicht so übermäßig hoch mit ihrer Forderung aufgetreten wie die Ost-Ministerpräsidenten. Bei deren Forderung muss man schon sagen: Die 60 Milliarden sind so nicht nachvollziehbar. Aber das ist ein Prozess. Auch wenn es am Ende weniger Milliarden werden, wird es dennoch sehr viel Geld sein.
Die drei Ostländer haben erst im Dezember eine eigene "Arbeitsgruppe Strukturwandel" in der Kommission geschaffen. Haben die Landesregierungen die Chancen, die sich mit dem Kohleausstieg für einen wirtschaftlichen Neustart ergeben, zu wenig und zu spät erkannt?
Nun ja: Die Bundesregierung trug die Idee mit der Kommission zwei Jahre mit sich herum und hat das Gremium erst im Juni vergangenen Jahres in Gang gesetzt. Dass die Länder erst dann richtig offensiv darauf reagierten, könnte man kritisieren. Ich finde aber: Positiv in allen und nicht nur in den drei Ost-Bundesländern ist, dass sich der politische Prozess stark beschleunigt hat und alle inzwischen verstanden haben: Es liegt eine Chance in der Arbeit der Kommission.
Jetzt müssen wir nur noch das Denken in den Kohleländern durchbrechen, das da lautet: Wir bekommen Milliarden, müssen für den Klimaschutz aber nichts tun. So ist die Kommission nicht angelegt. Auch auf der Klimaseite muss es ein Ergebnis geben, mit dem die Umweltverbände leben können. Das ist der Punkt, zu dem wir kommen müssen. Das ist entscheidend. Alles andere – dass zum Beispiel die Länder eher hätten reagieren können – ist nutzlose Vergangenheitsbewältigung.
Armin Laschet, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, verweist bei seiner Verteidigung der Kohle gern auf die Entscheidung der rot-grünen Vorgängerregierung, den RWE-Tagebau Garzweiler zu verkleinern, dessen Laufzeit aber bis 2045 zu verlängern. An dem Beschluss waren Sie als damaliger Fraktionsvorsitzender der Grünen im Landtag maßgeblich beteiligt. War die Entscheidung unter den damaligen Umständen richtig, heute wäre sie es aber nicht mehr?
Wir als Grüne standen damals vor der Frage: Können wir 1.500 Menschen davor bewahren, ihre Heimat verlassen und umsiedeln zu müssen? Die Antwort war: Ja. Das konnten wir durchsetzen. Mehr ging nicht mit dem sozialdemokratischen Regierungspartner. Deswegen war das damals richtig. 1.500 Leute hatten nach Jahrzehnten der Unsicherheit endlich Klarheit, dass sie bleiben können.
Was das für die Menschen bedeutet, können Sie derzeit in der Lausitz am Ort Proschim erleben. Erst sollte er noch in der DDR weg, dann nicht mehr, und nun bangen die Einwohner wieder. Angesichts dessen war es für mich richtig, für die Menschen Sicherheit zu erreichen, wenn das auf dem Weg eines Kompromisses möglich ist.
Dass ich mir bei Garzweiler klimapolitisch mehr wünschte und dass mehr nötig ist, ist keine Frage – wenn man aber keinen Partner hat, mit dem das geht, bleibt am Ende nur ein Stück Realpolitik. Dann müssen Sie das machen, was geht. Sicherheit für 1.500 Leute zu schaffen, das hat sich gelohnt. Eindeutig.
Brandenburgs Ministerpräsident Woidke plädiert dafür, die Laufzeiten der Tagebaue voll auszunutzen und womöglich sogar noch über 2040 hinaus Braunkohle zu fördern, und RWE will eben Garzweiler bis 2045 betreiben. Das Pokerspiel um das Ausstiegsdatum ist also doch noch in vollem Gange?
Sicher. Bis jetzt sagen die ostdeutschen Ministerpräsidenten ja, wir wollen 60 Milliarden Euro und wir wollen null ändern an unserer Kohlepolitik. Das ist jetzt der Ausgangspunkt. Und da muss die Kanzlerin den Ländern klarmachen: Der Hauptgrund, aus dem die Kohlekommission eingerichtet wurde, war, dass Deutschland seine Klimaziele nicht erreicht. Diese Seite muss auch zum Zuge kommen.
Dem Paris-Abkommen haben alle zugestimmt, es ist vom Bundestag ratifiziert – jetzt kann man sich nicht länger davor drücken, auch zu handeln.
Das Modell der Ost-Länder, für Überhauptnichtstun noch viel Geld zu verlangen, kann nicht funktionieren. Man muss beides – Strukturhilfen und Klimaschutz – zusammenfügen. Die nächsten vierzehn Tage werden da in der Kommission sehr spannend werden.
Beim Klimagipfel im Dezember in Katowice sagte Bundesumweltministerin Schulze, dass der Endbericht der Kohlekommission, in dem auch das Ausstiegsdatum festgehalten ist, wohl nicht einstimmig, sondern mit Mehrheit verabschiedet werden wird. Erwarten Sie das auch?
Ich will nicht spekulieren, sondern die Hoffnung nicht aufgeben, in der Kommission einen Konsens zu erreichen. Aber das ist noch offen.
Eine konkrete Deadline, eine Jahreszahl, hinter die die Umweltverbände beim Kohleausstieg nicht zurückgehen, ist aber nicht vorstellbar, sondern es wird vermutlich aufs Gesamtpaket ankommen?
Entscheidend ist das Gesamtpaket, und dazu gehört auch die Jahreszahl. Es muss mit dem Klimaschutz jetzt losgehen und er muss Stück für Stück vorangebracht werden. Ob dann am Ende 2032 oder 2034 oder 2035 als Jahreszahl für den Ausstieg steht, ist für mich nicht der entscheidende Punkt.
Wenn der Ausstieg festgelegt ist – und das haben wir bei der Steinkohleförderung hier in Nordrhein-Westfalen erlebt – ist nicht das konkrete Enddatum das Entscheidende, sondern wichtiger ist, dass man sich auf ein Datum einigt, damit sich alle darauf einrichten können.
Worauf die Umweltverbände aber offenbar beharren, ist ein größerer klimapolitischer Schnitt gleich zu Anfang, um dem Klimaziel für 2020 doch noch näherzukommen. Gehört das zum Gesamtpaket dazu?
Ja, eindeutig. Da können sich die Verbände auf den Auftrag der Kommission berufen. Sie soll Vorschläge machen für zusätzliche Abschaltungen, um dem Klimaziel für 2020 noch nahezukommen und das Klimaziel für 2030 zu erreichen.
Ob diese zusätzlichen Maßnahmen 2020 oder 2021 kommen – das ist nicht der Punkt. Dass aber jetzt zu Anfang mehr passieren muss, als nur die Blöcke im Rahmen der Sicherheitsbereitschaft vom Netz zu nehmen, und dass zusätzliche Stilllegungen verabredet werden müssen, das ist klar und gehört zum Auftrag der Kommission.
Vorn nichts machen, hinten kein Enddatum festlegen und zwischendrin so schauen, was geht – das ist keine Lösung, dafür müssen wir kein Geld ausgeben.