Michael Müller
Michael Müller. (Foto: Martin Sieber)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Kuratoriums erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Michael Müller, als SPD-​Politiker bis 2009 Parlamentarischer Staatssekretär im Umweltministerium, heute Bundesvorsitzender der Naturfreunde Deutschlands.

Klimareporter°: Herr Müller, erst hieß es, das Klimaschutzgesetz liege in der großen Koalition auf Eis, nun hat Umweltministerin Schulze doch einen Entwurf ans Kanzleramt geschickt. War das klug?

Michael Müller: Der ganze Klimaschutz entwickelt sich in der Bundesregierung zu einem einzigen Drama. Dabei war der Start damals 1990 gut, als der Bundestag auf Vorschlag der Klima-Enquetekommission eine Reduktion der Treibhausgase um 30 Prozent bis zum Jahr 2005 einschließlich detaillierter Umsetzungsmaßnahmen forderte.

Der gravierende Unterschied zwischen der Regierung – damals Union und FDP – und der Opposition – SPD und Grüne – war, dass die Opposition gleichzeitig den Ausstieg aus der Atomkraft wollte. Damals hatten sich allerdings die Lobbyisten des fossilen Zeitalters noch nicht formiert. Mitte der 1990er Jahre begann der Abstieg.

Angela Merkel ließ sich gerade zu Beginn ihrer Amtszeit als Klimakanzlerin feiern, hat aber nichts dafür getan, dass es zum ökologischen Umbau kam – eine Klimakanzlerin a. D. Zuletzt ist auch die SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks am CDU-Kanzleramt gescheitert. Und bei den Aussagen von CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat man nicht den Eindruck, dass er in einem anderen Leben Bundesumweltminister war.

Die derzeitige Umweltministerin Svenja Schulze hat bisher leider noch kein Umweltprofil entwickelt. Sie hätte direkt nach der Bundestagswahl klare Eckpunkte setzen müssen. Hinzu kamen unglückliche Auftritte wie beim Tempolimit. Richtig ist aber, dass die Umweltministerin für Klimaschutz zuständig ist. Sie muss deshalb Vorgaben machen. Das als "Planwirtschaft" zu bezeichnen, wie einige Unionspolitiker es tun, ist schlicht Unsinn.

Das Thema ist so wichtig, dass vor allem die Umweltverbände mit allem Nachdruck für ein Klimaschutzgesetz, das seinen Namen verdient, kämpfen müssen. Die Forderung muss sein, dass der Bundestag bis zur Sommerpause ein ehrgeiziges Klimaschutzgesetz verabschieden muss, das an die Anfangsjahre der Klimapolitik anknüpft.

Das sind wir auch den Schülerinnen und Schülern schuldig, die sich für den Klimaschutz engagieren. Das darf nicht wieder verpuffen, denn wir hatten schon einmal in den 1990er Jahren Schülerdemonstrationen für den Klimaschutz, die leider zu wenig Beachtung gefunden haben.

In Programm zur Europawahl fordert die SPD auch einen CO2-Preis für die Sektoren außerhalb der Stromproduktion, etwa den Verkehr. Kann eine solche Initiative auf europäischer Ebene zum Erfolg führen?

Ich mache mir große Sorgen, dass die Europawahl zu einem Debakel wird und nun auch im Europaparlament die Nationalisten und Trumpisten großen Auftrieb bekommen – und dann auch die Klimaleugner und ähnlich Vorgestrige.

Sich an diesen Trend anzupassen wäre völlig falsch. Umso mehr muss deutlich gemacht werden, dass eine sozial-ökologische Transformation notwendig ist. Deshalb halte ich auch die taktischen Spielchen um Schwarz-Grün für falsch. Die Alternative zum Rückfall in den Nationalismus ist, dass die beiden großen Ideen – soziale Gerechtigkeit und ökologische Verträglichkeit – zusammenkommen müssen.

Dazu gehört dann auch, über die Instrumente der Transformation Klarheit zu schaffen. Das ist ein breites Bündel, aber auf jeden Fall gehört eine ökologische Finanzreform dazu. Sie ist eine notwendige, wenn auch noch keine hinreichende Bedingung. Ein wichtiger unverzichtbarer Schritt ist dabei die CO2-Bepreisung.

Insofern finde ich die Aussage im Europa-Programm gut, auch die Erweiterung der Bepreisung auf alle drei Bereiche Strom, Wärme und Mobilität. Das muss ein wichtiger Teil des Wahlkampfs werden. Alles andere entscheidet der Wahlausgang.

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet erklärte diese Woche im Landtag, dass sich seine Landesregierung "eins zu eins" an den Konsens der Kohlekommission halten will. Nun müsse die Bundesregierung mit den Unternehmen über die Stilllegungen der Kohlekraftwerke verhandeln. Zieht sich der CDU-Politiker damit aus der Verantwortung?

Zu Herrn Laschet fällt mir aus ökologischer Sicht schon lange nichts mehr ein. Er ist ein Politiker von gestern und trägt mit die Hauptverantwortung dafür, dass es statt zu einer Klimakommission zu einer Kohleverlängerungskommission gekommen ist. Von Verantwortung kann man da wirklich nicht reden.

Das Ergebnis kann auch kein Konsens sein, höchstens ein Kompromiss unter schwierigen Bedingungen. Ohne Zweifel müssen die Umweltverbände weitergehende Forderungen haben. Bei der Kohlekommission ist schon in der Organisation und im Arbeitsauftrag einiges falsch gelaufen. Die traurige Wahrheit ist, dass ein beträchtlicher Teil der Kommission noch weniger wollte und nur einem Deal zugestimmt hat, der RWE und anderen "Verstromern" weit entgegenkommt.

Bei der Arbeit der Kommission ist auch deutlich geworden, wie sehr die Wirtschaftspolitik ausgedünnt wurde. Der Neoliberalismus hat tiefe Spuren hinterlassen. Dabei brauchen wir für den Umbau mehr denn je eine starke regionale und sektorale Strukturpolitik, die entsprechende Konzepte entwickelt.

Mittlerweile soll auch die geplante Gebäudekommission abgesagt sein. Die Bundesregierung habe selbst genügend Experten, hieß es. Welche Chancen verpasst die Regierung?

Die Frage stellt sich: Wenn die Regierung so viele Experten hat, warum kommt die Effizienzsteigerung im Wärmebereich so langsam voran? Seit Anfang der 1990er Jahre liegen von der Interministeriellen Arbeitsgruppe CO2-Reduktion detaillierte Vorschläge und Strategien vor. Was fehlt, sind der politische Wille und die politische Umsetzung.

Das zeigt auch das Vorgehen bei der Gebäudekommission. Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Bundesregierung beim Klimaschutz an Gebäuden gar nicht mehr tun will. Auch deshalb ist schnell ein Klimaschutzgesetz notwendig, damit nicht noch weitere Jahre ohne echte Fortschritte vergehen.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Was heißt beim Klimaschutz schon Überraschung der Woche? Ich nenne es den Hammer der Woche, auch wenn der Vorgang nicht neu ist. In ihrer Reaktion auf das Gesetz von Svenja Schulze zum Klimaschutz hat die Bundesregierung wieder einmal gezeigt, dass sie den eigenen Anspruch nicht ernst nimmt. Wie heißt es so traurig: Große Klappe und nichts dahinter.

Fragen: Friederike Meier

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