Porträtaufnahme von Oliver Hummel.
Oliver Hummel. (Foto: Naturstrom AG)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Oliver Hummel, Vorstand beim Öko-Energieversorger Naturstrom.

Klimareporter°: Herr Hummel, der Bundestag hat diese Woche das größte Gesetzespaket zum Ausbau der erneuerbaren Energien seit Einführung des EEG im Jahr 2000 beschlossen. Erleben wir jetzt doch den Energiewende-Turbo?

Oliver Hummel: Danach sieht es wirklich aus. Die Energie-Entscheidungen dieser Woche korrigieren einen Großteil der politischen Versäumnisse und Bremsereien der letzten Jahre, die Weichen werden jetzt deutlich in Richtung Aufholjagd gestellt.

Klar ist aber auch: Um die neuen, ambitionierten Ziele auch wirklich zu erreichen, sind noch viele Verbesserungen der Rahmenbedingungen nötig. Ich denke, das ist auch der Regierung bewusst, und hoffe daher auf die nächsten Gesetzesnovellen.

Insgesamt merkt man deutlich, dass ein neuer Geist des politischen Gestaltungswillens herrscht und die Regierung den Ernst der Lage erkannt zu haben scheint.

Genau dieser Wille, nach dem jetzt beschlossenen größten Energiepaket nicht die Füße hochzulegen, sondern direkt weiter an den notwendigen Verbesserungen zu arbeiten, könnte wirklich der notwendige Turbo zu einer erfolgreichen Energiewende sein.

Naturstrom engagiert sich stark in Bürgerenergie-Projekten. Viele Hemmnisse, die einer gemeinschaftlichen Energieversorgung entgegenstanden, werden durch das Gesetzespaket beseitigt. Wird das reichen, um die Bürgerenergie zu neuer Blüte zu bringen?

Erst einmal ist sehr zu begrüßen, dass die Koalition den europarechtlichen Handlungsspielraum in Sachen Bürgerenergie ausnutzt und kleinere Bürgerwind- und -solarprojekte von den Ausschreibungen ausnimmt.

Die Vorgaben, was genau eine Bürgerenergiegemeinschaft ausmacht, sind allerdings relativ streng. Und dass entsprechende Gemeinschaften nur alle drei Jahre ein solches ausschreibungsfreies Projekt innerhalb einer Technologie umsetzen dürfen, finden wir auch nicht zielführend. Ich hoffe, dass auch hier im Sinne der erwähnten kontinuierlichen Weiterentwicklung weitere Verbesserungen vorgenommen werden.

Insgesamt bringt das neue EEG aber klare Verbesserungen für die Bürgerenergie. Es ist auch wichtig, dass dieses Segment wieder Aufwind erfährt. Für Klimaschutz und Energieunabhängigkeit sollten die Bürgerenergie-Anlagen einen wichtigen Beitrag leisten können.

Allerdings ist die Erneuerbare-Energien-Welt nicht mehr die gleiche wie noch vor einigen Jahren. Es drängen immer mehr große Unternehmen mit enormer Kapitalmacht in den Markt, auch fossile Großkonzerne wollen nun Erneuerbaren-Projektierer sein.

Für Mittelständler und die Bürgerenergie wird das Umfeld damit schwerer. Dabei ist es angesichts des geplanten massiven Ausbaus in den kommenden Jahren unbedingt erforderlich, dass Bürger:innen und Gemeinden vor Ort auch in die Projekte einbezogen werden, dass Wertschöpfung vor Ort verbleibt und dass so die Akzeptanz für diese tiefgreifende Transformation der Energieversorgung gesichert wird.

Das EU-Parlament ließ in dieser Woche eine Chance verstreichen: Die Abgeordneten legten kein Veto gegen die umstrittene Regelung ein, Investitionen in Erdgas und Atomkraft als nachhaltig gemäß der EU-Taxonomie anzuerkennen. Wem nützt das eigentlich und was bedeutet es für die Finanzierung von Ökoenergie-Projekten?

Diese Entscheidung ist einfach nur schlecht und läuft den Energiewende-Zielen entgegen. Man fragt sich, was man mit einem solchen sinnfreien europäischen Öko-Siegel für die Finanzbranche eigentlich noch anfangen soll.

Die Entwicklung ist allerdings schwerlich dem Parlament anzulasten, auch wenn wir uns sehr gewünscht hatten, dass dort die Ablehnung des Taxonomie-Entwurfs gelingt.

Die Verantwortung liegt vielmehr bei der EU-Kommission, aus deren Feder die Taxonomie stammt – und bei den größten Mitgliedsstaaten Deutschland und Frankreich, die entgegen allen Warnungen aus Eigeninteresse die Aufnahme von Erdgas respektive Atomkraft durchgedrückt haben. Das ist leider kein Ruhmesblatt für die europäische Solidarität und Glaubwürdigkeit.

Nutznießer sind natürlich vor allem die französisch geprägte Atomindustrie sowie alle Gasversorger, hier besonders die großen deutschen Konzerne, die ihre Investitionen in eigentlich überkommene Technologien nun als grün und nachhaltig vermarkten können, wenn auch unter gewissen Auflagen.

Das kann dann auch bedeuten, dass Geld für die wirkliche Transformation des Energiesystems fehlt. Ich bin jedoch ganz guter Hoffnung, dass sich der Schaden für die Erneuerbaren-Projekte in Grenzen halten wird. Erstens ist reichlich Kapital im Markt.

Zweitens sind für die Refinanzierung von Windkraft, Photovoltaik und Co eher die staatlichen Rahmenbedingungen wichtig. Dass Investments im Erneuerbaren-Bereich glasklar grün sind, dafür braucht es ja keine Taxonomie.

Drittens haben die Finanzinstitute teilweise schon strengere hauseigene Kriterien, sodass sie eigenes Geld eben doch nur in wirklich nachhaltige Infrastruktur stecken. Auch das ist übrigens ein Grund, weshalb diese nun endgültige Verwässerung des eigentlich gut gedachten Taxonomie-Instruments nur als Hohn bezeichnet werden kann.

Hitzewellen in Westeuropa werden immer stärker. Die Öffentlichkeit diskutiert vor allem die gesundheitlichen Folgen oder die Wasserknappheit. Hat die Hitze eigentlich auch Auswirkungen aufs Erzeugen von Ökoenergie?

Auch Erneuerbare-Energien-Anlagen werden von den dramatischen Klimaänderungen beeinflusst. Das gilt am deutlichsten für die Wasserkraft. Wenn wie in den letzten Jahren immer weniger Wasser verfügbar ist, können die Anlagen eben nicht mehr mit der ursprünglich konzipierten Leistung laufen.

Auch die anderen Erneuerbaren sind von Klima und Wetter abhängig. Wobei dies nicht immer negativ sein muss. Solaranlagen bringen durch vermehrte Sonneneinstrahlung in Deutschland sogar tendenziell mehr Leistung.

Zudem können Solaranlagen etwa über Parkplätzen oder auch als Freilandanlagen die Auswirkungen der Klimakrise dämpfen, nicht nur über die Verdrängung fossiler Energie, sondern auch ganz konkret als Schattenspender in Städten oder als Rückzugsraum für Flora und Fauna.

Der wichtigste Punkt wird aber oft übersehen: Insgesamt sind erneuerbare Energien von den Auswirkungen der Klimakrise deutlich weniger betroffen als fossile Energieerzeugungs-Anlagen. Die explodierenden Strompreise entstehen gerade nicht nur durch den Gasmangel, sondern auch durch die Auswirkungen des Klimawandels auf die konventionellen Kraftwerke.

Weil zu wenig Wasser in den Flüssen ist, müssen die französischen Atomkraftwerke heruntergeregelt werden, da es an der nötigen Kühlung mangelt. Und bei den deutschen Kohlekraftwerken wird befürchtet, dass ein weiter fallender Rheinpegel in den nächsten Wochen den Antransport der Kohle unmöglich machen könnte.

Man sieht: Nicht nur für den Klimaschutz, sondern auch für die Klimaanpassung werden mehr Erneuerbare gebraucht.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Eher Kopfschütteln als Überraschung verursacht bei mir die erneute Explosion der Gas- und Strompreise in der letzten Woche in bisher ungekannte Höhen. Mit den Erzeugungskosten dieser Energien haben solche Preise schon lange nichts mehr zu tun.

Eine kleine positive Überraschung waren hingegen die Anpassungen, die unser Parlament noch an den Regierungsentwürfen des Energiepakets vorgenommen hat. Die Änderungen bedeuten noch einige wichtige Verbesserungen, vor allem einfachere Anmeldebedingungen für kleine Photovoltaikanlagen.

Wichtig ist auch die Änderung im Paragrafen 14a des Energiewirtschaftsgesetzes, die Regelungen für steuerbare Verbrauchseinrichtungen wie Wärmepumpen und Elektroautos betrifft. Diese Reform hatte die alte Bundesregierung über Jahre nicht hinbekommen. Nun gibt es hier einen eher unerwarteten Fortschritt.

Fragen: Jörg Staude und Sandra Kirchner

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