Erdgasleitung im Bau, neben dem ausgehobenen Graben, in dem schon ein Stück Rohr liegt, steht ein roter Bagger.
Neue Erdgasprojekte – hier bei Berlin – werden jetzt noch besser finanzierbar. (Foto: Hanno Böck/​Wikimedia Commons)

Von einer dunklen Stunde des Europaparlaments sprechen Umweltorganisationen bereits heute. Die Abgeordneten haben heute darüber abgestimmt, ob das Parlament ein Veto gegen den Vorschlag der EU-Kommission einlegt, in der sogenannten Taxonomie Investitionen in Erdgas und Atomkraft vom kommenden Jahr an unter bestimmten Bedingungen als nachhaltig einzustufen.

Am Ende sprachen sich nur 278 Abgeordnete für die Veto-Entschließung und damit gegen den Vorschlag der Kommission aus. 328 lehnten die Entschließung ab, 33 enthielten sich. Für eine Blockade der aktuellen EU-Taxonomie wäre eine einfache Mehrheit von 353 der 705 Abgeordneten nötig gewesen.

Das Votum pro Taxonomie kommt insofern überraschend, als sich Mitte Juni die Ausschüsse für Umwelt und Wirtschaft des EU-Parlaments gegen die Einstufung von Erdgas und Atomkraft als nachhaltig ausgesprochen hatten.

Der Abgeordnete Michael Bloss von den Grünen, der sich mit großem Nachdruck für den Ausschluss von Atom und Gas eingesetzt hatte, zeigte sich bitter enttäuscht. Viele Abgeordnete seien auf den "Etikettenschwindel" der EU-Kommission hereingefallen. "Diejenigen, die für die Aufnahme von Gas und Atom in die Taxonomie gestimmt haben, bekommen morgen ein Dankesschreiben von Wladimir Putin", erklärte Bloss nach dem Votum voller Verärgerung.

Für den Grünen steht mit der Entscheidung nun der zentrale Teil des europäischen Green Deal infrage. "Europas Öko-Siegel für die Finanzbranche ist damit ein Fall für die Mülltonne geworden. Keine seriöse Bank wird sich diesem Siegel anvertrauen."

"Völlig aus der Zeit gefallen"

Gerade angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine und des Einsatzes von Gaslieferungen als Waffe erscheine der Parlamentsbeschluss als "vollkommen aus der Zeit gefallen", betonte auch Christoph Hoffmann, Experte für klimagerechte Finanzierung bei der Umweltorganisation Germanwatch.

Die Einstufung von Erdgas- und Atomprojekten als nachhaltig wird sich nach Einschätzung von Germanwatch negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit Europas auswirken. Dank des aufgeweichten Klassifizierungssystems kämen nicht nachhaltige Unternehmensaktivitäten nun leichter an frisches Geld. "Dies droht die notwendige Transformation zentraler Wertschöpfungsketten zu verzögern", warnte Hoffmann.

 

Für Olaf Bandt, Chef der Umweltorganisation BUND, hat das EU-Parlament die Interessen der Atom- und Erdgaslobby über die Belange von Wissenschaftlichkeit und Klimaschutz gestellt. Die Bundesregierung müsse jetzt handeln und vor dem Europäischen Gerichtshof gegen den Taxonomie-Beschluss der EU-Kommission klagen, forderte Bandt.

Tatsächlich können nach vielfacher Einschätzung jetzt nur noch Klagen das finanzielle "Greenwashing" stoppen. Einige EU-Staaten wie Österreich und Luxemburg sowie Umwelt- und Klimaschutzorganisationen haben bereits rechtliche Schritte gegen die Einstufung von Gas und Kernenergie als "grün" angekündigt.

Der Beschluss verstößt Rechtsexpert:innen zufolge gegen die in der Taxonomie selbst festgelegten Umwelt- und Klimaschutzkriterien. Das hebele wichtige demokratische Entscheidungsprozesse aus.

Kraftwerkseigner sehen kein Problem

Energie- und Wirtschaftsverbände begrüßen dagegen den Beschluss. Der Energiewirtschaftsverband BDEW sieht darin weniger eine Entscheidung für Erdgas als für einen Übergang zu erneuerbaren Gasen wie Biomethan und Wasserstoff. Damit betriebene Gaskraftwerke könnten die Versorgungssicherheit beim Kohle- und Atomausstieg sichern helfen, erklärte BDEW-Geschäftsführerin Kerstin Andreae.

Die "strengen Kriterien", die die EU-Kommission dabei an neue Gaskraftwerke anlege, sorgen Andreae zufolge dafür, dass die Kraftwerke bereits heute so geplant würden, dass sie künftig Wasserstoff als Energiequelle nutzen können.

Auch der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) sieht in dem Abstimmungsergebnis ein wichtiges Zeichen für die Rolle von Erdgas als "Brücke" zur Klimaneutralität. Es sei ein klares Signal an die Energie- und Finanzwirtschaft, jetzt in neue Erdgaskraftwerke zu investieren, die später auf Wasserstoff umgerüstet werden können.

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