Grafik: Eine Pflanze, die aus einem Haufen Geldscheine wächst
Grafik: Kristin Rabaschus

Oliver Bäte fühlt sich missverstanden. "Unser Geschäftsmodell ist langfristig ausgelegt, wir planen nicht von Quartalsergebnis zu Quartalsergebnis."

Das gelte auch für die Abkehr von Kohle, Öl und Gas, teilte der Allianz-Chef seinen Aktionären im Umfeld der virtuellen Hauptversammlung in München mit. Europas größter Versicherungskonzern hatte 2015 seinen Kohleausstieg beschlossen.

Bäte ging Ende April noch einen Schritt weiter. Die Allianz veröffentlichte eine neue Richtlinie zu Öl und Gas, um die Dekarbonisierung des Energiesektors "mittelfristig" voranzutreiben.

Das Unternehmen will die Treibhausgasemissionen seiner Standorte und Geschäftsaktivitäten in über 70 Ländern bis zum Jahr 2030 auf null reduzieren, anstatt wie ursprünglich geplant bis 2050. Dafür gab es viel Lob, auch von Kritikern und Nichtregierungsorganisationen.

Allerdings reicht die Nabelschau des größten deutschen Investors nicht aus. Den Klima-Fußabdruck von 140.000 Beschäftigten auf netto null zu drücken, ist gewiss verdienstvoll. Aber wirklich schwergewichtig ist das eigentliche Geschäft des hochprofitablen Finanzdienstleisters.

Jeder fünfte Euro, der als Prämie in Deutschland eingenommen wird, vereinnahmt der "Blaue Riese" für sich. Angesichts eines Marktanteils von rund 20 Prozent bei Auto-, Berufsunfähigkeits- und Lebensversicherungen beklagt das Fachblatt Versicherungsbote die "Dominanz der Allianz-Gruppe im deutschen Versicherungsmarkt".

Beiträge der Versicherten in (fast) aller Welt spülen jedes Jahr viele Milliarden Euro in die Kassen der Allianz. Selbst in Afrika ist der deutsche Konzern die Nummer eins.

Aus den Beiträgen werden handfeste Investitionen beispielsweise in Energienetze sowie Geldanlagen in Aktien und Wertpapieren. Für Letztere ist vor allem die US-amerikanische Tochtergesellschaft Pimco zuständig, einer der finanzstärksten Vermögensverwalter der Welt.

Das gesamte von ihr verwaltete Vermögen beziffert die Allianz in ihrem Geschäftsbericht auf sagenhafte 2,6 Billionen Euro. Nur um die Größenordnung zu verdeutlichen: Diese Summe entspricht dem Bruttoinlandsprodukt von Frankreich.

Allianz investiert über Dritte in Erdgas

Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, bei dem Münchner Riesen genauer hinzuschauen. Das haben Urgewald und weitere Umweltorganisationen getan. Ihr etwas gestelztes Fazit: "Die neue Richtlinie adressiert nicht alle Probleme."

Unter anderem gelte die Richtlinie im Anlagebereich nur für die Eigenanlage und nicht für die Gelder, die Allianz-Töchter wie Pimco oder Allianz Global Investors (AGI) für Dritte verwalten. Ein Antrag des Dachverbands der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre, dass sich sowohl Pimco als auch AGI an der Kohlerichtlinie der Allianz ausrichten müssten, hatte auf der Hauptversammlung keine Chance.

"Das Problem, dass die guten Allianz-Richtlinien nur für die Eigenanlage und nicht selbstverständlich auch für die Verwaltung von Anlagen für Dritte gelten, wiederholt sich nun im Öl- und Gasbereich", beklagt Regine Richter von der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Urgewald. Damit blieben drei Viertel der gesamten Anlagen der Allianz-Gruppe außen vor.

Folglich bleiben auch im politisch umstrittenen Bereich Erdgas viele Geschäfte weiterhin möglich. Dies bemängelt Gerry Arances, Geschäftsführer der philippinischen Umweltorganisation CEED. Arances kämpft gegen die massiven Ausbaupläne für Gaskraftwerke und Flüssigerdgas-Terminals in dem einzigen asiatischen Staat mit katholischer Bevölkerungsmehrheit.

Besonders betroffen ist die Isla-Verde-Straße zwischen den Inseln Luzon und Mindoro. "Die Passage ist der Amazonas der Ozeane, ein Hotspot mariner Biodiversität, absolut einzigartig auf der Welt", sagt Arances. Dennoch plante die Regierung in Manila zusammen mit Energiekonzernen schon vor dem Ukraine-Krieg acht neue Gasanlagen und sieben neue LNG-Terminals.

Laut Recherchen von CEED hält die Allianz Anleihen des philippinischen Konzerns San Miguel Corporation, die erst im Herbst ausgegeben wurden. Hauptsächlich, um Investitionen in ein 1.300-Megawatt-Gaskraftwerk und zugehörige Einrichtungen wie ein Flüssigerdgas-Terminal zu finanzieren.

Umweltschutz stört bei Europas LNG-Plänen

Bei dem einen Projekt muss es nicht bleiben. In Deutschland und Europa entsteht gerade ein neuer Megamarkt für verflüssigtes Erdgas, kurz LNG. Dieses soll nach dem Willen der Europäischen Kommission Energieimporte aus Russland ersetzen.

In der Bundesrepublik sind mehrere LNG-Terminals geplant. Mit dem ersten Rammschlag haben Anfang Mai in Wilhelmshaven die Arbeiten für das erste schwimmende Flüssigerdgas-Terminal begonnen. Bundeswirtschafts- und -klimaminister Robert Habeck (Grüne) warnte Umweltschützer vor Klagen. Diese sehen ein Unterwasser-Biotop gefährdet.

Für den kurzfristigen Einsatz hat die Bundesregierung über die Unternehmen RWE und Uniper insgesamt vier schwimmende LNG-Terminals gebucht. Für Versicherer und Banken lockt hier ein milliardenschweres Geschäft.

Zumindest in der philippinischen Isla-Verde-Straße dürfe sich die Allianz nicht weiter mitschuldig machen, fordert Gerry Arances. Sie müsse die Vorhaben der Gasindustrie von einer Versicherung oder Investition ausschließen.

Dagegen sieht Allianz-Chef Bäte wie auch Klimaminister Habeck fossiles Erdgas und LNG-Terminals als notwendige Brückentechnologien. Bäte würde gerne noch stärker in die Energieinfrastruktur investieren. Statt immer neue Ziele festzulegen, solle die Politik lieber konkrete Projekte beschließen.

"Wir müssen zum Beispiel jetzt festlegen, wie wir LNG-Terminals für Flüssigerdgas bauen, für die es in den letzten zehn Jahren nie eine Genehmigung gegeben hat, und wie wir sie finanzieren", fordert Bäte.

Der Weg in eine vollständig erneuerbare Welt ist offenbar reich an Umwegen.

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