Frankreich schützt das Klima. Sein Treibhausgas-Ausstoß ist niedrig, verglichen mit anderen Industriestaaten, gerade auch Deutschland. Im Nachbarland liegt er pro Kopf und Jahr bei 5,8 Tonnen, hierzulande bei 8,9. Hauptgrund war und ist der hohe Atomkraft-Anteil in der Stromproduktion von rund zwei Dritteln.
Für 2024 meldet Paris nun mit über 95 Prozent einen neuen Rekord bei der CO2-freien Elektrizität im Netz – dank inzwischen wieder hoher AKW-Leistung und besonders viel Wasserkraft. Gleichzeitig trüben allerdings Meldungen über extrem hohe Baukosten des gerade ans Netz gegangenen Großreaktors in Flamanville das Bild.
Frankreich musste seine Gas-, Öl- und Kohlekraftwerke im letzten Jahr kaum hochfahren, weil die AKW und die Erneuerbaren-Kraftwerke fast den ganzen Strom lieferten. Die Atomstrom-Produktion betrug laut dem Übertragungsnetzbetreiber Réseau de Transport d'Electricité (RTE) 536,5 Milliarden Kilowattstunden, ein Anteil an der Stromerzeugung von zwei Dritteln.
Die Öko-Energien erreichten einen neuen Rekordwert von 148 Milliarden Kilowattstunden, was fast 28 Prozent entspricht. Dabei erbrachte die Wasserkraft aufgrund starker Regenfälle den höchsten Beitrag seit 2013, während die Windkraft aufgrund des schwachen Windaufkommens zurückging.
Der Anteil der Solarenergie betrug 4,3 Prozent und überholte damit zum ersten Mal Erdgas und die anderen fossile Brennstoffe. Die Stromerzeugung aus Gas, Öl und Kohle war die niedrigste seit den frühen 1950er Jahren.
AKW-Laufzeitverlängerung und neue Reaktoren
Der Netzbetreiber lobte das Ergebnis. Die Atomkraft und die erneuerbaren Energien trügen zusammen zur Dekarbonisierung der französischen Stromerzeugung bei und ermöglichten außerdem einen Anstieg der Stromexporte in die Nachbarländer, hieß es in der RTE‑Mitteilung.
Hintergrund ist, dass die 57 AKW im Land 2024 wieder eine hohe Verfügbarkeit aufwiesen, nachdem die Stromproduktion 2022 wegen Problemen bei der Wartung und nötigen Reparaturen abgestürzt war. Unter anderem Deutschland musste damals Elektrizität nach Frankreich liefern.

Inzwischen ist Frankreich wieder Netto-Exporteur. Zuletzt stiegen die Lieferungen nach Deutschland deutlich an.
Die Stromsysteme der beiden Nachbarländer entwickeln sich sehr unterschiedlich. Während Deutschland aus der Atomkraft ausgestiegen ist und voll auf Erneuerbare setzt, die 2024 bereits rund 60 Prozent des Stroms lieferten, zielt Frankreich auf einen Mix vom Atom- und Ökostrom.
Präsident Emmanuel Macron hatte zu Beginn seiner Amtszeit ein Herunterfahren des Atomanteils angepeilt, fährt inzwischen aber einen Kurs, mit dem er hoch gehalten werden soll – bei einem gleichzeitigen Ausbau von Solar- und Windenergie, letztere vor allem offshore.
Macron setzt auf Laufzeitverlängerungen für die alten AKW, hat aber auch den Neubau von sechs neuen Großreaktoren mit Option auf weitere acht sowie intensive Forschung an neuartigen Minireaktoren angekündigt. Die ersten neuen AKW sollen nach den Plänen in der zweiten Hälfte der 2030er Jahre ans Netz gehen.
EPR-Reaktor laut Rechnungshof 80 Prozent teurer als angegeben
Doch die Frage ist, ob das so funktionieren kann. Jüngste Meldungen zum französischen Nuklear-Prestigeprojekt, dem neuen EPR-Reaktor in Flamanville in der Normandie, verstärken die Zweifel daran. Das AKW mit rund 1.600 Megawatt Leistung war im Dezember ans Netz gegangen.
Extreme Bauzeit- und Kostenüberschreitungen hatten Skeptikern schon lange Munition gegen den Slogan von der "Atom-Renaissance" gegeben. Statt geplanter fünf Jahre dauerte es 17 Jahre bis zur Fertigstellung, und aus ursprünglich veranschlagten 3,3 Milliarden Euro wurden, so die offizielle Angabe, 13,2 Milliarden.

Ein neuer Bericht des französischen Rechnungshofes beziffert die Flamanville-Kosten nun aber noch deutlich höher. Sie betragen danach sogar 23,7 Milliarden Euro. Der Rechnungshof hat dabei Finanzierungskosten, Verteuerungen durch die Inflation in den letzten Jahren und die Aufwendungen für die in diesem Jahr geplante Abschaltung des neuen AKW einkalkuliert.
Die Abschaltung ist notwendig, da der Deckel des Reaktordruckbehälters gemäß einer Forderung der Behörde für nukleare Sicherheit bereits wieder ausgetauscht werden muss.
Der Rechnungshof kritisierte, dass der Flamanville-EPR angesichts der staatlichen Vorgaben zum Strompreis kaum rentabel zu betreiben sein wird. Um eine Rendite von vier Prozent zu erreichen, müsse der Verkaufspreis für den Atomstrom bei 12,2 Cent pro Kilowattstunde liegen, bei sieben Prozent sogar bei 17,6 Cent.
Das liegt weit über dem Zielpreis von sieben Cent pro Kilowattstunde für Nuklearstrom, der 2023 zwischen der französischen Regierung und dem inzwischen wieder voll verstaatlichten Stromkonzern EDF, der die AKW im Land betreibt, festgelegt wurde. Auch Strom aus erneuerbaren Energien ist billiger.
Staatlicher AKW-Betreiber immer noch stark verschuldet
EDF weigert sich laut der Zeitung Le Figaro, eigene Zahlen zur Rentabilität des neuen AKW vorzulegen, und erklärte, sei es bei dem Projekt vor allem darum gegangen, "die Kompetenzen des französischen Nuklearsektors zu erhalten und die Einführung der EPR-Technologie in Frankreich und weltweit vorzubereiten".
Trotzdem ist fraglich, ob die nun in Frankreich geplanten Nachfolge-AKW so viel preiswerter gebaut werden können, dass sie den Strom zum gewünschten Preis liefern können. Der Rechnungshof schätzt die reinen Baukosten für die sechs Reaktoren auf knapp 80 Milliarden Euro.
Eine große Rolle dürfte spielen, wie die Finanzierung geregelt wird. Anstehende Verhandlungen mit der EU dürften hier von Bedeutung sein. Der EDF-Konzern selbst ist trotz seit 2023 wieder angestiegener Gewinne immer noch stark verschuldet.
Bei den anderen EPR-Projekten von EDF im Ausland, in Finnland, Großbritannien und China, gab und gibt es ähnliche Bauzeit- und Kostenüberschreitungen. Der Konzern setzt nun darauf, dass die Kosten bei den sechs geplanten Reaktoren, EPR 2 genannt, durch einfacheres Design und ein möglichst paralleles Bauen der Anlagen gesenkt werden können.
Ob das funktionieren kann, ist umstritten. Der Rechnungshof moniert, das EPR‑2-Programm sei "durch eine Verzögerung bei der Konzeption, das Fehlen eines detaillierten Kostenvoranschlags und einen unsicheren Finanzierungsplan gekennzeichnet".
Der Präsident des Hofes, Pierre Moscovici, empfahl, die endgültige Investitionsentscheidung zu verschieben, bis eine gesicherte Finanzierung vorliegt und das Design der Reaktoren weiter fortgeschritten ist. Er warnte, die Gesamtkosten einschließlich Finanzierung könnten tatsächlich über 100 Milliarden Euro betragen.
Das zeigt: Ein Schnäppchen wird die französische Atom-Renaissance kaum werden.